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Frisch Gelesen Folge 6: Hipster Hitler

Hipster Hitler

»Rommel ist so stinkig auf mich. Ich habe das 34. Battalion gezwungen, die Wollmützen zu tragen, die ich stricke und online verkaufe und 130 von ihnen haben einen Hitzschlag erlitten. Kommt schon, der Sommer ist fast rum! Und außerdem wird es noch weitere Gefechte geben. Chill mal, Rommel.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Hipster Hitler

Hipster Hitler

Story: Archana Kumar, James Carr
Zeichnungen: James Carr


DuMont Buchverlag
Softcover | 128 Seiten | s/w | 14,99 €
ISBN: 978-3-8321-6238-2

Genre: Humor, Satire

Für alle, die das mögen: Der großer Diktator, Monty Python


Er ist wieder da. Oder sagen wir, er war schon mal da, bevor er wieder da war. Verwirrt?

Bevor Eichborn 2012 Timur Vermes' satirischen Debütroman »Er ist wieder da« auf die Deutschen los ließ, ein fulminanter Bestseller, in dem Adolf Hitler ins Leben zurückkehrt und mit den Menschen der Jetztzeit ziemliche Probleme hat, gab es das so ähnlich schon mal. Der englischsprachige Webcomic Hipster Hitler machte erstmals vor rund drei Jahren den ehemaligen »Führer« nicht nur zur lächerlichen Hauptfigur, sondern zu einem hippen Nervsack erster Güte. Nazi-Style. Das schlug ein wie eine Bombe, die passende Facebook-Seite hatte schnell Tausende von Fans.

Witze über Hitler zu machen hat Tradition in den USA (wer erinnert sich nicht schenkelklopfend an die entsprechende Szene im Trashmovie Angriff der Killertomaten?), und schon gar im gesamten Internet. Wo die Deutschen wahlweise bedrückt wegschauen oder sich energisch darüber aufregen, macht man im weltweiten Netz gerne mal den digitalen Charlie Chaplin. Adolfs Äußeres bietet sich ja förmlich als Grafik-Ikone an. Schon alleine dieses Bärtchen! Das ruft sogar bei niedlichen Haustieren Erinnerungen wach. Man denke da an die sogenannte »Kitler«, eine Katze, die wie Adolf Hitler aussieht.

Hipster Hitler Leseprobe

Schon vor dem Krieg ein Arschloch: Hipster Hitler

Der Comic Hipster Hitler vermengt zwei Bilder, und zwar das des übelsten Diktators, Rassisten und Antisemiten aller Zeiten mit dem des Hipsters. Unter einem Hipster versteht man diesen modisch sensitiven jungen Typ Mensch, der gerne T-Shirts mit V-Ausschnitt, Röhrenjeans, einen vornehmlich androgynen Haarschnitt und eine Hornbrille trägt, sehr web-affin ist (Apple, Twitter, Facebook & Co.), Trends riechen kann und das Gras wachsen hört. Ein Hipster fühlt sich überlegen, und das macht ihn unsympathisch. Also wird ein Hipster eher negativ gesehen, so wie die Typen, die in Berlin Neukölln oder den Prenzlauer Berg unsicher machen, sich selbst für das Tollste und alle anderen für uncool halten. Die deutsche Hauptstadt widmet dem Phänomen gar eine eigene Seite unter Hauptstadt-Trends auf der Homepage.

Heraus kam Hipster Hitler: gescheiterter Künstler, Vegetarier, Schnurrbartträger, Arschloch. Hier, das weiß auch der Klappentext, »passt einfach alles«.

Die Figuren der Handlung sind neben »Reiseführer« Hipster Hitler noch Joseph Goebbels (»Hitlers ultra-rechte Hand«), Hermann Göring (»Als einzige Galionsfigur der Partei überlebte er bis zu den Nürnberger Prozessen, in deren Verlauf er dann für so ziemlich alles Erdenkliche verurteilt wurde.«) und Erwin Rommel (»Hitler stellte ihn vor die Wahl, entweder ehrenhaften Selbstmord zu begehen oder die Poetry-Slam-Texte des Führers zu überarbeiten. Rommel wählte den Tod.«). Die in Kapitel wie »Die frühen Jahre« oder »Der Krieg beginnt« unterteilten Comics sind angereichert mit handschriftlichen Einträgen in Hipster Hitlers Tagebuch. Mitunter wird's poetisch:

»Sommerwind weht mild
Blitzkrieg macht mich so müde
Mein MacBook ist schwer. :-(«

Und dann gibt's Szenen wie diese: Hipster Hitler sitzt lässig auf einer Bank. Auf seinem T-Shirt steht »Jude statt Plastik«, und er spricht mit Goebbels über den verlorenen Ersten Weltkrieg. Auf die Bemerkung, dass das Land durch den Versailler Vertrag geschröpft werde und die Menschen mittellos und verzweifelt seien, entgegnet er: »Aber alle Deutschen tragen jetzt über-hippe Vintage-Klamotten«. Und auf den Einwand, dass man Ländereien abgetreten und sogar auf Posen verzichten musste, erwidert er: »Pah, mit Posen hatte ich eh nie was am Hut. Ich bin voll ich selbst, Mann.« Und den Zweiten Weltkrieg schließlich zettelt er an, um nicht als Mitläufer zu gelten, der nichts Eigenes auf die Beine stellen kann …

Hipster Hitler Leseprobe

Mit dem Rad zur Front ist cool: Szene aus Hipster Hitler

Hipster Hitler ist voll von hintergründigem Humor und doppelbödigem Witz. Oftmals ist bereits der Weg zur Pointe gespickt mit Seitenhieben auf das Hip-Sein, eingebettet als T-Shirt-Aufschriften oder integriert in die Konstruktion der Panels.

Die Lektüre erfordert eine gehörige Portion Allgemein- und Spezialwissen. Was man dem Durchschnitts-Joe aus den USA eigentlich abspricht. Manche Gags funktionieren nur auf semantischer Ebene und sind schier nicht vom Englischen ins Deutsche zu übertragen. Eine große Herausforderung für Stephen Kleiner, den Übersetzer, der auch die Auswahl der Comics zusammengestellt hat. Anders als im Web ist in diesem Buch jedem Comic eine kleine Einleitung vorangestellt. Eine sinnvolle Idee, die so manchen Leser vor dem Überfordertsein retten dürfte, mitunter aber übers Ziel hinausschießt und eher redundant wirkt.

Darf man Comics mit Hitler als Protagonist machen? Ja, man darf. Die beiden Autoren ziehen jedoch die Grenze beim Holocaust. Während der Krieg und das Judentum ausgiebig thematisiert werden, spart man Hitlers Endlösung mit Absicht aus.

Was beibt? Ein messerscharfer Intellektuellencomic mit eingebautem Kontroverseneffekt. Spaß auf hohem Niveau, aber hart an der Grenze des, wie auch immer gearteten, guten Geschmacks. 

[MH]

Abbildungen © DuMont


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