In der neuen Folge seiner US-Kolumne beschäftigt sich Stefan Immel mit der Frage: Wem gehören eigentlich die Charaktere? Natürlich den Verlagen. Natürlich? Und wie stark ist der Einfluß von Kreativen wie Alan Moore wirklich?
House of Heroes: Staro talks about US Comics
Folge 9: Mein Charakter, Dein Charakter
VON STEFAN IMMEL
Im Zuge von Before Watchmen und dem Avengers Film kam sie wieder mal hoch, die Frage wem den nun eine Figur gehört und wem nicht. In Alfonz 1 hat Marc-Oliver Frisch das Problem von seinem Standpunkt aus detailliert beleuchtet; er war nicht der Erste und ich werde sicher nicht der Letzte sein. Das Thema wird immer dann die Gemüter erhitzen, wenn Geld zu verdienen oder Prestige zu gewinnen ist. Aber warum ist das so? Wo liegt das Problem? Kann man sich nicht auf Dauer einigen?
Ganz so einfach ist das sicher nicht, wobei wir hier zwei verschiedene Ausprägungen des Problems mit dem »geistigen Eigentum« betrachten wollen. Zum Einen ist da die durchaus berechtigte Sache mit dem leidigen Geld, darauf möchte ich aber später eingehen. Alan Moore zum Beispiel geht es, wenn man seinen Aussagen Glauben schenkt, nicht um das Geld. Er möchte nicht mit den Dingen Geld verdienen, die er geschaffen hat und dann später gegen seinen Willen verwertet wurden, nein er möchte die vollkommene kreative Kontrolle über das, was er geschaffen hat. Er möchte verhindern, dass seine Schöpfungen auf eine Art und Weise genutzt werden, die er für unangebracht hält. Wenn man sich anschaut was Warner aus V for Vendetta oder Watchmen gemacht hat, kann man dies sehr gut verstehen. Rechtlich mag hier Warner/DC ohne Frage richtig liegen, moralisch sieht das anders aus.
Doch diese Betrachtungsweise kann man sicher nicht auf alle Charaktere und Künstler übertragen. In einem gemeinsamen Universum wie es DC und Marvel bieten, ist es nicht möglich, bei jeder Verwendung jeden Künstler, der an der Erschaffung dieser Figur beteiligt war, zu fragen, ob er damit einverstanden ist. Dies würde das Schreiben und Überprüfen eines Comics und insbesondere eines Crossovers heutzutage so verkomplizieren, dass es wirtschaftlich nicht mehr tragbar wäre. Hier MUSS einfach das Recht an den Charakteren bei einem Verlag liegen, um fortlaufende und einigermaßen in sich stimmige Geschichten erzählen zu können.
Zudem haben wir nur der Tatsache, dass viele Leute an den Helden »gebastelt« haben, zu verdanken dass diese Helden jetzt so sind wie sie sind. Sicherlich kann ein Autor einen tiefgründigen Helden alleine schreiben, aber die »großen« Helden von DC und Marvel zeichnen sich in meinen Augen gerade durch die Anpassung der Motivation und das Zusammenspiel von mehreren Ideen aus. Der »Kapitalist« Iron Man wurde sowohl zum Helden, als auch zum Alkoholiker, Bettler, Verrückten, Kind oder Pazifisten, um aktuell saubere und bezahlbare Energie für alle zu entwickeln. Das Widersprüchliche in dieser Progression und die zum Teil surrealen Entwicklungen sind für mich ein Teil der Faszination an den amerikanischen Superhelden.
Wer sollte also jetzt die Lorbeeren dafür ernten, einen Charakter »erschaffen« zu haben? Bei dem oben erwähnten Iron Man waren alleine schon vier Leute an der Entstehung beteiligt und da ist nicht einmal berücksichtigt, dass Stan Lee die Idee zu Iron Man aus einem Pulp-Heft »entliehen« hat. Bei Batman wird gerne Bob Kane als »Erfinder« erwähnt, doch der hatte nur einen ersten Entwurf eines Kostüms vorgelegt, der dann von Bill Finger verfeinert und vor allem mit einer Person dahinter versehen wurde. Auch hier gab es dann über viele Jahre diverse Entwicklungen, von den schon lächerlichen Ausflügen ins TV (»Heiliges Kanonenrohr, Batman!«) bis hin zu Frank Millers Interpretation in Dark Knight Returns oder All-Star Batman and Robin the Boy Wonder. Ich denke es wird schnell offensichtlich, dass die Vielfalt innerhalb der Entwicklung auch bedingt ist durch die Tatsache, dass der Charakter einem Verlag und nicht einer Person »gehört«.
