Frisch Gelesen Folge 354: Drinnen

 

»Jungs …
Ich fühl‘ mich so …
Komisch …
Irgendwas …
Irgendwas stimmt nicht …«


FRISCH GELESEN: Archiv


Drinnen

Story: Sascha Dörp
Zeichnungen: Sascha Dörp

Kult Comics
Hardcover | 256 Seiten | Farbe | 35,00 € (auf 50 Ex. lim. VZA mit sign. Exlibris: 50,00 €)
ISBN: 978-3-96430-353-0 (VZA-ISBN: 978-3-96430-354-7)

Genre: Horror, Mystery, Independent

Für alle, die das mögen: Und täglich grüßt das Murmeltier (1993), Zeitschleifenfilme


 

Seit Und täglich grüßt das Murmeltier habe ich ein Faible für Zeitschleifenfilme. Obwohl die meisten dieser Filme sich doch eher als schlechte Kopie herausstellen (z.B. Palm Springs), sich zu ernst nehmen (Edge of Tomorrow) oder comichaft überzogen sind (Boss Level mit dem manchmal meisterhaften, manchmal unerträglichen Mel Gibson), schaue ich immer wieder gerne zu. Der Zeitschleifencomic Drinnen von Sascha Dörp ist also schon deshalb bei mir positiv aufgeschlagen, musste aber auch dem entsprechenden Erwartungsdruck standhalten. Ohne etwas vorwegnehmen zu wollen, ich bin nicht enttäuscht worden.

Angekündigt als Horror hält man ein durchaus bibliophiles Buch mit einem blutigen »I« auf dem Cover und einem ebenfalls blutigen Hammer auf der ersten Seite in Händen. Der erste Eindruck vermittelt ein tristes Bild, Plattenbau, regnerisches Wetter, ein Mann stürzt in die Tiefe. Sparsame, monochrome Farbgebung, gezeichnet in »dreckigen Strichen«, wie Sascha Dörp es selbst in seinem Blog erzählt. Aber natürlich fängt alles ganz harmlos an – keine große Überraschung.

Trist: ein Leben in der Platte.


5:00 Uhr morgens, Zeit zum Aufstehen, Zeit in die Schule zu gehen. Da es aber in Strömen regnet, fällt die Schule aus. Nach dem Tod des Vaters lebt Oliver mit seiner Mutter in einem anonymen Plattenbau und überlegt nun, wie er den Tag rumkriegen soll. Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Entweder man legt sich mit den Amoks an, zu denen der Sohn des Hausmeisters gehört, oder man schließt sich der Schwarzen Krake an, sechs anderen Kindern, die sich im 18. Stock des Plattenbaus treffen, um Debil, ein drei Jahre nach seiner Veröffentlichung indiziertes (und inzwischen wieder vom Index genommenes) Album der Ärzte, zu hören oder Ein Colt für alle Fälle anzuschauen. Der popkulturelle Referenzrahmen macht klar: Dörps Geschichte spielt in den 1980ern.


Popkultureller Referenzrahmen zwischen den Ärzten ...


... und Colt Seavers.


So weit, so gut, aber plötzlich ändert sich die Stimmung. Irgendetwas stimmt nicht, manche Dinge scheinen sich zu wiederholen, die Perspektive ändert sich. Nachdem Oliver seine Sicht der Geschichte geschildert hat, kommen jetzt Tobi, danach Marcel zu Wort.

Der Blickwinkel ändert sich, die grundsätzlichen Abläufe nicht; es sind nur Nuancen, die zunehmend Widersprüche aufdecken. Die werden irgendwann so groß, dass man merkt, dass etwas mehr als Ungewöhnliches passiert sein muss.

Ohne groß zu spoilern, kann man eigentlich nicht mehr zu der Geschichte erzählen. Die Entwicklung von der tristen und langweiligen Plattenbauidylle hin zu einem durchaus spannenden Verlauf eines ungewöhnlichen Plots – Horror wäre aus meiner Sicht vielleicht etwas überspannt – ist wirklich gelungen. Die Auflösung hingegen ist an den Haaren herbeigezogen, aber das ist nicht negativ zu bewerten. Der Bruch der Geschichte ist der Dramaturgie oder einfach dem Format der Veröffentlichung geschuldet.

 


Leg dich nicht mit den Amoks an!


Sascha Dörp hat den Comic auf Instagram veröffentlicht – geplant waren ursprünglich ein Panel pro Tag innerhalb eines Jahres. Er hat sich dann aber wohl doch besonnen, dass ein solches Format der Geschichte, die er erzählen wollte, nicht gerecht wird, seine ursprüngliche Planung geändert und den Zeitraum deutlich verlängert. Die Veröffentlichung online nahm nicht nur 2021, sondern auch das Folgejahr in Anspruch. Damit hat die Pandemie tatsächlich auch ein paar gute Dinge hervorgebracht.

Das Ergebnis ist mehr als gut und liegt jetzt als prall gefülltes Buch vor, das man kaum aus der Hand legen kann. Gegenüber der Instagram-Veröffentlichung bringt es viele Vorteile mit sich: Man braucht keinen so langen Atem, kein so gutes Erinnerungsvermögen und kann zur Not einfach(er) zurückblättern.

Der ICOM (Interessenverband Comic, Cartoon, Illustration und Trickfilm e.V.) sieht es ähnlich. Der Verband hat Drinnen als besten Independent-Comic in der Kategorie »Selbstveröffentlichung« ausgezeichnet (noch bevor er nun in gedruckter Form bei Kult Comics erschienen ist). Die Begründung des ICOM, dass Sascha Dörp hier ein Werk geschaffen hätte, dass einem »das Blut in den Haar-Follikeln gefrieren lässt und zu einer Gänsehaut führt, die sich sowohl ektodermal wie endodermal ausprägt«, mag ein wenig weit hergeholt sein, tut aber dem Lesevergnügen keinen Abbruch.



Gefangen in einer Zeitschleife?


Und nur als zusätzliche Information, der Comic Kein Vatertag, von dem Sascha 2020 täglich ein Panel auf seinem Instagram-Kanal veröffentlicht hatte, gewann im Jahr 2021 bereits den ICOM Preis als bester Indie-Comic.

Drinnen ist ein echter Pageturner, der viel zu schnell zu Ende geht.

[Stephan Schunck]

Abbildungen © 2023 Kult Comics / Sascha Dörp


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