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Frisch Gelesen Folge 234: Zur Seite, Kerl

Bei Kate Beaton ist Wonder Woman nicht annähernd so souverän wie aus den Comics gewohnt oder wie ...

»Wonder Woman! Wieso verfolgst du ihn nicht?«
»Süße, ich trag 'nen trägerlosen Badeanzug und hochhackige Stiefel. Wie würdest du das machen?«


FRISCH GELESEN: Archiv


Zur Seite, Kerl... diese Dame auf dem Cover des Sammelbands.

Story: Kate Beaton
Zeichnungen: Kate Beaton

Zwerchfell Verlag
Hardcover | 168 Seiten | s/w | 24,00 €
ISBN: 978-3-943-54751-1

Genre: Cartoon, Comicstrips, Funny

Für alle, die das mögen: feministischen Humor, historischen Humor, humoristischen Humor



Es gibt ja Formate, die verlieren nie ihren Reiz. Dazu gehört aus meiner Sicht eindeutig der Comicstrip. Er zählt wohl zu einer der ältesten Arten des Comics und diente ursprünglich in der Form der Funnys der Aufheiterung der geneigten Leserschaft bei der täglichen Zeitungslektüre.

Tageszeitungen gehören inzwischen leider einer aussterbenden Gattung an, interessanterweise der Comicstrip jedoch nicht. Er hat eine neue Nische gefunden – das Internet! Denn dank diverser Tools und Baukästen ist es wirklich jedem und jeder möglich, eine Website aufzubauen und regelmäßig einen Strip ins Netz zu stellen. Klar sagt das noch gar nichts über die Qualität oder auch die Reichweite aus, die der Comic hat. Wenn man aber an was dran ist, eine gute Idee hat, einen Nerv trifft und vielleicht sogar oben drauf auch noch witzig und innovativ ist, dann kann es wirklich passieren, dass man Aufmerksamkeit erhält für das, was man da online fabriziert.

Ihre Strips sind feministisch. Es geht aber nicht nur um "Klischeefeministinnen" ...
Kate Beatons Strips sind feministisch. Es geht aber nicht nur um "Klischeefeministinnen" ...


Das kann allerdings dauern und man braucht Ausdauer. Kate Beaton hat bewiesen, dass sie durchhalten kann. 2007 veröffentlichte sie ihre ersten Comicstrips im Netz, die ihre große Leidenschaft reflektierten: Geschichte. Ursprünglich studierte sie nämlich an der kanadischen Mount Allison University Geschichte und Anthropologie, also brotlose Kunst. Sie arbeitete in mehreren Museen parallel und fing darüber hinaus an, ihre Comicstrips online zu stellen. Bereits 2008 zog sie auf ihre eigene Website www.harkavagrant.com um, auf der sie dann munter ihre Strips und Cartoons veröffentlichte. Und auch wenn sie sich inhaltlich vorwiegend mit historischen Themen befasst, bereitet sie diese mit einem urkomischen neuen Blickwinkel auf, dass sie schon bald Aufmerksamkeit für ihre Website bekam. Bereits 2009 erhielt sie den ersten Preis als Nachwuchskünstlerin. 2011 konnte sie eine erste Reihe ihrer Comics gedruckt verlegen lassen in dem Sammelband Hark! A Vagrant (auf Deutsch: Obacht! Lumpenpack!), und die zweite Kompilation Step Aside, Pops (auf Deutsch: Zur Seite, Kerl), um die es hier gehen soll, wurde dann auch endlich mit einem der begehrten Eisner Awards als beste humoristische Publikation ausgezeichnet.

... auch Comichelden wie Superman bekommen ihr Fett weg. Bei Beaton ist Lois Lane mehr als nur ein hübsches Dummchen ...
... auch Comichelden wie Superman bekommen ihr Fett weg. Bei Beaton ist Lois Lane mehr als nur ein hübsches Dummchen ...


Nun mag man sich denken: Was macht die Gute denn eigentlich so anders als all die anderen Online-Publizist:innen, die doch auch nur versuchen, etwas Aufmerksamkeit zu erlangen? Liegt es etwa daran, dass sie eine Frau ist? Und da kann ich nur ganz gelassen entgegnen: Ja, ein gutes Stück weit ist das so. Schlicht und einfach deshalb, weil die stereotype männliche Sicht von allem irgendwie einmal zu viel durchgekaut worden ist und wirklich nicht mehr viel Neues beizutragen hat. Und eine weibliche Sichtweise muss sich nicht zwingend um Klischeefeministinnen, Lois Lane und um Emily Brontë drehen, wobei Beaton hieraus aberwitzige Gags kreiert. Sie kann sich auch mit Julius Cäsar, Franz Liszt oder Georges Danton beschäftigen und diese von ihren historischen Thronen zerren. Lustvoll tobt sich Beaton durch historische Epochen oder Romane, wobei ihre glühende Verehrung für ihr Sujet immer zu spüren ist.

... und Wonder Woman bekommt es andauernd mit Besserwissern zu tun. Stichwort: Mansplaining.
... und Wonder Woman bekommt es andauernd mit Besserwissern zu tun. Stichwort: Mansplaining.


Natürlich lässt sie sich als Teil der Zunft auch gerne über Comicfiguren aus oder greift mal allgemeingültige feministische Themen auf, wofür sie aber ihr Herzblut hingibt, ist jederzeit klar. Das kann historisch dann mal so geekig werden, dass ein rascher Blick in Wikipedia angebracht ist, um den Helden oder die Heldin des Strips erst mal verortet zu bekommen; ich empfinde so etwas aber immer als Bereicherung. Mir bereitet es sehr viel Freude, wenn ich fundiertes Wissen auf spielerische Weise nahegebracht bekomme und mich am Ende noch selbst bemüßigt fühle, mir weiteres Wissen anzueignen. Besonders gut gefällt mir auch ihre Aneignung historischer visueller Elemente wie die alten Halloween-Postkarten, historische Covergestaltungen von Klassikern und natürlich die Bänkelbilder, mit denen in früheren Zeiten fahrende Sänger ihrem Publikum Moritaten vortrugen. Diese greift sie auf und verballhornt sie auf köstliche Art.

Stets erkennbar ist Beatons Liebe für die Historie: Hier nimmt sie Bänkellieder auf die Schippe.
Stets erkennbar ist Beatons Liebe für die Historie: Hier nimmt sie Bänkellieder auf die Schippe.


Beatons Zeichenstil ist klassisch und sehr eigen zugleich. In typisch cartoonesker Weise führt sie ihre Charaktere oft gradlinig und klar gezeichnet ein, um sie dann zur humoristischen Steigerung ins Groteske entgleiten zu lassen. Als Autodidaktin, die ursprünglich eine völlig andere Ausbildung genossen hat, zeigt sie ein unglaubliches Gespür für die Verbindung von Pointe und grafischer Darstellung. Darüber hinaus kann sie aber auch echt tolle historische Kostüme zeichnen; muss man ja auch erst mal hinbekommen.

Kate Beatons Comicstrips machen einfach Freude. Auch wenn ihr Humor nicht immer direkt zugänglich ist – manchen bleibt er bestimmt auch gänzlich verschlossen –, lohnt sich die Mühe, ein, zwei Hintergründe zu recherchieren und danach drei Fakten mehr im Kopf zu haben, die man im Alltag garantiert nicht brauchen wird.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2021 Zwerchfell Verlag / Kate Beaton


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