»Shuna fühlte eine unbändige Kraft in sich aufkommen.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Shunas Reise
Story: Hayao Miyazaki
Zeichnungen: Hayao Miyazaki
Reprodukt
Hardcover | 160 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 978-3-95640-395-8
Genre: Manga, Märchen
Für alle, die das mögen: Geschichten des Studio Ghibli
Anfang November eröffnete in Frankfurt am Main ein Studio-Ghibli-Pop-up-Store. Die Betreiber waren sich über den Erfolg oder Misserfolg ihrer Idee nicht im Klaren und wurden von dem Ansturm förmlich überrannt. Bereits am ersten Tag war bis auf einzelne Artikel das komplette Sortiment verkauft, die Schlange aus Kund:innen, die aus ganz Deutschland angereist kamen, brach nicht ab. Die Werke des Studio Ghibli, die in der breiten Öffentlichkeit immer noch als Geheimtipp gelten, sind längst fester Bestandteil der deutschen Popkultur. Junge Erwachsene schwärmen nostalgisch davon, wie sie mit Filmen wie Mein Nachbar Totoro (1988) oder Chihiros Reise ins Zauberland (2001) großgeworden sind.
Dabei bietet das Ghibli-Universum weit mehr als die gängigen Anime und auch noch mehr als einige der unbekannteren Filme. Denn bleibt man korrekt, muss man auch die Manga, die Hayao Miyazaki vor der Gründung des Studio Ghibli geschrieben bzw. begonnen hat, zum Kanon hinzuzählen. In den drei Werken Wüstenvölker (bisher noch nicht in Deutschland verlegt), Nausicaä aus dem Tal der Winde (Carlsen) und Shunas Reise zeigen sich viele Motive, die in späteren Geschichten Miyazakis immer wieder verwendet werden. Und gerade im Vergleich mit dem aktuell durch das einhundertjährige Jubiläum seines Studios stark beschworenen Walt Disney zeigt sich hier die Fantasie, die Kreativität und das Können Hayao Miyazakis, der im Gegensatz zu Disney alle seine Figuren selbst geschaffen hat.
Ein typischer Miyazaki-Held auf einem wohlbekannten Reittier.
Nun hat also Reprodukt Shunas Reisen, das in Japan im Juni 1983 veröffentlicht wurde, in einer sehr schönen Form als Hardcover herausgebracht, hervorragend kuratiert durch ein Nachwort nicht nur von Miyazaki selbst, sondern auch von einem Kenner des Gesamtwerkes, Alex Dudko de Witt. Und diese Form ist auch vollkommen angemessen, der Manga ist ein echtes Kleinod. Wobei nach den ersten Seiten bereits klar ist, dass die Definition Manga nur daher rühren kann, dass dies in unseren Breitengraden die Bezeichnung für Comics aus Japan ist. Denn eigentlich ist die Geschichte einer Bildergeschichte näher als einem Comic, verzichtet Miyazaki doch fast vollständig auf Sprechblasen und das für Manga übliche sequenzielle Erzählen. Auch Soundwörter oder dem Comic typische Gefühlsdarstellungen sind nicht zu finden.
Der Erzählstil gleicht einem Bilderbuch.
Im Nachwort sagt Miyazaki, dass die Geschichte inspiriert ist durch ein tibetanisches Märchen, das er einst gelesen hat und von dem er eigentlich immer einen Trickfilm machen wollte. Daraus ist offensichtlich nichts geworden, jedoch zeigen sich hier viele Motive und Figuren, die das Universum seiner Filme ausmachen. Shuna ist der Prinz eines kargen Landes, dessen Volk in Armut und Entbehrung lebt. Hunger plagt die Menschen, da das Saatgut keine reiche Ernte hervorbringt. Als Shuna von der goldenen Hirse hört, macht er sich auf, Körner hiervon zu finden und sein Volk so vom Hunger zu befreien. Mit seinem Reittier, einem Jakkul (hier noch Name einer Gattung und nicht des Tieres selbst wie in Prinzessin Mononoke) macht er sich auf eine gefährliche Reise, bei der er auf Sklavenhändler trifft, eine Gefährtin findet und viele wundersame Dinge durchlebt.
Einige der Wesen, Figuren und Bauten wie die gesamte Ästhetik der Zeichnungen tauchen in verschiedenen späteren Werken Miyazakis wieder auf, haben aber hier ihre Grundlage. Dazu gehören das bereits erwähnte Jakkul, die Darstellung der Sklavenhändlerstadt und die Baumriesen. Alleine diese Tatsache macht die Lektüre für Interessierte am Gesamtwerk so spannend. Aber auch für Einsteiger:innen sind die detailreichen Aquarellzeichnungen ein Genuss. Durch den Erzählstil, der eher an ein Bilderbuch erinnert, können hier Leser:innen einen Zugang finden, die sich mit klassischen Manga schwertun. Und nicht zuletzt ist die Geschichte ein All-Ager, den man auch wunderbar kuschelig Kindern auf der Couch vorlesen kann.
[Mechthild Wiesner]
Wunderschöne Aquarellzeichnungen, die an Storyboardbilder erinnern, zeichnen den Manga aus.
Abbildungen © 2023 Reprodukt / Hayao Miyazaki
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