Frisch Gelesen Folge 220: Knights of Sidonia Band 1

 

»Bisherige Reisedauer der Sidonia: 1009 Jahre, 11 Monate und 25 Tage. Wir schreiben das Jahr 3394, kein Kontakt zu anderen Schiffen.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Knights of Sidonia Master Edition 1

Story: Tsutomu Nihei
Zeichnungen: Tsutomu Nihei

Manga Cult (Cross Cult )
Hardcover | 408 Seiten | s/w | 28,00 €
ISBN: 978-3-964333-61-2

Genre: Mecha/Science-Fiction

Für alle, die das mögen: Neon Genesis Evangelion, Attack on Titan, Klein gegen Groß



Das Ende der Menschheit wieder einmal – zumindest fast. Denn in Tsutomu Niheis Knights of Sidonia können sich ein paar Überlebende auf das Raumschiff Sidonia retten und so dem Tod durch die Gauna entkommen, die als munter mutierende biologische Masse durch den Weltraum wandern. Die Sidonia dümpelt seitdem über 1000 Jahre durch das All stets mit der Gefahr durch eben jene Gauna im Hintergrund. Aber die Menschheit wäre nicht die Menschheit und ein Mecha-Manga nicht ein Mecha-Manga, wenn sich die Überlebenden nicht mit übergroßen Kampfrobotern zu helfen wüssten.


Die Mecha stehen in der Geschichte eher im Hintergrund, es sind seltene große Bilder, in denen sie wuchtig und gigantisch wirken.


Mit dem ersten Band der Master Edition erscheint nun eine hochwertige Hardcover-Ausgabe bei Cross Cult, die diesem Manga die passende Aufmachung verleiht. Sieht eben im Regal einfach schicker aus als die Taschenbuch-Ausgaben, die einst bei Egmont rauskamen.

Nihei arbeitete an der Serie bereits von 2009 bis 2015 und für den 50-jährigen Mangaka dürfte sie im Rückblick ein wichtiges Werk für sein Schaffen sein. Denn er fand in dieser Serie endlich zu einem souveränen Erzählen. Auch wenn der Plot manchmal unübersichtlich werden mag, zieht in so einem Fall dann die Atmosphäre durch die Story.

Zentrales Element dieses Manga bleibt Niheis Vorliebe für Mutationen aller Art, weswegen die Mecha nicht einmal wirklich Eindruck hinterlassen. Stattdessen mutiert und metamorphosiert hier jedes Exemplar der gigantischen Gauna vor sich hin. Greifarme, Tentakel, Plazenta, Muskeln, Wirbel: In Knights of Sidonia ist alles drin.


Gauna mutieren munter vor sich hin – was nicht nur für Atmosphäre, sondern auch für ziemlich eindringliche Bilder sorgt.


Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Jugendliche Nagate Tanikaze. Er muss als Nachwuchspilot im Kampf gegen die Gauna ran. Und ziemlich schnell kommt das konventionelle Erzählmuster raus: Die Geschichte begleitet mal wieder einen Hochbegabten. Vielleicht weil Nagate keine genetische Modifizierung hat? Er braucht Nahrung im Gegensatz zu seinen Kollegen, die längst auf Photosynthese umgestiegen sind.

Allerdings zeigt Nihei im ersten Teil von Knights of Sidonia nicht wirklich viel Interesse an seinen Charakteren. Klassische Elemente von Seifenoper und Romantik verarbeitet er zwar, geht ihnen aber nicht nach. Zumal weibliche Figuren hier gerne mal nackt auftauchen. Oder es kommt zu doppeldeutigen und naiven Szenen zwischen Nagate und den verschiedenen Frauen. Das steht dann doch eher der Entwicklung der Figuren im Weg, weil es zu oft Klischee wird. Dafür macht Knights of Sidonia etwas anderes aus.

Da sind die schwarzweißen und geradezu kalten Zeichnungen, die Nihei per Layout in eine perfekte Lesegeschwindigkeit bringt. In den besten Momenten fühlt sich Knights of Sidonia wie ein dunkler Albtraum an, bei dem sich Lovecraft und Neon Genesis Evangelion vermischt haben. Denn dieser Manga macht bereits nach den ersten Seiten klar: So entfernt sind wir von dieser Welt nicht.


Niheis Kompositionen bestechen durch den Raum und Fluchten, in deren sich die Figuren bewegen. 


Munter mutierendes Fleisch, Menschheit auf einem kalten Stein, der durch den Weltraum irrt, dazu die Hoffnung, dass Technik uns alle schon retten wird – irgendwie. Um diesen Schluss zu ziehen, braucht es nicht einmal viel. Und Knights of Sidonia ist mitnichten ein philosophischer Manga. Aber eben ein sehr atmosphärischer Manga, der einen finsteren Sog hat. Eben auch, weil das hier stellenweise so wenig Sinn macht. Ursache und Wirkung? Moral? Natürlich verhandelt dieser Manga das. Nur eben nicht in einer Tiefe, die dem unterhaltenden Charakter im Wege steht. (Neon Genesis Evangelion, ich schaue zu Dir.)

Wenn Nihei die Zeichnungen dann in unübersichtliche Schlachtszenen bringt, fühlt sich der Leser endgültig verloren und allein. Nur durch die Anlage dieser Szenen entstehen Geräusche in diesem Manga. Auf dem riesigen Raumschiff Sidonia bricht ein Teil einer gigantischen Stadt ein. In zwei breiten Panels lässt Nihei die Opfer in den Tod stürzen. Alles ohne ein einziges Wort, ohne viel Hintergrund, bevor dann im abschließenden dritten Panel die Sounds umso lauter einsetzen. Überhaupt die Architektur und der Einsatz von Raum ist in diesem Manga ein wunderbares Beispiel, wie ein Künstler dem Leser das Gefühl von Winzigkeit geben kann.


Der Einsatz von Soundwords bei Nihei entfaltet eine ganz eigene Wirkung, die den Schrecken des Geschehens noch unterstreicht. 


Wie so oft gilt: Wenn die Erde am Ende ist, kommt meistens gutes bis sehr gutes Manga-Material dabei heraus. Diese Serie bestätigt es. Wieder einmal. Und ziemlich souverän.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2021 Manga Cult / Cross Cult, Tsutomu Nihei


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