»In Japan unterschied man nicht zwischen hoher und angewandter Kunst.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Hokusai X Manga: Japanische Popkultur seit 1960
Ausstellungskatalog zur Schau im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe
Herausgeber: Sabine Schulze, Nora von Achenbach, Simon Klingler
Hirmer Verlag
Softcover | 240 Seiten | Farbe | 29,90 €
ISBN: 978-3-7774-2656-3
Genre: Ausstellungskatalog
Für alle, die das mögen: Sekundärliteratur, Kataloge, Manga, Japan
Muss man als Comicfan Hokusai kennen und lohnt es sich, einen Ausstellungskatalog zu lesen, ohne die Ausstellung zu besuchen? Während ich die zweite Frage eindeutig mit Ja beantworten will, bin ich mir bei der ersten nicht sicher.
Vermutlich werden mich Manga-Fans nur mitleidig angucken und entrüstet ausrufen: Hokusai und die 36 Ansichten des Fuji, das kennt man doch. Aus dieser Serie ist vor allem das Bild die »Große Welle von Kanagawa« bekannt (im Katalog heißt es: »Hohe See bei Kanagawa, das Wellental«)! Auch ich kenne dieses Werk und muss natürlich zugeben: Wer sich auch nur einen Moment lang mit der Herkunft von Manga beschäftigt, wird an Hokusai nicht vorbei kommen. Dennoch vermittelt sich der Titel von Ausstellung und Katalog nicht sofort: Hokusai X Manga. Zumal es im Katalog auch nicht nur um Werke des vielleicht wichtigsten japanischen Künstlers überhaupt geht, Katsushika Hokusai.
Katsushika Hokusai (1760-1849), Die große Welle von Kanagawa, 1831, Farbholzschnitt, 24 x 35 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG
Dass eben jenem Hokusai die Erfindung des Begriffs Manga zugeschrieben wird, erschließt sich dem Leser erst auf Seite 147, beiläufig wird dies im Text erwähnt. Die Hokusai manga (»Zufällige Skizzen von Hokusai«), waren seinerzeit so populär, »dass ihr Titel zum Namensgeber des modernen japanischen Comics wurde« heißt es dort.
Doch wenn erst einmal die Grundvoraussetzungen zum Verständnis des Themas geschaffen sind, öffnet sich mit dem vorgelegten Buch ein Fundus beeindruckender Werke. Die im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gezeigte Ausstellung »Hokusai X Manga« will frühe japanische Drucke und Bücher aus dem 17. bis 19. Jahrhundert (genauer aus der Edo-Zeit 1603 bis 1868) in Bezug setzen zu den Manga heutiger Zeit. Ausstellung wie Katalog wollen die »vielfältigen Verbindungen zwischen historischer und zeitgenössischer Populärkultur in Japan (nachzeichnen).« Dennoch haben sich die Macher entschieden, alte wie neue Kunst nicht direkt gegenüberzustellen. So ist der Katalog ein eher chronologisch angelegtes, weniger auf Dramaturgie setzendes Buch. Dem Leser wird vor Augen geführt, welch großen Stellenwert die Farbholzschnitte und Holzschnittbücher schon im Japan von vor rund 250 Jahren hatten, welch großen Einfluss visuelle Kommunikation im Land der aufgehenden Sonne hatte und auch bis heute hat.
Hokusai x Manga, Ausstellungsansicht, Foto: Friederike Palm
Hokusai x Manga, Ausstellungsansicht, Foto: Christiane Papenmeyer
Die Themen der frühen Veröffentlichungen waren durchaus vielfältig: Geld und Vergnügen etwa - die zentralen Antriebsmotive des vormodernen Japan. In den so genannten Gelbdeckelheften fanden sie ihren Niederschlag. Eines der ersten erschien bereits 1785 und hatte den bezeichnenden Titel: »Playboy zubereitet nach Edo-Art«. Das Leben im hier und jetzt, Vergnügungen mit Konkubinen, der Beginn der Reiseberichterstattung, die Sehnsucht nach einer fernen Welt, jenseits der Realität finden sich in den frühen Holzschnittdrucken wieder, aber auch Geister, Bergwesen und Meeresungeheuer. Es werden Porträts gezeigt, modische Trends oder erotische Motive.
Keisai Eisen (1790-1848), Liebespaar, Japan, Edo, Farbholzschnitt, 26,2 × 38,2 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG
In kurzen Kapiteln ordnet der Band die Entstehung der verschiedenen Holzschnitte zeitgeschichtlich ein, ohne jedoch Bezüge zueinander herzustellen. Und auch der Übergang von den Holzschnittdrucken zum modernen Manga verläuft im Katalog eher abrupt. Die strukturellen Ähnlichkeiten hinsichtlich der Produktion (verhältnismäßig hohe Auflagen etc.), sowie die ästhetischen Schnittmengen werden kurz erwähnt, bevor dann zwei Manga zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezeigt werden. Und mit einem Bildausschnitt eines Manga von 2013 sind wir dann in der Jetzt-Zeit angekommen. Natürlich fehlen Jiro Taniguchi nicht oder Keiji Nakazawa. Der Katalog endet schließlich im Ausflug zum Anime (Pokémon, Sailor Moon und Dragonball, aber auch Heidi und Biene Maja), bevor kurz noch die Computerspiele gestreift werden.
Isao Takahata (*1935) / unbekannt, Heidi, Japan, 1974, Anime-Cel mit Hintergrund, Leihgabe: Sammlung Linda Manz, © 1975 Zuiyo Production, © 2016 Studio 100 Media GmbH
Hiroshi Saito (*1936) / unbekannt, nach Waldemar Bonsels „Die Biene Maja“, Japan, 1975–1980, Anime-Cel mit Hintergrund, 27,5 × 23 cm, Sammlung Frostrubin, © Studio 100 Media GmbH
Hokusai X Manga liefert somit einen schnellen Abriss von knapp 400 Jahren populäre Bildsprache in Japan. Wie erwähnt, wird auf die direkte Gegenüberstellung alter und neuer Kunst versäumt. Schade, denn einige Motive würden sicherlich durch den direkten Vergleich an jeweiligem Gewicht gewinnen.
Auch wenn erzählerisch Welten liegen zwischen den Zeichnern Hokusai und Taniguchi etwa, so wird doch deutlich, wie sich Bild und Text im Comic/Manga im fernen Osten über die Jahrhunderte entwickelt haben. Welches Gewicht sie schon immer in der Alltagskultur vieler Japaner eingenommen haben. Es ist somit nicht verwunderlich, dass Manga heute eine weitaus größere Rolle spielen als Comics es bei uns oder selbst in Frankreich, Belgien oder Italien tun.
Yoshihiro Tatsumi (1935-2015), Geliebter Affe und andere Offenbarungen, S. 262, 2013, Graphic Novel,
erschienen beim Carlsen Verlag, März 2013, Daihakken © 2002 by Yoshihiro Tatsumi
Der Katalog besticht durch die große Zahl der Abbildungen, vor allem der alten japanischen Holzschnitte. Insofern macht er auch Lust, sich die Ausstellung anzusehen und die dort gezeigten Originale aus nächster Nähe zu betrachten. Für alle, die den Weg nach Hamburg nicht finden, dürfte das Buch so ein befriedigender Ersatz sein.
[Alex Jakubowski]
Utagawa Kuniyoshi (1797-1861), „Ich will das Nächste sehen!“, Japan, Edo, 1852, Farbholzschnitt, 36,2 × 24,6 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG
Hokusai x Manga. Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Dauer: 10. Juni bis 11. September 2016
Homepage: MKG in Hamburg
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