Comicmarkt: Trend zur Sackgasse

Kommentar

Der COMIC REPORT veröffentlicht sporadisch Kolumnen, Kommentare und Meinungen von Branchen-Kennern, Fachleuten oder Comicmachern.

Wie eine aktuelle Umfrage des REPORTs ergab (siehe COMIC REPORT 2011, Seite 114, »Wie wichtig ist für sie der Comicfachandel?«), ist der Comicfachhandel die wichtigste Säule für viele Verlage, um ihre Comics an den Leser und damit den Käufer zu bringen. Im Vergleich zum normalen Buchhandel, hat ein Comichändler die gleichen Probleme und noch ein paar mehr. Mark O. Fischer schildert seine persönlichen Gedanken zur Thematik.

 

Trend zur Sackgasse

Wohin geht der Comicmarkt? - ein Gast-Kommentar von Mark O. Fischer

Die Entwicklung des Comicmarktes lässt sich in zwei bemerkenswerten Sätzen aus dem Comic Report 2011 zusammenfassen: »Die Zeiten, als Kinder an jedem Kiosk ein Überangebot an Comicheften vorfanden und von klein auf mit dem Comicvirus infiziert wurden, sind längst passé.« und »Der deutsche Comic-Leser bestellt seine Lektüre verstärkt im Internet und folgt damit dem allgemeinen Trend im Online-Handel« Doch wie kam es dazu? Ist dieser Trend wirklich so gewollt? Und wohin führt uns das?

Begonnen hatte alles im Zeitschriftenhandel. Verlage wie Ehapa, Koralle, Bastei, Condor bis zum Volksverlag/Alpha-Comic boten in den 1970/80er Jahren ein reichhaltiges Angebot an Magazinen, Alben und Taschenbüchern zu günstigen Preisen. So kamen Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene überall leicht mit Comics in Kontakt, die zum Sammeln einluden. Doch halt: reichhaltiges Angebot? Der Zeitschriftenmarkt hat einen großen Nachteil: Im Handel präsent ist immer nur die neueste Ausgabe einer Serie, die alten müssen remittiert und gelagert werden, um nachbestellbar zu sein. Und nachbestellen war in Zeiten vor dem komfortablen Internet eine aufwendige Sache.

Parallel dazu setzte der Carlsen Verlag seit jeher auf den Buchhandel und schaffte es in jahrelanger Aufbauarbeit immer mehr Comic-Alben im Buchhandel zu platzieren und durfte diese sogar in eigenen Drehständern anbieten, wo die Titel dauerhaft präsent waren. Kleinere Auflagen im fünfstelligen Bereich zu höheren Preisen versprachen einen nachhaltigeren Profit als kurzfristige Angebote in hohen Auflagen im Zeitschriftenhandel. Das merkte auch ein Verlag wie Ehapa, der viele ehemalige ZACK-Serien in Albenform an den Kiosk brachte, und folgte diesem Beispiel mit einem Wechsel seiner Strategie vom Zeitschriften- zum Buchhandel. Für den Kunden bedeutete dies immer mehr Comics zu immer höheren Preisen. Die zwei Großen überboten sich mit Neuerscheinungen und auch weitere Verlage versuchten im Buchhandel Fuß zu fassen. Der Vorteil der dauerhaften Präsenz im Buchhandel schwand. Denn auch der Platz dort ist endlich und muss zudem mit einem noch größeren Angebot an nur geschriebener Literatur konkurrieren.

Als logische Konsequenz entwickelte sich der Fachhandel, Spezialbuchläden, die sich auf gezeichnete Geschichten spezialisierten. Eine Zeit des Booms begann, in der Platz im Handel mit steigender Anzahl an Neuerscheinungen harmonisch wuchs. Die Kunden gingen den Weg vom beschränkten Angebot im Buchhandel zur umfangreichen Auswahl im Fachhandel mit. Die Folge: Die Umsätze im Buchhandel sanken kontinuierlich, bis schließlich immer mehr Comic-Ständer ganz abgebaut wurden. Damit sank nach dem Wegfall des Angebots im Zeitschriftenhandel auch die Präsenz im Buchhandel und es verschwanden dort mehr Verkaufsstellen als neue Comicläden eröffnet werden konnten. Da zudem diese Comicläden selten zentral gelegen sind und auch nur in Großstädten vorhanden, verschwanden Comics aus dem Blick der Öffentlichkeit für eine nachwachsende Laufkundschaft. Es entwickelte sich das, was wir jetzt haben, ein Nischenmarkt.

