Hinweis zu ALFONZ Nr. 2/2025

Aufgrund der nicht korrekten Übernahme der Druck-PDFs bei der Weiterverarbeitung fehlen auf fünf Seiten der aktuellen Ausgabe unseres Comicreporters letzte Sätze von Rezensionen und Kurztexten. Hier gibt es ein PDF mit allen fünf Seiten.


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Frisch Gelesen Folge 437: Aale und Gespenster

»Später erzählte man sich von den Aalen. Sie wären in diesem Sommer außergewöhnlich fett geworden und vermehrten sich wie verrückt! Aber niemand wollte sie essen.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Aale und Gespenster

Story: Marius Schmidt
Zeichnungen: Marius Schmidt

avant-verlag
Softcover | 224 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-96445-132-3

Genre: Historisches, Krimi

Für alle, die das mögen: Irmina, Columbusstraße



Wer Aale und Gespenster liest, wird Zeuge eines Vorgangs, den die wenigsten deutschsprachigen Künstler:innen bewerkstelligen können. Doch der 1983 in Braunschweig geborene Marius Schmidt schafft dies wie nebenbei auf den etwas mehr als 220 Seiten dieses Comics: Er überträgt sein Thema in eine Erzählung. Was als Aussage profan anmutet. Jedoch bei vielen anderen Comics nicht passiert.

Im Sommer 1947 machen Casimir und Rimsky ihr Geld mit dem Ausschlachten eines Wracks in der Lübecker Bucht. Die Cap Arcona wurde von der Royal Air Force in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bombardiert. An Bord befanden sich allerdings mehr als 4000 KZ-Häftlinge.

Zeitsprung: Noch vierzig Jahre später lassen sich die Spuren dieser Katastrophe an der Küste bemerken. Die Polizei findet öfters Skelette, die sie dem damaligen Schiffsunglück zuordnet. So auch auf dem Campingplatz des ergrauten Casimir. Nur wird schnell klar, dass dieses Skelett stummer Zeuge einer ganz anderen Tragödie ist.

Bereits am Inhalt wird deutlich, dass es Schmidt nicht nur um Aufarbeitung geht, sondern ums Erzählen. Aale und Gespenster ist kein Krimi nach bekanntem Schema, aber eben doch ein Krimi. Ein Krimi, der mit Drama und Nachkriegsliteratur anbandelt. Schmidt springt so gekonnt durch die verschiedenen Zeitebenen, dass dies manchmal kaum auffällt.

Zudem hält der Berliner Künstler die passende Distanz zu seiner Geschichte. Nie wird es anbiedernd, nie wird es pastoral. Kein Charakter wird sympathisch. Weil sich überall ein Geheimnis verbirgt und es in den chaotischen Nachkriegsjahren kaum Sicherheiten gibt. Mancher träumt von einem Neuanfang. Doch die Geister der Vergangenheit holen sie alle ein.

Diese Ungewissheit bringt Marius Schmidt nicht nur erzählerisch unter. Sein Layout kommt ohne Panelgrenzen aus. Alles verschwimmt oft zu einem großen Bild mit verschiedenen Szenen, in dem Schmidt den Blick meisterhaft lenkt – manchmal selbst gegen Lesegewohnheiten.

Wie in der See die Toten unter Wasser nur als Umrisse sichtbar werden, zieht Schmidt uns durch die Untiefen dieser Geschichte und lässt doch genug Dinge offen. Wer genau hinschaut, wird sehen, was er sehen muss, was er sehen will, was er sehen kann. Der Einsatz von Aquarell verstärkt dieses Gefühl noch. Und Schmidt lässt in Aale und Gespenster nie eine Idylle entstehen.

All dies macht Aale und Gespenster zu einem erschütternden Comic. Die Ignoranz, der Wille zum Neuanfang und dem schnellen Vergessen: Schmidt findet die richtigen Mittel, um sie im Comic zu zeigen. Es ist eine beeindruckende Erzählung in beeindruckenden Bildern. Hier kündigt jemand an, dass in Zukunft noch spannende Werke von ihm zu erwarten sein werden.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2025 avant-verlag / Marius Schmidt


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