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Ein Traumbild ist daheim: Die Digedags in Leipzig

Die Digedags in Leipzig

Es gibt nicht viele Orte in Deutschland, die dauerhaft Comicfiguren gewidmet sind. Neuerdings das Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale, einiges länger das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover und nun endlich, schon 28 Jahre nach der Wiedervereinigung, wurde den Digedags an einem eher überraschenden Ort, nämlich in dem zentral gelegenen Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig, dauerhaft eine Bleibe eingerichtet.

Hannes Hegens Digedags sind
dauerhaft in Leipzig angekommengermany48

Das Zeitgeschichtliche Forum gehört zur Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und widmet sich mit dem Tränenpalast und dem Haus der Geschichte eher der deutsch-deutschen Geschichte, denn den fantastischen Fahrten der Digedags, die sie vom Orient über die Südsee in den Weltraum führte, vom alten Rom über Konstantinopel bis ins China Marco Polos oder in das Amerika des späten 19. Jahrhunderts.

Bei dem Raum, der diesen gezeichneten Reisen und Zeitreisen gewidmet ist, handelt es sich fast um ein Versteck, wie es sich für kleine Kobolde gehört. Er liegt in einer hinteren Ecke im zweiten Stock des Forums. Seine gelben, orangen und grünen Wände laden die Besucherinnen und Besucher zu einem kleinen Ausflug ein, der durch die zwanzigjährige Geschichte der Gnome unter der Ägide von Johann Hegenbarth alias Hannes Hegen führt. Schon 2009 hatte dieser seine Sammlung der Stiftung Haus der Geschichte vermacht, nun sind endlich ungefähr 150 Zeichnungen, Entwürfe, Vorlagen und Modelle immerhin dauerhaft ausgestellt und erfreuen sich großer Beliebtheit.

Die Digedags in Leipzig Plakat

Das wundert nicht. Das Mosaik-Magazin und mit ihm die Digedags waren nicht nur zur Zeit ihres Erscheinens ausgesprochen populär – die Auflage deckte nie den Bedarf und warf zugleich, so zeigt eine Statistik in der Ausstellung, den größten Gewinn pro Heft von den verschiedenen Magazin-Veröffentlichungen in der DDR ab. Die Digedags, vor allem die über viele Jahre veröffentlichten, jeweils in zehn Bänden wiederveröffentlichten epischen Abenteuer, die sogenannte, nach Ritter Runkel benannte Runkel-Serie und die Amerika-Serie, sind nachgedruckt noch immer im Handel und erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit – nicht zuletzt, weil im bundesdeutschen Comic zwischen 1955 und 1975 nichts produziert wurde, was nur annährend die hohe Qualität von Zeichnung, Erzählung und Witz, politischer Subtilität und poetischem Entwurf erreichen würde.

Diese hohe Qualität wurde nicht zuletzt dadurch gewährleistet, dass Hegenbarth sehr früh ein Studio ähnlich den Studios Hergé finanzieren konnte, in denen die Last der monatlichen Heftproduktion auf viele Schultern verteilt wurde. Auch wenn Einar Schleef, der spätere, berühmte Theaterregisseur, der offenbar 1965 für das Mosaik-Heft mit den Digedags arbeitete, meinte, »nur Ausgeflippte« würden dort angestellt, zeugen doch die auf acht Schubladen verteilten Stadien der Entstehung der Hefte von großer Intensität und Professionalität. Auf großen Bögen wurde die Heftplanung samt der Seitenaufteilungen vorgenommen, die einzelnen, oft ausgesprochen komplexen, mit Bildzitaten angereicherten Panels in mehreren Fassungen erstellt. Leider reicht der Ausstellungsplatz keineswegs, um zu dokumentieren, wie sich der Arbeitsprozess im Laufe der zwanzig Jahre verändert hat – oder auch, um das Vorbild Hergé zu würdigen.

