Panini im Frühjahr 2020 - Interview zum Programm

Von schwarzen Witwen,
Blutsaugern, Wrestlern und Sternenkriegern –
Fragen an Alex Bubenheimer

Hallo Alex, zuletzt haben wir uns im April unterhalten. Zeit für einen kleinen Rückblick. Wie war das Feedback bei den Festivals, Messen und Conventions und welche Titel aus dem Programm des zweiten Halbjahrs 2019 sind bislang die Bestseller, welche die Ladenhüter?

Für die Messen und Veranstaltungen würde ich sagen, dass es Positives wie Negatives zu vermelden gibt. Generell muss man konstatieren, dass es inzwischen zu viele Events gibt, die sich um eine im internationalen Vergleich doch eher kleine Zielgruppe streiten. Ob das auf lange Sicht der deutschen Con-Szene guttut, wird sich zeigen. Aber konzentrieren wir uns erst mal auf die positiven Aspekte: Die Comic Cons in Köln (ccxp) und Stuttgart (CCON) haben wir als sehr gut erlebt – inhaltlich wie auch organisatorisch. Für uns bringen sie neue Leser und Umsatz, was uns natürlich freut. Das Festival München (und 2020 wieder Erlangen) ist ein Stück weit Familientreffen, und die Buchmesse in Leipzig macht einfach generell einen sehr guten Job. Unglücklich für Besucher und unsere Mitarbeiter war die geballte Terminflut 2019. Das entzerrt sich 2020 wieder etwas, dennoch ist es speziell im Juni/Juli noch immer sehr voll. Und eins verschlechtert sich leider ganz generell: Es wird immer schwieriger und teurer, Zeichner herzuholen. Das hängt mit deren Termindruck zusammen, aber auch damit, dass für die Zeichner, die den US-Markt bedienen, Con-Auftritte ein großes Business geworden sind. Ich denke, der Charakter der deutschen Messen wird sich in nicht allzu ferner Zeit ebenfalls deutlich ändern.

Die Top-Titel des Jahres bestehen zum einen erfreulicherweise aus sehr stabilen Backlist-Titeln, die sich erneut ganz oben platzieren konnten (Pokémon – Die ersten Abenteuer 1, Schattenspringer 1, Batman: Killing Joke), aber auch Neuheiten wie Batman: Damned 1, Stranger Things 1 (beide mussten bereits im Erscheinungsmonat in die zweite Auflage geschickt werden) und den Comics der Avengers Collection.
Ladenhüter? Ich wüsste nicht, dass auch nur ein deutscher Comicverlag einen einzigen Ladenhüter hätte … Okay, ernsthaft: Kingsman – Jagd auf Red Diamond ist bisher ein Flop, zugegeben nicht unerwartet.

Wie von dir schon angesprochen, sind Messen ein geeigneter Ort für Erstleserinnen und Erstleser, Comicluft zu schnuppern. Mit am spannendsten in eurem kommenden Programm scheint mir dann auch eine neue Rubrik, die genau auf diese Gruppe abzielt: »Graphic Novels für junge Leser«. Hier drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Wie unterscheidet sich diese Rubrik von »Mein erster Comic«? Und, da auch einige Superheldencomics und »Mein-erster-Comic«-Comics darin zu finden sind: Geht »Mein erster Comic« künftig in der Rubrik »Graphic Novels für junge Leser« auf?

Nein, das sieht nur deshalb grade so aus, weil wir diese Titel für den Handel aufgrund der ähnlichen Zielgruppe in einer eigenen Vorschau zusammengefasst haben. Die neue Programmschiene besteht in der Hauptsache aus Graphic Novels von DC Comics, die bisher unter deren Labeln »ink« und »zoom« bekannt waren. Mit »Mein erster Comic« sind wir sehr zufrieden und machen weiter.

Wie kam es zu der Idee, nach den Superhelden-Einsteigergeschichten nun auch Graphic Novels für den Nachwuchs aufzulegen?