So ein Nischenmarkt mit immer weniger Verkaufsstellen rechnet sich für Großverlage irgendwann nicht mehr. Immer mehr Serien mussten eingestellt werden. Zurück blieben enttäuschte Fans, die weiter Comics lesen wollten, die ihnen vorenthalten wurden. Manche resignierten und hörten ganz auf zu Sammeln. Ein paar Unerschrockene fühlten sich dagegen motiviert, das Album selbst in die Hand zu nehmen und gründeten eigene Verlage, um die Comics zu produzieren, die sie selber gerne lesen wollten. So entstanden Verlage wie Salleck, Epsilon, Bunte Dimensionen, Splitter u.a. bis zum »Fortsetzungs-Club« FiniX Comics und das ist noch nicht das Ende. Diese Verlage, die vorrangig für die, statt von den, Comics leben, produzieren immer mehr Comics, so schnell sie können, und beweisen ein Durchhaltevermögen bis zur Selbstausbeutung, das den Comic-Markt nachhaltig am Leben hält.

Da alle Verlage neben Neuerscheinungen auch dazu angehalten werden, Backlists lieferbar zu halten und somit bei erfolgreichen Titeln auch ständig nachdrucken müssen, wächst die Zahl der Titel ständig. Und der Fachhandel? Der hat, wie die vorigen Handelswege Zeitschriften- und Buchhandel auch, irgendwann die Grenze der räumlichen Kapazitäten erreicht, und kann die 150 monatlichen Neuerscheinungen aller Comic-Verlage gar nicht mehr dauerhaft präsent halten. Als logische Folge entwickelt sich ein Verdrängungswettbewerb, der durch steigende Ansprüche verwöhnter Kunden auch noch angeheizt wird. Die meisten  Auslieferungsmengen von Neuerscheinungen bewegen sich mittlerweile im dreistelligen Bereich. Bestseller entstehen erst langfristig durch kontinuierliche Nachbestellungen. Viele noch so gute Titel gehen aber einfach in der Masse unter und verschwinden heutzutage ebenso schnell aus dem Fachhandel, wie es früher nur im Zeitschriftenhandel üblich war.

Aufgrund des begrenzten Platzes im Handel wird Nachfrage immer wichtiger. Nun sind Nachfrage und Angebot aber keine Einbahnstraße, sondern stehen in einer Wechselwirkung und bedingen sich praktisch gegenseitig. Ohne Angebot keine Nachfrage. Da kommt dann das Internet ins Spiel. Dort gibt es kein Platzproblem, auf Händler- oder Verlagsseiten sind alle Titel immer präsent. Dank der Aufbereitung mit Leseproben ist das Stöbern bis zur Entscheidungsfindung sogar komfortabler als das kurze Durchblättern im Laden. Die einfache Bestellmöglichkeit mit Lieferung nach Hause spart den weiten Weg zum nächsten Comicladen, den man zudem oft zweimal gehen muss, wenn man das Gesuchte dort nicht findet und erst bestellen muss.

