Hinweis zu ALFONZ Nr. 2/2025

Aufgrund der nicht korrekten Übernahme der Druck-PDFs bei der Weiterverarbeitung fehlen auf fünf Seiten der aktuellen Ausgabe unseres Comicreporters letzte Sätze von Rezensionen und Kurztexten. Hier gibt es ein PDF mit allen fünf Seiten.


Featured

Frisch Gelesen Folge 438: Die letzte Einstellung

 

»Sie glauben nicht mehr an den Endsieg, Professor?«
»Ich glaube nur an die Kunst.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Die letzte Einstellung

Story: Isabel Kreitz
Zeichnungen: Isabel Kreitz

Reprodukt
Hardcover | 312 Seiten | s/w | 29,00 €
ISBN 978-3-95640-452-8

Genre: Historische Graphic Novel

Für alle, die das mögen: Columbusstraße, Die Sache mit Sorge, Die 3 Adolfs



Wie es läuft, wenn drogensüchtige Narzissten Chefs werden, hat uns in letzter Zeit Elon Musk eindrücklich vorgeführt, aber natürlich ist er nicht der erste Irre, der mit viel Aufwand völlig absurde Projekte verfolgt. So war zum Beispiel das Ende der Naziherrschaft von ihnen erheblich geprägt. Dass Deutschland den Krieg verlieren würde, war seit spätestens 1943 klar, aber die Nazis und viele ihrer Anhänger konnten es nicht glauben, vermutlich auch, weil sie unter Drogen standen: Pervitin, das deutsche Speed, ließ die Leute überschnappen und war lange weit verbreitet, im Führungskreis gehörte es zum Alltag. (Davon erzählt sehr schön Spirou präsentiert 05: »Rummelsdorf 2 – Der Patient A«).

Vor diesem Hintergrund wirkt es nicht mehr so abwegig, dass Ende 1944, als Deutschland längst in Trümmern lag, Propagandaminister Joseph Goebbels ernsthaft glaubte, mit dem Propagandafilm Das Leben geht weiter das Volk gegen alle Wahrscheinlichkeit für den Endsieg mobilisieren zu können. Gut möglich, dass er die Idee zu dem Durchhaltedrama selbst hatte, jedenfalls sorgte er dafür, dass es für die Dreharbeiten im Studio Babelsberg, die am 20. November 1944 begannen, keine Versorgungslücken oder -engpässe gab: Von technischen Geräten, Filmmaterial und Studios bis zu Komparsen war für alles gesorgt – während rundherum Menschen starben oder im Schutt lebten und die Stadt täglich bombardiert wurde.

Was wir über diesen Film wissen, hat der Regisseur und Filmhistoriker Hans-Christoph Blumenberg in seinem 1993 erschienenen Buch Das Leben geht weiter – Der letzte Film des Dritten Reichs zusammengetragen. Vor rund 20 Jahren bekam die Hamburger Comickünstlerin Isabel Kreitz dieses Buch zum Geburtstag geschenkt, und schon bald hatte sie die Idee, über den Film, von dem fast nichts übrig ist, eine Graphic Novel zu machen (falls es den Begriff damals schon gab?). Bis zum Start dauerte es ein wenig, dann arbeitete sie acht Jahre daran, doch jetzt ist Die letzte Einstellung endlich erschienen. Und das vorab: Das Warten hat sich gelohnt.

Das Buch ist kein Dokucomic, sondern ein Roman. Die Hauptfiguren sind der »verbotene Autor« Heinz Hoffmann, der sehr deutlich Erich Kästner nachempfunden ist, und dessen Geliebte Erika Harms. Erika arbeitet in Babelsberg und bringt Heinz, der in Deutschland geblieben ist, weil er, wie er selbst sagt, später die Zeit dokumentieren will, in der Produktion von Das Leben geht weiter unter. Heinz ist hin und her gerissen: Einerseits will er mit dem Regime nicht paktieren, andererseits möchte er kreativ arbeiten und hat keine Alternative. Außerdem liebt er die Anerkennung.