Die Idee hatte ja DC, weil sich der amerikanische Markt gravierend verändert, und als wir die ersten Seiten und Kapitel der verschiedenen Projekte erhalten haben, waren wir begeistert. Das Spektrum reicht von Sachen wie Gregs Tagebuch mit Swamp Thing (!) bis zu eindringlichen Coming-of-Age-Geschichten, wo auch mal ein zerrüttetes Elternhaus nicht ausgespart wird. Andere sind lustig, wieder andere spannende Abenteuergeschichten – da ist für jeden was dabei. Dass die Protagonisten später einmal zu Superhelden oder Schurken werden, spielt nur bedingt eine Rolle und bietet somit ein großes Potenzial, einfach tolle Geschichten zu erzählen – mit dem Twist für die Fans, dass darin Wurzeln gelegt werden für Figuren, die in ihrem Erwachsenenleben zu Ikonen werden. Sie sind ganz anders erzählt als die episodenhafteren Titel von »Mein erster Comic«, was Länge, Zeichnungen und Inhalt betrifft.

Lass uns noch ein wenig auf das breite Spektrum eingehen. Es reicht von einer Art Superheldencomic mit Fußballer Cristiano Ronaldo als Titelheld über einen Harley-Quinn-Comic aus der Feder von Mariko Tamaki bis zu einem Comic von Zidrou und Ernst, der das Thema Leukämie behandelt. Eine schillernde Mischung ...

Wie gesagt, die Gruppierung täuscht hier eine höhere Homogenität vor, als dass das tatsächlich der Fall ist. Ronaldo ist einfach: Der Mann hat die größte Followerschaft in den sozialen Netzwerken überhaupt, da gibt es unsererseits gewisse Absatzerwartungen …
Glatzköpfchen ist, wie von Zidrou gewohnt, eine einfühlsame, lustige und eben keineswegs deprimierende Annäherung an das Thema Leukämie. Wir freuen uns, dass ein Teil der Auflage durch einen Schweizer Verein in Schweizer Kinderhospizen verteilt wird und hoffen sehr, dass einigen Kindern ein Lächeln ins Gesicht gezaubert wird und sie eine Weile ablenkt. Aber da es Zidrou ist, einer der besten französischen Autoren unserer Zeit, ist es auch ein Titel, den jeder lesen kann.

Kommen wir von den Superhelden für die Kleinen zu denen für die Größeren. Obwohl die Marvel Studios progressiver als die Konkurrenz von DC scheinen, haben sie sich mit einem ersten Solofilm für eine Superheldin bis zu Film Nummer 21 (!), Captain Marvel (2019) Zeit gelassen. Nun folgt endlich der schon vor Jahren von Fans geforderte Black Widow. Aber auch DC schickt mit Birds of Prey und Wonderwoman 1984 im nächsten Jahr schlagkräftige Frauen ins Rennen um die Gunst des Publikums. Ihr begleitet alle drei Kinostarts jeweils mit mehreren Publikationen. Was können die Fans erwarten? Und wie wichtig sind solche Comics, um (neue) Leserinnen fürs Superheldengenre zu gewinnen?

Ich freue mich sehr auf Black Widow! Was wir bieten, ist unser übliches Spektrum mit Anthologie, passenden Titeln aus der verlegerischen Vergangenheit in Neuausgaben und natürlich neues Material. Für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas. Wie wichtig diese Filme sind, um neue Leser/innen zu gewinnen, zeigen unsere Umsatzstatistiken und die wachsenden Balken im Buchhandel, wo wir vorwiegend neue Leser abholen. Früher haben Filme nur einen kurzen Ausschlag gebracht (Ausnahme war die Nolan-Trilogie), aber mit dem Beginn des Marvel Cinematic Universe hat sich das geändert. Die Filme geben nun wichtige Impulse, meist ab circa vier Monaten vor Filmstart und teilweise bis zu mehrere Jahre lang. Das ist schön.

Neue Filme in den Kinos, viel Neues auch bei den Heftserien: Die Avengers, Deadpool, Captain Marvel, The Amazing Spider-Man und die Guardians of the Galaxy bekommen allesamt einen Neustart verpasst. Auf welche Veränderungen müssen sich die Fans der Spandexträger einstellen? Und was bleibt den Hardcorefans, die die ständigen Reebots nicht mehr sehen können?

