GCT 2011: Free-Comic-Overkill

Kommentar

GCT 2011: Wenn die Titelauswahl zur Qual wird

Ein Kommentar von Matthias Hofmann

Es gibt Themen, bei denen kann jeder mitreden. Man braucht nicht viel Vorwissen. Ja, es reicht manchmal schon, wenn man davon gehört hat, um eine Meinung zu haben. Das Wetter, Frauen (oder Männer) und Sport sind solche weltweit anerkannten Gesprächsstoffe. Oder der »Gratis Comic Tag« (GCT), zumindest, wenn man sich in Welt der Comics tummelt.

Am 14. Mai 2011 war es wieder soweit. Zum zweiten Mal fand der GCT in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt. Insgesamt 166 Comicfachgeschäfte machten mit, darunter auch der ein oder andere Online-Händler, also Leute, die gar keinen Laden mit Schaufenster haben. Der GCT 2010 war ein großer Erfolg, schließlich war er der Erste seiner Art in deutschen Landen. Das Positive überwog das Negative bei weitem. Ein Problem war die Terminfindung für die Fortsetzung. Der erste Samstag im Mai sollte es jeweils sein, wie beim US-amerikanischen Vorbild, doch das passte dem Veranstalter der Kölner Comicbörse und den dort teilnehmenden Händlern nicht, die sich in einem starken Interessenskonflikt sahen. Also wich man auf den zweiten Samstag im Mai aus. Aber auch dieses Datum erwies sich für manche als nicht so prickelnd. Angesehen davon, dass man sich diesen Termin schlechter ausrechnen kann, kollidierte er dieses Jahr mit dem Bundesliga-Finale. Hier wird es jedoch immer irgendwelche anderen Ereignisse geben, die mit dem GCT konkurrieren und so sollte man es gut sein lassen. Aber die Terminierung ist Pillepalle gegen die anderen Probleme, die beim zweiten Durchlauf des Comic-Events des Jahres offensichtlich wurden.

Free-Comic-Overkill

Schauen wir sie uns einmal an. Da wäre zunächst einmal die reine Zahl der Hefte, die gratis verteilt wurden und damit auch die Anzahl der Verlage, die am GCT teilnahmen. Während es aus Kundensicht prinzipiell wünschenswert ist, dass möglichst viele Händler teilnehmen, zeigt bereits der zweite GCT, dass eine Anzahl von 44 Heften von 28 Verlagen ziemlich grenzwertig ist.

Die Zahl der zu verschenkenden Comics stieg um 46%. »Super, je mehr desto besser«, könnte man meinen, wenn man keine Ahnung hat. Schaut man aber hinter die Kulissen, dann bekommt man eher Mitleid. Die Händler waren nicht zu beneiden, denn sie mussten innerhalb weniger Zeit jede Menge Extraarbeit erledigen. Die ganzen Comics mussten logistisch irgendwie verarbeitet werden. Die Tatsache, dass es viel mehr Comics waren ist noch zu verschmerzen, denn wer will schon um 12 Uhr in weinende Kindergesichter oder zerknitterte Sammlervisagen blicken, weil er keine Gratis-Comics mehr zu verteilen hat? Die Tatsache, dass das Angebot so enorm vielfältig war, mutierte jedoch zum Nachteil. Mehr Titel sorgen für mehr Fehlentscheidungen beim Bestellen. Die gesamte Operation GCT ist viel schwerer auszurechnen. Schließlich ist alles auch mit Kosten verbunden, denn der Händler bekommt seine Comics nicht geschenkt. Ein Grundpaket musste er mindestens abnehmen. Das macht 255,80 Euro netto und dafür bekam er von jedem der 44 Comics 20 Stück vermacht. Alles darüber hinaus erfordert Erfahrung, Fingerspitzengefühl und etwas Glück.

Hinzu kommen viele Kleinigkeiten. Bestellen musste man zum Beispiel Ende Februar. Die Bestellinfos kamen aber so kurz vor knapp, dass das Händlerwesen keine Zeit hatte, sich richtig Gedanken darüber zu machen. Die Kunden nach ihren Vorlieben zu fragen, war auch nicht mehr drin. Oder der fertige Flyer. Der hatte so viele Titelbilder, dass die Größe der abgedruckten Motive für manche nur mit der Lupe lesbar war.

Doch nicht nur für die Händler war es schwierig, alle Titel zu überblicken, auch der Kunde hatte die Qual der Wahl. 44 Hefte haben so manchen schlicht überfordert. Erschwerend kam hinzu, dass man an einigen Orten nur drei Comics bekam. Ganz übel waren die Läden, die vormittags nur ein Heft rausgerückt haben. Man stelle sich vor, da fährt der frohgemute Comic-Fan samt Family aus dem Schwarzwald über Stock und Stein in den weit entfernten Comicladen und trifft auf den knickrigen Händler, der nach dem Motto »1 aus 44« agiert. Was soll er da nehmen? Etwas für die Kids? Oder noch lieber was Anspruchsvolles? In den Skorpion oder Golden City wollte er zwar reinschnuppern, aber was Brandneues wollte er eigentlich auch antesten. Dilemma vorprogrammiert.