Die Digedags in Leipzig: Figurenzeichnung Digedags mit Colt

Eine Geschichte der Produktion und ihrer sich verändernden Bedingungen wäre interessant gewesen, denn die ersten Hefte, die noch nicht von mehrjährigen Erzählbögen gekennzeichnet sind, wirken etwas holprig, was allerdings, so belehrt die Ausstellung, auch an der Schmutz und Schundkampagne liegt, die nicht nur in der BRD zu den berüchtigten Bücherverbrennungen geführt hat, sondern auch in der DDR zu grotesken Schauprozessen, in denen der Vater eines Jugendlichen verurteilt wird, weil dieser jemanden erschlagen hat – angeblich angeregt durch die (westliche) Comiclektüre. Comics galten, wie Filmausschnitte belehren, als »Attentate auf unsere Kinder«, »Verbrecherliteratur« und natürlich Vorbereitung zum Krieg – in einem der Filme erinnert ein Cover der CrimeSuspenStories von Entertaining Comics daran, dass durch die GIs die in den USA inkriminierten Comichefte auch in Deutschland zirkulierten und es offenbar bis in die DDR geschafft hatten.

Unabhängig davon erschienen die frühen Mosaik-Hefte der SED noch zu wild und nicht pädagogisch genug. Eine markante formale Veränderung, die in der Ausstellung allerdings nur beiläufig erwähnt wird, ist das Verschwinden der Sprechblasen – dafür werden die Geschichten immer aufwändiger recherchiert. Davon zeugt nicht nur die Erfinder-Serie, in der die Digedags ganz der Fortschritts-Ideologie des Sozialismus verpflichtet Erfindungen vorstellen – durchaus unterbrochen von einer gehörigen Dosis Slapstick –, davon zeugen vor allem, leider sehr dosiert eingesetzt, die für die Runkel-Serie präsentierten bildlichen Vorlagen, die ausgesprochen akkurat in Panels und Erzählung eingebunden wurden.

Die Ausstellung betont Hegenbarths Distanz zur Partei, wenn sie die »10 Gebote für den neuen sozialistischen Menschen« den humorigen Ritterregeln Runkels gegenüberstellt. Dort: »Du sollst sauber und anständig leben«, hier: »Wer einen Ritter blau bespritzt, bald selber in der Tinte sitzt«. Das ist amüsant, aber nur die halbe Wahrheit, denn die dezente Distanz zur SED ist in den Geschichten der Digedags eingebettet in eine Distanz zu allem Großen, zu allem, was sich pompös, protzig, mächtig aufgeblasen gebärdet. Dem setzen die Digedags mit ihrem frechen Witz, ihrer Unverfrorenheit und ihrem Mut die Sicht der Kleinen entgegen – eine Perspektive von Unten, die sich durchaus als proletarisch verstehen lässt. Aber eine solche Perspektive einzunehmen, das wäre von einem vor allem kleinen Ausstellungsraum im Zeitgeschichtlichen Forum zuviel verlangt.

Die Digedags in Leipzig: Ritt in die Fata Morgana

Der Parcour endet mit dem Ende der Digedags 1975. Es ist ganz wunderbar, das letzte Panel im Original zu sehen, auf dem die Digedags in die Wüste reiten – und in einem »Traumbild verschwanden, das daraufhin verblasste und zerfiel. Die Digedags waren daheim.« Dig, Dag und Digedag schauen zurück, den Leser an – sie wurden überklebt und neu gezeichnet. Möglich, dass sie erst in die Ferne schauten, zu neuen Abenteuern aufbrechend, denn der Bruch zwischen Hegen und dem Verlag kam überraschend – trotz des Vorlaufs von sechs Monaten für jedes Heft. Allerdings lassen sich »die tatsächlichen Umstände und Zusammenhänge des Ausstiegs von Johannes Hegenbarth« und die daraufhin folgende Entwicklung der Abrafaxe »nicht mehr vollständig rekonstruieren«, wie Mark Lehmstedt in seiner empfehlenswerten »geheimen Geschichte der Digedags« feststellt. Die Ausstellung trägt wenig zur Erhellung dieser Umstände bei. Das letzte Bild deutet an, dass ein längeres Abenteuer geplant war, auf das die Digedags ihre Leser ein weiteres Mal mitnehmen würden. Stattdessen kamen die Abrafaxe, ein kaum kaschiertes Plagiat, für deren Geschichte wie für das Nachleben der Digedags der Raum in Leipzig nicht gereicht hat. Eine große, würdigende, kritisch rekonstruierende Ausstellung bleibt ein Residuum.

Ole Frahm

Abbildungen: © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland


DDR-Comic 'Mosaik' - Dig, Dag, Digedag

Öffnungszeiten: Di-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr, Eintritt frei

Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
Grimmaische Straße 6
04109 Leipzig
Tel: (03 41) 22 20-0
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Internetseite zur Ausstellung