Frisch Gelesen Folge 27: Pawnee

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»Außerdem …
… kommt der Frühling stets wieder und mit ihm die schönen Tage …«


FRISCH GELESEN: Archiv


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Pawnee

Story: Patrick Prugne
Zeichnungen: Patrick Prugne

Splitter Verlag
Hardcover | 104 Seiten | Farbe| 22,80 €
ISBN 978-3-86869-656-1

Genre: Western, Abenteuer, Auswanderung, History, culture clash

Für alle, die das mögen: Comanche, Der mit dem Wolf tanzt, J.F. Cooper, HBO-TV-Serien



Ein Comic, der nur aus aquarellierten Bildern besteht? Und dann auch noch ein Western? Kann das klappen? – Ja, und sogar sehr gut!

Ein auch ohne Vorkenntnisse gut zu verstehender Band über das Schicksal der dem Untergang geweihten Indianer und die enttäuschten Hoffnungen der Flüchtlinge aus den Kriegswirren Europas, die erneut der unverständlichen Gewalt ausgeliefert sind, der die Geschichte aus Frenchman weitererzählt.

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Wie im alten Hollywood: Prugnes Einstieg kommt cineastisch daher

Patrick Prugne ist auch hierzulande kein unbeschriebenes Blatt, da die meisten Werke von ihm bei Ehapa und Splitter erschienen sind, gehört er eher nicht zur ersten Garde der gefeierten Stars und ist nicht einmal in der deutschen Wikipedia vertreten. Seine Kunst ist dadurch gekennzeichnet, dass jedes Panel aus einem extrem detaillierten Aquarell besteht. Nicht nur einzelne Details wie Uniformteile sind liebevoll und wiederkehrend gestaltet, nein, er schafft es auch, Mimik wiederzugeben. Wenn man sich manch holzschnittartige Figur der frankobelgischen Klassiker in Erinnerung ruft, kann man gar nichts anderes tun als in Hochachtung zu verfallen. Glücklicherweise gönnt uns der Verlag 25 Seiten mit großformatigen Bildern und Skizzen im Anhang und übersetzt auch noch die im französischen Original enthaltenen Kommentare und Titel. Durch das matte und leicht gelbliche Papier kommen diese besonders gut zur Geltung.

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Ein Band mit reichlich Bonusmaterial: Skizzen, Aquarelle, Gemälde

Obwohl die Bilder leicht und scheinbar unbeschwert daher kommen, ist der Inhalt nicht wenig brutal. Nein, es gibt keinen Splatter und die Menschen sterben auch nicht theatralisch oder in Zeitlupe, aber es wird auch nichts geschönt: Der Wilde Westen war nicht friedlich, die weißen Besatzer haben nichts anderes als Völkermord verübt und waren sich selbst auch nicht grün und die Mär vom edlen Wilden, der auf Iltschi durch die Gegend reitet, ist eben nichts anderes als Karl May‘sches Erzählergarn. Schön gelingt die Aussage, dass es nicht auf die Farbe oder das Geschlecht der handelnden Personen ankommt; die Umstände bestimmen die Möglichkeiten und die sind immer begrenzt oder wie schon in der klassischen Frankfurter Schule: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen!

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Uups, der Luchs war schuld ...

In verschiedenen Handlungssträngen wird einerseits die Geschichte der Gräfin, die ihren nach Amerika ausgewanderten Bruder Alban und dessen Freund Lois wieder finden möchte und mit ihrem Begleiter Leopold nach einigen Schwierigkeiten immerhin ein Schlitzohr als Führer gewinnen kann, erzählt. Natürlich überleben aus ihrer Vierer-Reisegruppe nicht alle… Der zweite Strang erzählt die Geschichte eben dieses Alban der genug von seinem Leben bei den Indianern hat. Obwohl er den Kontakt zu Louis verloren hat, beschließt er, nach Europa zurückkehren zu wollen. Fast gezwungenermaßen klappt das ebenfalls nicht plangemäß. Der letzte Strang erzählt die Geschichte eines marodierenden Trupps der gleich auf den ersten Seiten am Des Moines River eine indianische Familie massakriert und nun der Rache aus dem Hinterhalt ausgeliefert ist. Wie bei einem guten Zopf verweben sich die Stränge ineinander und ergeben ein Muster.

Prugne gelingt es ausgezeichnet, die Emotionen der Verzweiflung, des Ausgeliefertseins und der Ignoranz aber auch des verzweifelten Wunsches, das Heft nicht aus der Hand geben zu wollen, darzustellen. Gerade die gewählte Technik ermöglicht es dem Leser, eigene Interpretationen zu ergänzen und nicht nur zu konsumieren.

Obwohl der Stoff sich für eine Verfilmung in einer modernen Miniserie anbieten würde, die dem aktuellen Mainstream der gebrochenen Helden entsprechen würde und gut auf HBO passen würde, bietet der Comic mehr Raum für eigene Vorstellungen. Nicht nur die Detailtiefe der »Gemälde« lädt zum mehrmaligen Lesen ein, sondern auch die Verwicklungen der Geschichte. Sie lässt sich als Ereignisstream genauso gut lesen, wie als Startpunkt für Recherchen dient: Wie war es damals eigentlich wirklich, oder: Hätte es Handlungsalternativen gegeben?

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Unberührte Natur, malerische Landschaften

Natürlich haben diese 72 Seiten nicht den Handlungsreichtum von 1000 Seiten Game of Thrones, aber sie besitzen das gleiche Potential! Als Beispiel dafür möge der arme Junge dienen, der ständig über das Massaker reden muss, an dem er beteiligt war. Er kann im Endeffekt mit der Sinnlosigkeit und Brutalität nur dadurch umgehen, dass er kotzt, findet aber keine Möglichkeit zur Distanzierung und wird deswegen auch noch von seinen Kumpels gemobbt – brillant!

Trotz allem schafft Patrick Prugne es, seine Figuren zu lieben und sogar so etwas wie Hoffnung zu erschaffen. Das Leben ist grausam und nicht (immer) schön, aber es lohnt sich zu kämpfen und zu leben!

Alles in allem eine »Indianergeschichte«, die keinen ausgetretenen Pfaden folgt, obwohl sie scheinbar so viele klassische Klischees bedient. Wer moderne Western mag, wird sich hier wohl fühlen, aber wer über Bonanza nie hinausgekommen ist, wird seine Grenzen öffnen müssen, obwohl auch hier die »Humanität« immer eine beherrschende Rolle gespielt hat. Fans von The Preacher sollten dagegen ihre Geldbeutel schonen.

Und noch ein Tipp am Rande: Zur musikalischen Untermalung dieses Lesegenusses passen The Waterboys mit »Room to Roam«.

[Sven Krantz-Knutzen]

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Abbildungen © 2014 Splitter / Patrick Prugne


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