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Frisch Gelesen Folge 448: Die seltsame Geschichte der Panorama-Insel

 

»Es kann passieren, dass Menschen im Sarg wieder aufwachen. Besonders, wenn sie an Asthma gestorben sind.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Die seltsame Geschichte der Panorama-Insel

Story: Suehiro Maruo (nach dem Roman von Edogawa Ranpo)
Zeichnungen: Suehiro Maruo

Reprodukt
Softcover | 276 Seiten | s/w | 24,00 €
ISBN: 978-3-95640-438-2

Genre: Mystery, Erotik

Für alle, die das mögen: Midori – Das Kamelienmädchen, Dementia 21



Was lange währt ...: Suehiro Maruos Die seltsame Geschichte der Panorama-Insel erschien bereits vor 17 Jahren im japanischen Original. Macht aber nichts. Schließlich basiert der knapp 300 Seiten lange Manga auf einer Novelle von Edogawa Ranpo. Und die literarische Vorlage kam bereits vor 99 Jahren heraus. Ranpo gilt als der Erfinder des japanischen Kriminalromans, ist quasi der Edgar Allan Poe des Landes der aufgehenden Sonne. Maruo gilt hingegen als Meister der verstörenden Ästhetik mit nackter Haut. Weder an dem einen noch an dem anderen Ruf wird dieser Manga etwas ändern.

Die Handlung lässt sich erschreckend schnell zusammenfassen: Hirosuke Hitomi ist ein erfolgloser Schriftsteller. Als sein Freund Genzaburo Komoda stirbt, nimmt er dessen Identität an. Weil er einen fantastischen Plan umsetzen will: eine Insel, auf der paradiesische, meint: ungezügelt hedonistische Zustände herrschen. Hitomi lässt es dafür krachen. Die Insel ist schnell da und es wird gefeiert, gefressen, gefickt. Und Maruo lässt es zeichnerisch krachen: Seine Bilder erzeugen früh, auch noch ganz ohne Nacktheit, einen Sog. Mit zunehmender Länge der Geschichte werden sie dann größer und opulenter. Inklusive Referenzen auf die Kunstgeschichte. Ophelia, die Toteninsel, der Sacro Bosco – alles ist dabei. Allerdings ist es auch nicht mehr als bloßes Dekor einer Geschichte, die ihren Reiz vor allem aus ihrer visuellen Ebene zieht. Zu verführerisch ist die Vorstellung, dass jemand so ein absurdes Paradies erschafft.

Doch genau diese Opulenz lässt dem Manga ab dessen Mitte die Luft raus. Zumindest erzählerisch. Denn seitenlang passiert einfach nichts. Was nicht dramatisch wäre, wenn Maruo mehr aus diesem Thema rausholen würde als ein paar nackte Menschen, die es miteinander treiben. Dem notgeilen Fiebertraum vermag er aber nichts abzugewinnen, das irritiert oder unerwartet daherkommt. Selbst das erzählerische Potenzmittel des urplötzlich auftauchenden Ermittlers lässt die Spannungskurve nicht nach oben gehen. Innerhalb der dreizehn letzten Seiten beendet Maruo den Manga mit einem kurzen Höhepunkt.

Was also anfangen mit diesem Manga? Ihn als Werk seiner Zeit betrachten? Als ein erotisch bizarres Büchlein unter dem Deckmantel des Anspruchs?

Zumindest zur Spannungsliteratur kann Die seltsame Geschichte der Panorama-Insel heute wenig beitragen. Weder in seiner originalen Form als Novelle noch als Manga.

Wer Maruos Arbeiten kennenlernen will, sollte sich bei den anderen Titeln im Programm von Reprodukt umschauen. Weil Maruo es auch anders, besser kann. Erzählerisch und zeichnerisch. Bizarrer und mitreißender. Wer hingegen den Flair einer alten Mystery-Story mit ein paar nackten Menschen sucht, kann guten Gewissens bei diesem Manga zugreifen.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2025 Reprodukt / Suehiro Maruo


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