In den USA starten Deadpool und Guardians of the Galaxy mit einem neuen Kreativteam und mit einer neuen Nummer 1. Ob wir die Neustarts auch mitmachen, können wir erst sagen, wenn wir das Material gesichtet haben. Wenn es passt, setzen wir unsere deutschen Nummern fort. Gerade die Guardians erscheinen bei uns ja nur in gesammelter Form. Was die Reboot-/Relaunch-Müdigkeit der Hardcorefans betrifft, müssten sie dir diese Frage selbst beantworten. Ich persönlich halte es damit: Es kommt mir vor allem auf gut erzählte Geschichten an. Ob das in ein Kontinuitätskorsett passt, zu dem die aktuelle Geschichte mit dem Heft Wunderbär und seine fröhlichen Kumpels 221 von vor 34 Jahren im Widerspruch steht, ist mir wurstegal. Wenn immer alles so bleiben soll, wie es ist, gewinnt die Szene keine neuen Leser und dann hat auch der Hardcorefan nur noch wenig Spaß an seinen alten Longboxen.

Auch bei den alten Recken Batman und Superman tut sich etwas. Hier müssen sich die Szenaristen ja stets Neues einfallen lassen, um diese langlebigen Comichelden am Leben zu erhalten. Beim Dunklen Ritter erscheinen mir die Bearbeitungen durch Scott Snyder und Neil Gaiman vielversprechend. Wie packen diese den Vigilanten aus Gotham an?

Siehst du, hier antwortest du indirekt selbst auf deine vorherige Frage, dass das Genre den Wandel braucht, um sich nicht selbst zu ersticken. Snyder bringt mit seinem kongenialen Partner Capullo einen Blick auf ein mögliches Ende von Batman – der Neil Gaiman ist eine Neuauflage und für jeden empfehlenswert. Gaiman halt.

Beim Mann aus Stahl kommt endlich der lang erwartete Superman: Year One aus der Feder von Frank Miller, einem Autor, an dem sich die Geister scheiden. Die US-Kritiken reichen von Begeisterungsstürmen bis Verrissen. Mich persönlich hat schon lange kein Miller-Comic mehr überzeugt. Kriegt der Altmeister noch einmal die Kurve oder hat er seinen Zenit endgültig überschritten?

Er hat als Autor auch schwache Titel abgeliefert, aber selbst Shakespeare hat mehr und weniger gelungene Werke verfasst (liebe Anglisten/Germanisten/Literaturwissenschaftler: nur ein Beispiel, kein direkter Vergleich). Die neuen Superman-Bände sind nicht von ihm gezeichnet, sondern von Romita, und persönlich finde ich, dass das gut so ist, was deine Frage vielleicht teilweise beantwortet.

Für alle, die mit Capeträgern nichts anfangen können, lohnt sich ein Blick in eure Comicsparte. Hier habt ihr mit Prodigy, Sharkey und Space Bandits gleich drei neue Titel von Mark Millar im Programm. Kannst Du verraten, was sich hinter den auf den ersten Blick sehr unterschiedlich anmutenden Comics verbirgt? Und kann Millar bei seinem enormen Output seine zuletzt in The Magic Order gezeigte Qualität halten?

Plus die Fortsetzung von Chrononauts. Danke, dass du Magic Order erwähnst. Den fand ich richtig, richtig gut und ein passendes Beispiel dafür, dass Millar nicht nur stets unterhaltsame Comics, sondern auch ganz überraschende unterhaltsame Comics schreiben kann. Wir haben alles von Millar im Programm, und die Kombination mit Netflix lässt viele Leute aufmerksam werden, die Millar bisher nicht kannten. Auch Magic Order ging im zweiten Monat in die Zweitauflage … Zeichnerisch ist das eh überdurchschnittlich, weil er seine Zeichner gut behandelt.

Für Fans der Sternenkriege gibt es gleich zwei Anthologien, eine über Luke Skywalker, eine über Darth Vader, die als »Geschenkbücher« beworben werden. Ist das lediglich eine Marketing-Strategie oder kommen diese zwei Anthologien anders als die üblichen Superhelden-Anthologien daher? Und hätte sich als Geschenkbuch nicht ein Veröffentlichungstermin noch im alten Jahr vor Weihnachten angeboten?

Nein, das Konzept basiert auf den Superhelden-Anthologien, also mit vielen Zusatzinfos zwischen den Geschichten. Etwas anders ist es hinsichtlich des Alters der Geschichten, da wir nur den Disney-Marvel-Kanon verwenden können, es finden sich also keine Comics aus den Achtzigern, Neunzigern und Nullerjahren darin. Was den Veröffentlichungszeitpunkt betrifft: Weihnachten ist egal, der aktuelle Film ist wichtiger, aber es hat halt erst auf Januar geklappt.