Doch zurück zu Alan Moore und seinem Anspruch auf Watchmen. Dass er keinen, wie auch immer gearteten, rechtlichen Anspruch hat dürfte die Existenz des Filmes ausdrücklich belegen. Aber selbst den moralischen Anspruch, den er gelten macht, kann sich nur eindeutig auf die ursprüngliche Geschichte beziehen. Die Charaktere an sich (und damit indirekt ihre Nutzung in Before Watchmen) ist jedoch eine andere Sache. Im Falle von Watchmen war die Story zuerst da, die Charaktere waren letztendlich austauschbar, was man alleine daran sehen kann, dass die Geschichte in ihrer Urform mit den damals neu erworbenen Charlton-Helden im Kopf geschrieben wurde. Da Moore auch in anderen Fällen gerne mehr als nur Anleihen bei anderen Autoren nimmt, sehe ich nicht den großen Frevel darin, wenn nun andere das auch bei Moore tun.
Wie versprochen kommen wir aber nun zu dem Thema, das uns allen sehr am Herzen liegt ... das liebe Geld. Dass Alan Moore mehrfach Geld abgelehnt hat, zeigt das zumindest DC darum bemüht war, ihm das Geld zukommen zu lassen, das er verdient. Auch dieser Artikel spricht hier eine deutliche Sprache. DC hat sehr offensichtlich ein System gefunden, in dem für jede Nutzung eines Charakters, sei es im Comic oder im Film, als Spielzeug oder als Computerspiel eine finanzielle Beteiligung des oder der Erfinder errechnet und ausgezahlt wird. Es ist also nicht nur möglich (was im Computerzeitalter eigentlich keine Frage sein sollte) die Schöpfer eines Charakters adäquat zu entlohnen, sondern wird schon praktiziert.
Umso erschreckender sind da die Aussagen, dass selbst Stan Lee, der nun wirklich als gewiefter Geschäftsmann gilt, keinen Cent von den Gewinnen aus Spider-Man sieht. Es ist sicher unbestreitbar, dass Lee einer der Größen des Comicgeschäftes ist und man würde erwarten, dass zumindest der wichtigste Charakter, den er für Marvel geschaffen hat, ihm etwas einbringt, aber dem scheint nicht so zu sein.
Das aktuell den Autoren und Zeichnern wieder mehr bewusst wird, dass sie einen stärkeren Anteil an dem haben sollten, was sie da erschaffen, wird offensichtlich, wenn man sich anschaut wer alles von den großen Verlagen abwandert oder zumindest nebenher noch eine »Creator-Owned« Serie am Start hat. Sei es Brian Michael Bendis mit Scarlet, Scott Snyder mit American Vampire, Grant Morrison jetzt neu mit Happy oder Matt Fraction mit Casanova, nahezu jeder Autor arbeitet »nebenbei« an Serien, die ganz und gar ihm gehören und auch immer mehr Autoren kehren den beiden großen Verlagen komplett den Rücken.
Es ist aktuell hier ein neuer Aufbruch zu erkennen, vielleicht kein wirkliches Umdenken bei den Verlagen (wenn man mal die finanzielle Kompensationsstruktur von DC außen vor lässt), sondern vielmehr die Idee, dass man als Autor eine echte Wahl hat. Die Möglichkeiten selbst etwas zu veröffentlichen, das ganz alleine dem Autor gehört, sind nur vorhanden, sondern werden von den Lesern immer stärker angenommen. Nun liegt es an der Qualität des Autors selbst, ob das ausreicht seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, oder ob man doch wieder für andere arbeiten muss ... oder will.
Abbildungen © DC Comics, Marvel, diverse Autoren/Zeichner
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Über den Autor
Stefan »Starocotes« Immel, geboren 1968, liest seit über 20 Jahren US-Superhelden-Comics der großen Verlage und beschäftigt sich mit den Autoren und Künstlern, Redakteuren und Verlegern. Seit vier Jahren betreibt er ein Blog, das sich primär um Comics dreht.
Glücklicherweise wird von seiner Frau dieses Hobby nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt und seine beiden Kinder kennen ebenfalls schon mehr Superhelden als der durchschnittliche Deutsche.