Etwas Mitleid haben muss man sogar mit den Vertrieben. Medienservice Wuppertal (MSW) und Peter Poluda Medienvertrieb (PPM) bekamen die 300.000 Hefte einige Tage später als geplant von der Druckerei geliefert. Alle Pakete mussten unter Zeitdruck in einer beispiellosen Gewaltaktion weiterverteilt werden. MSW brauchte alleine für seinen Anteil, etwa 75.000 Hefte an 45 Händler, eineinhalb Tage. Bei PPM, wo dreiviertel der Hefte bearbeitet und verpackt wurden, war buchstäblich die Hölle los. In jener Kalenderwoche war wahrscheinlich der Job eines Spargelstechers oder Brunnenputzers leichter, als der eines Mitglieds der PPP (»Peter Poluda Packers«).

Ja durchaus: Nicht nur Händler, Fans und Vertrieb, selbst die Rezensenten hatten es diesmal schwer. Ein Beispiel: Das Comic-Portal Splashcomics hatte im Vorfeld des ersten GCT mit drei Autoren 30 Hefte rezensiert. Diesmal wollte man mit vier Autoren 44 Hefte rezensieren und hatte mächtig zu kämpfen, alles in Windeseile zu lesen und zu besprechen. Da kann es schon mal sein, dass der ein oder andere danach für ein paar Tage gar keine Comics mehr sehen konnte.

Ist weniger mehr?

44 Hefte. Das ist eindeutig zu viel. Punkt. Und was ist mit der sprunghaft angewachsenen Anzahl der teilnehmenden Verleger? 28 Verlage, darunter Vereine, One-Man-Shows, ja sogar eine zweijährlich stattfindende Veranstaltung. Das ist für viele Beteiligte auf beiden Seiten der Front, also Leser wie Händler, leicht grenzwertig. Gerade Anthologien oder Showcase-Titel wurden größtenteils ignoriert und sind liegen geblieben. Auch der stinknormale Comicfan will nicht alles geschenkt. »Gratis« reicht nicht aus, um die Nachfrage zu erhöhen. Man möchte Titel und Themen, die einem gefallen … könnten. Da hilft es leider auch nicht besonders, wenn ein Gratisheft mit viel Liebe produziert ist und Exklusivmaterial enthält.

Ergo: Runter mit der Titelflut. Die Zahl der beteiligten Verlage überprüfen. Doch wen schmeißt man raus? Die großen Verlage sind mit mehreren Heften am Start. Bekannte Comics wie Donald Duck, Simpsons, Peanuts, Schlümpfe oder Star Wars sind etabliert und begehrt. Das sind die tragenden Säulen der Aktion. Kleine Verlage sind hingegen das Salz in der Suppe. Sie nutzen den GCT als Werbeplattform, um bekannter zu werden. An sich keine böse Absicht, im Gegenteil, es ist ihnen zu gönnen, wenn es klappt. Aber an vielen Stellen blieben die Hefte von Holzhof, Comic Culture, Comicfestival, ICOM & Co. liegen. Erschwerend kommt hinzu, dass zum Beispiel die Comics eines teilnehmenden Verlags wie dem Willi Blöß Verlag gar nicht über die beiden großen Vertriebe zu bestellen sind, sondern nur direkt beim Verleger höchstpersönlich. Da wird es für die Händler gleich mal unnötig umständlich.

Mögliche Lösung: Wenn man viele der kleinen Verlage nicht außen vor lassen will, könnte man deren Titel als Sammelband zusammenfassen. Es würden sich Synergie-Effekte in produktionstechnischer und finanzieller Hinsicht ergeben. Und wer sich für Independent-Comics interessiert, greift hier sicher gerne zu und bekommt eine ganze Ladung Comics mehr auf einen Schlag.

Florierender Schwarzmarkt am Handel vorbei

Was macht ein Comicsammler, der alle Gratiscomics haben will? Selbst der gewiefteste Oberschnorrer wird alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um 44 Hefte zu ergattern. Wer keine Zeit hat, verschiedene Geschäfte abzuklappern und sonstige Handstände zu machen, um an die sammelbare Gratiscomic-Ware zu gelangen, der zahlt dem Händler seines Vertrauens einfach das Geld für die Unkosten und gut ist.

Pustekuchen! Die Gratiscomics dürfen nämlich nicht verkauft werden. Das steht im Impressum jedes einzelnen Hefts. Und das ist gut und richtig so. Anders als in Amerika, wo man ja schnell mal die Seele seiner Schwiegermutter bei eBay versteigern könnte, gibt es in Deutschland ein Riesenproblem mit Leuten, die Gratiscomics verkaufen. Ausgebuffte Händler haben bereits vor dem GCT Komplettsets beim allseits bekannten Online-Auktionshaus angeboten. Im GCT-eigenen Internetforum wird heiß diskutiert, was man mit solchen dubiosen Händlern machen sollte. Vom Ausschluss bis zum An-den-Pranger-stellen ist alles dabei. Dabei vergisst man nur zu schnell, dass es offensichtlich eine gewisse Nachfrage und damit ein Markt für die GCT-Hefte vorhanden ist. Aber wie befriedigt man einen Markt, den es eigentlich nicht geben darf?