Für Gruselfans habt ihr einen ganz besonderen Leckerbissen im Programm: Marv Wolfmans The Tomb of Dracula als dreibändige Dracula Classic Collection. Richtig dicke Brocken, oder?

Drei fette Bände werden es, gleiche Aufmachung wie die Conan Classic Collection, und wir legen im zweiten Halbjahr sogar noch mit anderem Material nach. 2020/2021 werden ein Fest für Nostalgiker.

Und für Fans des Skurrilen habt ihr neue Comics von Gustavo Duarte (Monster!) im Angebot. Ihr habt den Sammelband als »weltweit exklusiv« angekündigt. Wird Das Kabinett der Wunder in dieser Form nur in Deutschland erscheinen?

Ich denke schon. Enthalten sind die Kurzgeschichten, die nach Monster! entstanden und bisher nur in Brasilien erschienen sind, sowie eine neue Kurzgeschichte exklusiv für unsere deutsche Ausgabe. Kommt in gleicher schöner Ausstattung wie der Vorgängerband und kann von Gustavo persönlich signiert werden, wenn er im März in Deutschland ist. Ich freu' mich sehr auf den Band und auf Gustavo.

Grafisch umwerfend sehen die ersten Bilder aus Mirka Andolfos neuem Comic Mercy aus. Wie lief denn ihr ControNatura bei euch? Und welche Geschichte erzählt sie in ihrem neuen Comic?

Mirka ist scheinbar hyperaktiv und zeichnet mindestens 26 Stunden am Tag, wenn man ihren Output anschaut. Mercy unterscheidet sich deutlich von ControNatura – neben den menschlichen Protagonisten in einem Fantasy-Umfeld mit Gothic-Anklängen liegt hier keine Gesellschaftskritik im Subtext. In Lucca war zur Premiere der Wahnsinn los. Und deshalb erzähle ich dir nichts drüber: Lies ihn.

Erzählerisch aufregend scheint wiederum ein deutsches Debüt. In Crystal.klar erzählt der Ex-Junkie Dominik Forster in Zusammenarbeit mit Stefan Dinter und von Andreas Butzbach gezeichnet seine bewegte Lebensgeschichte. Wie seid ihr auf das Crowdfunding-Projekt aufmerksam geworden und wie ist es letztlich bei Panini gelandet?

Ehre, wem Ehre gebührt: Dominik Forster (ein bekennender Comicfan) kam auf uns zu, weil er der Meinung war, dass seine Geschichte in dieser Form leichter an die Zielgruppe vermittelbar ist. Und unser Chefredakteur Jo hat gleich »Jo« gesagt. Wir haben dann den Kontakt zu allen Beteiligten vermittelt und los ging’s. Dominik hat was zu erzählen (macht er auch auf Dauertour an Schulen). Es lohnt sich, diesen Comic zu lesen, auch wenn es wirklich keine leichte Kost ist.

Und nun zu einem echten Kuriosum: Nach Comics zu Filmen, Fernsehserien und Computerspielen steigt ihr nun auch ins Sportsegment mit Comics über Wrestling ein. Hier scheint mir der Band über den Undertaker interessanter als die Anthologie über die spannendsten Kämpfe der WWE-Historie. Worum geht's in Undertaker - Rise of the Deadman?

Wir hatten schon Magazine und Kalender, fremd ist uns das nicht. Die Szene hat Zulauf, und diese Comics sind gut gemacht – beides ein Argument, es zu probieren. Welcher Band für die Fans interessanter sein wird, ist schwer zu sagen – der Undertaker ist einer der beiden bekanntesten und beliebtesten Wrestler (und am längsten dabei), aber ein Best-of funktioniert eigentlich immer gut, nicht nur in den Musikcharts …

Zuletzt die obligatorische Schlussfrage: Welcher Titel liegt dir in diesem Programm besonders am Herzen? Und warum?

Glatzköpfchen und Das Kabinett der Wunder, die in vorigen Fragen aufgetaucht sind und wo meine Begeisterung bereits durchklang, und die Batman-Schwarz/Weiß-Komplettausgabe, weil das tolle Geschichten waren, die von einer Vielzahl an unglaublich talentierten Zeichnern umgesetzt wurden.

Die Fragen stellte Falk Straub

Abbildungen © Panini Comics, Boom Entertainment

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