Bestellen hat aber immer den Nachteil der Wartezeit. Spontan shoppen, entdecken, kaufen und gleich mitnehmen und lesen können, ist ein großer Vorteil des Einzelhandels, der insbesondere für Laufkundschaft, aus der Sammlernachwuchs entsteht, extrem wichtig ist. Wie erfolgreich wäre z.B. Das Lustige Taschenbuch, wenn der Handel es nur auf Nachfrage bestellen würde? Dieser Status der flächendeckenden dauerhaften Präsenz im Einzelhandel ist nicht nur für diesen Comic eine Basis für den Erfolg, vielleicht sogar für den Comicmarkt insgesamt. Denn würden Comics aus dem Einzelhandel ganz verschwinden und Comicläden dicht machen, weil sie mit dem Internet nicht mehr konkurrieren können, würde schließlich auch die Nachfrage im Internet sinken und das Angebot auch dort verschwinden.

Um dem entgegen zu wirken, wurde 2010 der »Gratis Comic Tag« (GCT) ins Leben gerufen. Ein Tag im Jahr, wo es eine Auswahl an Comics umsonst gibt, wo alle Händler und Verlage zusammen arbeiten und alle Medien Werbung für alle machen. So eine gelungene Kooperation aller führt zu mehr Laufkundschaft, Nachwuchs und nachhaltigem Wachstum, wenn man darauf aufbaut. Ein Verdrängungswettbewerb in einem Nischenmarkt, der zudem nur von Klassikern für Altsammler getragen wird, führt hingegen nur zu sinkenden Auflagen und damit unweigerlich zu einer Schrumpfung des Marktes, eine Sackgasse ohne Ausweg.

Dieser eine Tag im Jahr wäre der ideale Termin zu Eröffnung neuer Comicshops. Doch wo sind sie, die Comic-Fans, die nicht nur Comics selber produzieren wollen, sondern mehr Comics verkaufen wollen, die sich in einem Laden voller Comics wohl fühlen und sich mit gleichgesinnten Kunden austauschen wollen? 166 Comichändler, die am GCT teilgenommen haben, sind weit von einer flächendeckenden Präsenz von Comics entfernt, von der Größe der einzelnen Läden mal ganz abgesehen. Statt uns gegenseitig Konkurrenz zu machen, sollten wir lieber Media Markt als unseren Konkurrenten sehen. Denn im Gegensatz zu Literatur, Musik oder Film sind gezeichnete Geschichten das Medium, das sich am besten zum Stöbern eignet. Das schreit geradezu nach einer höheren Präsenz im Einzelhandel.

Diskutiert wird viel, aber immer nur über Verlagspolitik. Das ist leider unvollständig und bietet keine Perspektive. Denn die Verlage, die immer mehr Geld in immer neue Titel investieren und dabei die Gesamtkosten einer Druckauflage erst mal decken müssen, die sich nur langfristig abverkauft, sind eigentlich das schwächste Glied in der Kette. Dennoch macht sich mit zunehmender Anzahl an Verlagen und Titeln bei Lesern, Händlern und Lizenzgebern gleichermaßen ein Trend zum Schlaraffenland breit, der suggeriert, dass Verlage gefälligst erst mal reich zu sein haben und bei sinkenden Auslieferungsmengen möglichst auch noch mehr investieren sollen, um alle Kunden rundum glücklich zu machen.

Das geht so natürlich nicht. Ein wachsendes Angebot von Verlagen braucht auch ein wachsendes Angebot im Handel. Nur so kann der Markt insgesamt wachsen.

Die Entwicklung des Comicmarktes über die Jahrzehnte zeigt vor allem eins: Verlagspolitischen Entscheidungen gehen Entscheidungen des Handels voraus, ob und welche Comics wo überhaupt angeboten werden. Auch ein optimal arbeitender Verlag mit einer Klotzen-und-Protzen-Strategie kann dies langfristig nur durchhalten, wenn der Markt mitwächst. Kein Verlag kann es sich auf Dauer leisten, nur fürs Lager zu produzieren und auf Nachfrage zu warten.

Die entscheidenden Fragen müssen in die Richtung gehen, welcher Comic Shop unter welchen Umständen dazu in der Lage ist oder sein könnte, seine Verkaufsflächen zu vergrößern oder neue Filialen zu eröffnen. Denn der Trend zum Online-Handel ist eher ein hausgemachtes Problem als eine nachhaltige Wachstumsstrategie für nachwachsende Laufkundschaft, die sich allen Erfahrungen nach eher von einem Angebot zum Anfassen verführen lässt.