Eine Musterlösung gibt es nicht, aber man sollte auch hier, auch wenn es tausend gute Gründe gibt, warum Gratishefte nicht verkauft werden dürfen, die berühmte Kirche im Dorf lassen. Beschränkt man einen Händler, dann gibt er die Hefte eben einem Schwager, der sie bei eBay verhökert. Wer seine Comics als Leser mitgenommen hat, der kann nicht wirklich belangt werden, wenn er sie Second-Hand-mäßig weiterverscherbelt. Es wird immer gewiefte Krämernaturen geben, die sich einen Dreck darum scheren, wie die Regeln sind. Von allem abgesehen: Wer soll wie kontrollieren, ob es überall mit rechten Dingen zu geht? Hefte, die älter als ein Jahr sind, könnte man »abschreiben«. Die sind »alt« und aktuell nicht zu beschaffen.

Aber es hilft alles nichts: Verstöße müssen sanktioniert werden, um glaubwürdig zu bleiben. Die Organisatoren sind nicht zu beneiden, aber ein paar Warnschüsse in die richtige Richtung sind nötig, um weitere Auswüchse zu unterbinden.

Verbesserungswürdige Kommunikation

Befragt man einige der teilnehmenden Händler, dann wird die Kommunikation bemängelt. Man hätte sich öfters rechtzeitige Informationen gewünscht. Vieles wurde über die GCT-Homepage und das Internetforum verbreitet, aber nicht jeder Händler hat Zeit täglich einige Stunden im Netz zu surfen, um nach für ihn relevanten Nachrichten Ausschau zu halten.

Gleich in der Woche nach dem GCT wurde von den Organisatoren eine große Feedback-Umfrage gestartet. Das war bereits 2010 der Fall. Einige der Probleme vom ersten Jahr sind jedoch nicht gelöst worden. Ende Juni traf man sich mit allen Verlagen in München auf dem Comicfestival, um die schönen und weniger schönen Dinge des zweiten GCT zu besprechen. Es sieht gut aus, dass diesmal einige wichtige Weichen gestellt werden, damit der dritte GCT erneut ein voller Erfolg wird. Alle Beteiligten sind guter Dinge und bemühen sich wirklich, dass kann man in persönlichen Gesprächen immer wieder feststellen.

The Future is bright …

Bei all dem Schatten, den manche sehen, sollte man nicht vergessen, dass es ziemlich viel Sonne gibt. Ohne großes Regelwerk wurde solch ein Ereignis organisiert. Das grenzt fast schon an ein Wunder. Die Wiederholung des landesweiten Events war noch erfolgreicher als das Debüt und man kann behaupten, dass der GCT als Ereignis nicht mehr aus der deutschen Comiclandschaft wegzudenken ist. Der GCT wird sich als verkaufsstarker Tag im Jahr neben den langen Samstagen der Vorweihnachtszeit etablieren. Und darauf können alle stolz sein.

Egal was passiert: Man muss die Anzahl der Titel reduzieren. Wenn man mit 30 verschiedenen Heften die Vielfalt des Mediums nicht abdecken kann, dann macht man etwas falsch. Am besten funktioniert so eine Reduktion, wenn sich alle beteiligten Verlage realistisch einschätzen. Und außerdem muss man ehrlich konstatieren, dass es die bekannten Comics sind, welche die Neukunden in den Laden locken. Ein Artikel in der Lokalzeitung mit »Morgen gibt's gratis Donald Duck-Comics!« wirkt attraktiver als beispielsweise »Morgen gibt's Künstlerbiografien in Comicform umsonst!«

Auf dem GCT-Treffen der Verlag ein München waren auch alle Händler eingeladen. Gerade viele Händler hatten mit Mitspracherecht eingefordert. Erschienen sind dann lediglich zwei Vertreter der Zunft. Herrscht doch nur Desinteresse vor? Wahrscheinlich nicht, denn für viele Händler sind solche Termine schwierig, denn sie sind mit hohen Kosten (Reise, Übernachtung, etc.) verbunden. Auf der anderen Seite haben an der von Panini organisierten Umfrage nur 39 Händler teilgenommen, also nur läppische 23%. Das ist eigentlich eher ein Armutszeugnis.

Immerhin haben die teilnehmenden Händler ihre Tops und Flops aus den 44 Heften wählen können. Wie nicht anders zu erwarten führen Die Simpsons, Thor, Green Lantern und Donald Duck die Hitliste an. Die Hefte Comicfestival München, Holzhof Comix, Tales of Comic Culture und ICOM-Comics für alle regieren die »Shitlist«. Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Hefte aus, aber es ist ein weiterer Indikator dafür, dass es auf dem GCT populäre und bekannte Stoffe und Helden braucht, um die Händler happy zu machen. Und um die geht es in erster Linie.

Im Klartext: Mit dem GCT soll der Comicfachhandel gefördert und gestärkt werden. Dies ist ein Ziel, das in so mancher Diskussion aus dem Fokus geraten ist. Aber es sollte nie vergessen werden.


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