Frisch Gelesen Folge 267: Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben

»Oh Zeus! Schon bezahlt und nun noch Reklamationen! Verfertigen Sie diesen unschuldigen Geschwistern doch einen recht lustigen Brief.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben

Story: Georg Weerth, Miko
Zeichnungen: Miko

Aisthesis argonautenpresse
Softcover | 124 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 978-3-8498-1760-2

Genre: politische Satire

Für alle, die das mögen: politische Satiren und Literaturadaptionen



Das vermeintlich Wichtigste schon mal vorweg. Die Zeichnungen sind »speziell«, das kann nicht wegdiskutiert werden. Vorsichtig ausgedrückt. Mehrmaliges Blättern, auch in größeren Zeitabständen, macht es nicht besser: Der erste Eindruck ist leider verheerend. Bei impulsiver Herangehensweise drängen sich sogar Attribute wie »schlimm« oder »schrecklich« auf.

Das ist aber ungerecht, denn Schönheit liegt bekanntermaßen im Auge des Betrachters, und es gibt viele Comics und Graphic Novels, die eigenwillig gestaltet sind. Technisch gibt es nichts zu meckern. Was Miko da ins Album packt, ist grafisch stabil und keineswegs grobes Schulheft-Gekritzel. Zu dieser Erkenntnis kann es aber sehr lange dauern. Zumindest musste der Rezensent »sehr stark« sein. Es hat sich aber gelohnt.


Im Comptoir ist morgens noch nicht viel los.


Mikos Umsetzung ermöglicht den Zugang zu Georg Weerths Gedankenwelt, die beinahe 200 Jahre zurückliegt. Ohne ihre Bebilderung würden Zeilen wie »schaust du um dich, da musst du unwillkürlich ausrufen: Hier wird Geld verdient« wie eine enthusiastische Lagebeschreibung wirken. Doch unter ihrer Feder entsteht ein launiges Bild, welches damalige Leser möglicherweise auch im Kopf hatten. Wird im beschriebenen Comptoir tatsächlich Umsatz gemacht? Der junge Herr August zumindest, seines Zeichens Korrespondent, studiert höchst entspannt eine unzüchtige Abbildung und Herr Sassafraß, ein alter und verschlissener Commis, hält seelenruhig ein Schläfchen. Doch dann, o weh, schlägt es acht Uhr morgens, und der Spaß ist vorbei. Ihr Dienstherr, der erfolgreiche Kaufmann Preiß, betritt den Raum und studiert wachsam die Situation. Klar, seine Bediensteten haben sich bei ihren »Missetaten« nicht erwischen lassen, doch das alte Schlitzohr dürfte mit Sicherheit über alles Bescheid wissen. Noch nicht geschmunzelt? Bei der darauffolgenden grafischen Charakterisierung müsste aber jeder losprusten. Halbglatze, große Ohren, dicke Nase: Nein, Herr Preiß ist wahrlich kein »schöner alter Kaufmann«.


Kaufmann Preiß – laut Weerth ein Schönling. Oder doch nicht?


Georg Weerths Text ist aus heutiger Sicht schwer zu verstehen. »Schlechte« Münzsorten zum Beispiel dürften heute mehr oder weniger unbekannt sein, doch dank Miko (alias Isabell Pielsticker, Lektorin im Aisthesis Verlag) erschließt sich einem sofort, dass es sich dabei um Gold- oder Silbermünzen handelt, an denen herumgefeilt wurde. Und dass sie durch diese Modifikation tatsächlich weniger wert sind. Doch Herr Preiß wäre kein umtriebiger Kaufmann, wenn er selbst dafür nicht eine famose Lösung parat hätte. Die leichten Stücke sollen einfach bei Arbeitern, Schiffern oder Fuhrleuten untergebracht werden. Das ist lustig, aber nicht nett: Für Kaufleute oder Höhergestellte scheinen offenbar andere Gesetze zu gelten.


Das GZSZ von damals: Gute Münzen, schlechte Münzen.


Der deutsche Schriftsteller, Satiriker und Kaufmann Georg Ludwig Weerth (1822-1856), der in Kuba starb, hatte viel zu sagen und erlebte in seinem kurzen Leben auch erstaunlich viel. Er arbeitete in Deutschland, Nordengland und in Belgien im kaufmännischen Bereich, traf sich 1844 sogar mit Friedrich Engels und interessierte sich für soziale Fragen, vor allem für die Lage der englischen Arbeiter. Er veröffentlichte zahlreiche Texte und saß für seinen Fortsetzungsroman Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphanski sogar drei Monate im Gefängnis.

Georg Weerth ist in Mikos Comicadaption höchst unterhaltsam und zerlegt leichtfüßig das positive Bild des Kapitalismus, das manch einer gerne sieht. Zudem beschäftigt er sich mit sozialpolitischen Fragen. Wie geht es einem langjährigen Angestellten, nachdem er plötzlich gefeuert wurde? Wäre es nicht schön, wenn der Reichtum ausnahmsweise von oben nach unten umgeschichtet würde?



Herr Preiß als Dagobert Duck – bevor es den überhaupt gab.


Der Band ist klasse! Übrigens: Es wird auch geklärt, wer auf dem Titelbild unter dem Tisch herumkrabbelt – und ob die Kopfbedeckung aus Stoff oder einem anderen Material ist.

[Walter Truck]

Abbildungen © 2021 Aisthesis Verlag / Miko


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