Dieses Angebot zu Anfassen muss aber auch für eine Laufkundschaft attraktiv sein. Viele, die Comics nur vom Kiosk kennen, glauben immer noch, dass Comics etwas Komisches seien und der Comicmarkt überwiegend aus Funnys bestehe. Wenn sie dann in einen Comicladen kommen, stellen sie verwundert fest, dass es dort fast nur Abenteuerserien gibt, die sie spontan gar nicht einschätzen können. Kompetente Beratung kann da helfen, birgt aber auch immer die Gefahr der Bevorzugung persönlicher Interessen des Händlers, die der Vielfalt des Mediums nicht gerecht werden. Und nicht jeder neue potentielle Kunde möchte sich etwas aufschwatzen lassen.

Umschauen, reinschauen, gut finden, kaufen, das funktioniert tatsächlich am besten mit Funnys. Im Vorbildland Frankreich gibt es zu jedem möglichen Themenbereich eine eigene Funnyserie, ein Verlag wie Bamboo hat sich nahezu komplett auf dieses Genre spezialisiert. Doch warum findet man im deutschen Comicmarkt kaum Funnys? Verlage, die es versuchen, stoßen dabei auf die Grenzen der Nachfragepolitik des Handels. Hier wird nicht erkannt, dass es unterschiedliche Arten von Comics gibt, die unterschiedliche Marketingstrategien erfordern. Während für Abenteuerserien, bei denen die Leser wissen wollen, wie es weitergeht, Nachfrage durchaus plausibel ist, erschließt sich Humor eher spontan und animiert auch spontan zum Kauf. Das funktioniert nur mit Angebot! Und selbst wenn sich spontane Käufe in Grenzen halten sollten und Laufkundschaft im Laden Funnys nur vor Ort anliest, so erhöht alleine die Existenz dieses Angebots im Laden die Attraktivität des Ladens dermaßen, dass auch Laufkundschaft immer wieder gerne wiederkommt, auch wenn sie dann vielleicht doch eher Abenteuer, Graphic Novels oder sonst was kauft. Von einem guten Funnyangebot im Laden profitieren letztlich alle. Der Ratschlag eines »Vertriebsprofis«, man könne doch Funnys beim Bäcker oder sonst wo verkaufen, hilft dem Comicmarkt nicht.

Ein Markt, der nicht in einer Sackgasse landen will, muss sich immer wieder auch neuen Wegen öffnen. Das gilt für Verlage wie Händler gleichermaßen und funktioniert nur in Kooperation. Mit einer Fokussierung auf eine gewachsene Stammkundschaft mit Tendenz zum Luxusmarkt, einer Abgrenzung von Jugendlichen in den Mangamarkt und einer »Elitärisierung« von Inhalten mit minimalistischer Grafik für Feuilletonisten wächst zwar die Vielfalt der Nischen, der Markt insgesamt aber nur, wenn diese Vielfalt auch angeboten wird und nicht miteinander konkurrieren muss. Wir brauchen nicht nur mehr Anerkennung für Graphic Novels, sondern auch wieder mehr Spaß an Comics und dafür vor allem eins: Mehr Platz!


Die Meinung der Leser interessiert uns! Diskutiert diesen Artikel im Forum (klicken):
Comicmarkt: Trend zur Sackgasse - ein Gast-Kommentar von Mark O. Fischer



Mark O. Fischer, geboren 1966 in Pinneberg, Diplom-Ingenieur (FH Leipzig, Fach Verlagsherstellung), gab bereits 1988 das Magazin Comic AS heraus. 1997 gründete er den EPSiLON Verlag, den er noch heute leitet. Von 2008 bis 2009 war er Chefredakteur des monatlichen Magazins ZACK.

Die Homepage des EPSiLON Verlags ist zu erreichen unter www.epsilongrafix.de.

 

 

Foto © EPSiLON Verlag