Das Buch ist lang und sehr dicht. Wie in vielen ihrer Bücher erzählt Isabel Kreitz nicht nur eine Geschichte, sondern auch von einer Zeit. Jedes Bild wimmelt von Details, die die Atmosphäre spüren lassen und den vielen Figuren einen nachvollziehbaren Rahmen geben. Da ist zum Beispiel der schmierige Mitläufer Menzel, der sich schon 1933 bei einer Filmpremiere über das Lob des Führers freut und 1944 bei einer anderen Premiere Hoffmann denunziert. Da gibt es 1933 die ersten Bücherverbrennungen und zwölf Jahre später den Stammtisch der letzten aufrechten Intellektuellen. 1933 zerstören die Nazis so schnell es geht das normale Leben, 1944 ist auch alles andere kaputt, die Straßen, die Häuser, die Menschen.

Und es gibt ein Paar. Das Anfangs keines ist: 1933 haben Heinz Hoffmann und Erika Harms eine Liebelei, die der Mann nach etwas Vögeln beendet – um die Folgen darf sich die Frau, wie im Patriarchat üblich, alleine kümmern. Ein Besuch bei einer Engelmacherin beendet die elende Episode, die keiner Fortsetzung bedarf, doch 1944 steht Heinz vor Erikas Tür: ausgebombt. Kann ich hier wohnen? Ja, okay. Der zerknautschte Mann auf dem Sofa rührt die Frau, und so besorgt sie ihm einen Job in der Produktion, in der auch sie arbeitet. Regisseur Wolfgang Liebeneiner weiß um Hoffmanns Berufsverbot und besorgt ihm eine Genehmigung – der Film ist kriegswichtig! Hoffmann kniet sich rein und verlässt, als die Lage in Babelsberg zu unsicher wird, mit der Filmcrew die Stadt, um im norddeutschen Bardowick Außenaufnahmen zu machen. Bis es in Berlin wieder besser läuft … Als ob!

Auf dem Land nimmt das Drama eine Wende ins Groteske: Die Filmleute filmen, als gäbe es ein Morgen und werden dabei misstrauisch von den Einheimischen beobachtet. Inspiriert wurde Kreitz dazu unter anderem von einem weiteren, ganz anders gearteten, aber ähnlich absurden Filmprojekt aus der Zeit: Am 28. März 1945 begannen in Mayrhofen Dreharbeiten zu Das verlorene Gesicht. Also zumindest theoretisch. Tatsächlich hatte sich eine Gruppe von etwa 60 bis 70 UFA-Leuten aus dem mittlerweile lebensgefährlichen Berlin abgesetzt, um angeblich Außenaufnahmen im Zillertal zu drehen. Es gar nur ein Problem: Sie hatten kein Filmmaterial. Also simulierte die gesamte Crew bis zur Befreiung Tag für Tag Dreharbeiten, um nicht als Drückeberger enttarnt und erschossen zu werden. Bekannt ist das auch nur, weil der damalige Drehbuchautor vor Ort die Geschichte nach dem Krieg aufgeschrieben hat: Erich Kästner.

Kästner ist der dunkle Schatten, der das Buch zusammenhält. Isabel Kreitz hat mehrere seiner Kinderbestseller (Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton, Der 35. Mai, Das doppelte Lottchen) in wunderschöne Comics verwandelt, sich dabei natürlich auch mit dem Autor beschäftigt – und ist dabei scheinbar zu keinem sonderlich erfreulichen Ergebnis gekommen. Kästners Alter Ego Hoffmann ist jedenfalls ein Durchwurschtler, der jammert, wenn Zwangsarbeiter bei den Dreharbeiten eingesetzt werden und als Feingeist kleine Spitzen ins Drehbuch schmuggelt, aber es letztlich nicht wahrhaben will, dass er auf der Seite der Täter steht. Davon will er auch nach dem Krieg nichts wissen, doch seiner Strafe entgeht er nicht: Er lebt mit der verbitterten Erika – eine Ehe aus der Hölle.

[Peter Lau]

Abbildungen © 2025 Reprodukt / Isabel Kreitz


Kauft den Comic im Fachhandel oder direkt beim Verlag: Reprodukt