»Der heckt wahrscheinlich längst anderes aus, man kann nie sicher vor ihm sein.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: Junji Itō
Zeichnungen: Junji Itō
Carlsen Manga
Hardcover | 418 Seiten | s/w | 25,00 €
ISBN: 978-3-551-80692-5
Genre: Horror
Für alle, die das mögen: School Zone, Die linke Hand Gottes und die rechte Hand des Teufels
Soichi nervt. Auf mehr als 400 Seiten dieses Manga. Und er tut seine Sache gut. Mit Soichi hat der 62-jährige Mangaka Junji Itō einen Plagegeist geschaffen, der zwischen den Lebenden und den Toten steht – und dessen grausame Machenschaften stets auf ihn zurückfallen. Mal erschafft er Doppelgängerpuppen, um unliebsame Lehrer zu ersetzen, mal verkleidet er sich als gigantische Spinne, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Lausbubenstreiche aus der Hölle quasi.
Als Figur tauchte Soichi bereits in anderen Kurzgeschichtensammlungen Itōs auf, dazu hatte er einen Auftritt in der Netflix-Serie Junji Ito Maniac: Japanese Tales of the Macabre. Doch selbst wer die Bibliografie Itōs kennt, wird sich vielleicht trotzdem nicht an Soichi erinnern. Trotz seiner Angewohnheit, auf Nägeln zu lutschen (gegen seinen Eisenmangel), fehlt Soichi ein visuelles Element, um sich als Figur ins Kabinett des Schreckens einzureihen. Und seine Streiche erreichen weder existenzielle noch apokalyptische Ausmaße. Soichi terrorisiert exklusiv sein direktes Umfeld.
Und damit mutet Soichi wie ein Werk aus den 1980ern an – obwohl der Manga erst Jahrzehnte später erschienen ist; das japanische Original stammt von 2011. Itō überzeichnet Grauen und Angst. Wodurch der Tod seine Macht verliert. Selbst wenn jemand stirbt, bleibt ja stets ein ironischer, doppelter Boden. Sogar bei Soichis eigenem Abgang, wenn er von einem missgestalteten Monstermodel in einen See gezogen wird. Leichtigkeit statt des ganz großen Dramas. Also alles nur eine Pointe?
Keineswegs! Denn dafür fehlt es Soichi an Timing, das der Humor, selbst in seiner schwarzen Variante, benötigt. Gleich mehrere Geschichten und der Aufbau der Atmosphäre, sonst eine Stärke Itōs, ziehen sich in die Länge. Wenn zum Beispiel die Puppe der Lehrerin Frau Soga auftaucht, verwendet Itō viel zu viele Panels, um klarzumachen, was ohnehin längst offensichtlich ist. Und auch das Setting des ländlichen Japans erzeugt keine Schauer. Weil es für Soichis Streiche egal ist, wo sie stattfinden. Der Ort ist in diesem Manga nur Kulisse, ohne Atmosphäre.

Die beiden besten Momente des Bandes stehen am Ende – und brechen mit mehreren Aspekten der übrigen Geschichten. In »Särge« treibt Soichi seinen eigenen Großvater in den Wahnsinn. Der alte Mann zimmert unaufhörlich Särge für seinen Enkel. Und bald wird anderen Figuren klar: »Laut Soichi wird er erst sterben, wenn er ihm sein Okay gibt. Bis dahin baut er fleißig weiter.« Der Schrecken besteht über den Tod hinaus. Der Humor schlägt wieder in Horror um. In »Das vierwandige Zimmer« erschafft Soichi einen klaustrophobischen Albtraum, um seine Familie in den Wahnsinn zu treiben. Ein Zimmer im Zimmer im Zimmer im Zimmer, nur getrennt durch Zwischenwände, in denen Soichi sein Unwesen treibt. Der Ort wird zum Bestandteil des Grauens.
Soichi dürfte Freunde leichten Horrors, der sich kaum aus der Komfortzone bewegt, abholen. Am Ende ist eben alles ein großer Streich. Alle anderen werden früher oder später erkennen: Soichi nervt. Manchmal auf eine spaßige Art und manchmal auf eine unangenehme Art. Aber darin werden sich alle einig: Dieser Quälgeist nervt definitiv.
[Björn Bischoff]
Abbildungen © 2025 Carlsen Verlag GmbH / © JI Inc. 2011, Asahi Shimbun Publications Inc.
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