Frisch Gelesen Folge 54: Also schwieg Zarathustra

Also schwieg Zarathustra

»… ein Ort des Teilens, wo ein jeder sich frei ausdrücken kann … sein Wissen austauschen … seine Projekte verwirklichen … ein Ort, der Pilger, Forscher, Wissenschaftler und Künstler jeglicher Couleur aufnehmen soll. Dieser Ort ist der unsere, der eure!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Also schwieg Zarathustra

Also schwieg Zarathustra

Story: Nicolas Wild
Zeichnungen: Nicolas Wild

Egmont Graphic Novel
Softcover mit Klappenbroschur | 222 Seiten | s/w | 19,99 €
ISBN 978-3-7704-5515-7

Genre: Religion, Sachcomic, Krimi

Für alle, die das mögen: moderner Iran, Leben in anderen Ländern, ruhige Krimis mit Hintergrund, Zoroastrismus, Joe Sacco


 

Der Klappentext macht neugierig: Die vorliegende Graphic Novel ist nicht nur ein Krimi und ein Blick auf den modernen Iran, sondern auch noch ein »Ausflug in die uralte, exotische Religion der Zarathustren«.

Und bereits hier erfolgt der erste Lerneffekt: Die Anhänger dieser Religion heißen Zoroastrier! Ein kurzer Blick auf Wikipedia hilft weiter: Die Religion ist zwischen 2600 und 3800 Jahre alt, heute nicht mehr so stark verbreitet, in Indien und dem Iran sowie in den USA und Kanada aber noch durchaus lebend und – wie fast immer bei so alten Religionen – von verschiedenen Schulen geprägt. Weithin bekannte Persönlichkeiten dieser Religionszugehörigkeit sind allerdings bis auf Freddie Mercury, den ehemaligen Queen-Sänger, eher aus dem Geschichtsunterricht geläufig. Dieses Vorwissen ist aber für das Verständnis der Geschichte nicht wirklich notwendig, denn die religiösen Grundlagen und (eine mögliche) Herkunftsgeschichte werden ausführlich und in kleinen aufeinander aufbauenden Häppchen serviert.

Also schwieg Zarathustra Leseprobe

Trotzdem ist Also schwieg Zarathustra kein dröger Sachcomic!

Die Geschichte spielt auf verschiedenen Zeitebenen und ist in drei Teilen aufgebaut, welche den drei Glaubensgrundsätzen »Gut denken«, »Gut reden« und »Gut handeln« zugeordnet sind. Im Vordergrund steht dabei der Wunsch des Ich-Erzählers, die Hintergründe des Mordes an Kyros Yazdani aufzuklären und das Ganze als Comic festzuhalten. Professor Kyros Yazdani lebte sowohl in Genf, als auch im Iran und setzte sowohl sein Vermögen, als auch seine Beziehungen ein, um sowohl die zoroastrische Gemeinde, als auch die Kunst im Allgemeinen zu fördern.

Die Religion des Propheten Zarathustra ist zwar im Iran mit wachsenden Anhängerzahlen gesegnet, entspricht aber keinesfalls der iranischen Spielart der Islamauslegung. In vielen kleinen Szenen wird einerseits die Gefahr und die Bedrohlichkeit der Revolutionswächter, sowie die strikte Formierung zu einem Gottesstaat durch Khomeini und Ahmadi-Nezad geschildert, andererseits aber auch die Freiheit zur Versammlung und zum Aufbau eines kulturellen Zentrums, das nicht etwa klandestin, sondern in relativer Offenheit geplant, gebaut und eröffnet wird. Im Gegensatz dazu steht allerdings der Verdacht, dass die Ermordung eines führenden Vertreters dieser Religion möglicherweise direkt oder indirekt mit der Staatsführung in Verbindung stehen könnte. Auch wenn es sich bei der Geschichte dieses Comics um reine Fiktion handelt, sind Anklänge an tatsächlich stattfindende Begebenheiten in geographischer Nähe zu den geschilderten Ereignissen wohl nicht ganz zufällig.

Also schwieg Zarathustra Leseprobe

In die Geschichte verwoben sind kleine Alltagsbegebenheiten, die aktueller nicht sein könnten: Flüchtlinge aus Afghanistan versuchen sich in Europa durchzuschlagen, Verwandte wieder zu finden und zu überleben. Ihre Parallelgesellschaft hat Berührungspunkte zu unserer und ist doch nur wenigen ersichtlich. Auch hier verzichtet Nicolas Wild auf eine moralische Bewertung, sowohl der Umstände als auch aller Akteure und überlässt dem Lesenden die Einordnung.

Haupthandlungsstrang ist aber eine Reise in und durch den Iran zur Eröffnung des oben angesprochenen Kulturzentrums, zusammen mit der Tochter des Ermordeten. Neben kulturellen Informationen und Einblicken in die aktuelle Situation des Iran (2007) werden dabei die Religion und ihre Glaubensgrundsätze ausführlich beschrieben.

Also schwieg Zarathustra Leseprobe

Ist das spannend?

Ja, sogar deutlich mehr als erwartet. Der Ton von Nicolas Wild ist angenehm unaufdringlich und überhaupt nicht belehrend. Die graphische Umsetzung wechselt zwischen sehr detaillierten Zeichnungen und fast schon karikaturartiger Beschränkung auf das Wesentliche. Der ständige Perspektiven-, Zeit- und Ortswechsel ist sehr abwechslungsreich und nicht zuletzt spielt Wild oft genug mit den Erwartungen seiner Leser, um dann doch eine überraschende Wendung einzubringen. Den Prix France Info 2014 hat das vorliegende Werk nicht zu Unrecht gewonnen.

In der Gesamtbetrachtung bietet diese Graphic Novel vor allem eines, nämlich Überraschungen und die Widerlegung von Vorurteilen: Es ist keine Selbstfindungsstory, die mit mangelhaftem Können vorgetragen wird, das Leben im Iran ist deutlich vielschichtiger als der Tagesschau-Genuss suggeriert. Illegale Reisen werden nicht nur auf dem Mittelmeer durchgeführt, sondern auch deutlich kleiner und unauffälliger, aber die Migranten sind keine Schmarotzer und tiefreligiöse Menschen können trotzdem offen für andere Ideen sein.

Nicolas Wild begann als Illustrator von Kinderbüchern und sieht sich selbst als Beobachter und bloggt daher auch schon während des Erstehungsprozesses über seine Reisen, seine Eindrücke und seine Geschichten. Dieser journalistische Ansatz wird immer wieder deutlich und ist für mich eine Kauf- und Leseempfehlung wert!

Also schwieg Zarathustra Leseprobe

Zum Schluss meine übliche Empfehlung einer passenden Hintergrundmusik. Weltmusik ist das Genre, das mir dazu einfällt, vielleicht in einer Mischung mit Lounge und Jazz. Und instrumental sollte es sein!

[Sven Krantz-Knutzen]

Abbildungen © 2015 Egmont Graphc Novel/Nicholas Wild


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