ALFONZ hat Asaf Hanuka, Schöpfer von Der Realist und The Divine, während des Comic-Salons in Erlangen getroffen und sich mit dem Zeichner und Illustrator über Gott und die Welt, Politik, Familie und Comics unterhalten. Als Bonus des Interviews aus der aktuellen Ausgabe Nr. 4/2016 [jetzt im Handel!] präsentiert CRON das komplette Gespräch.
Asaf Hanuka:
»Die größte Herausforderung ist Aufrichtigkeit.«
Man(n) hat es nicht leicht: Asaf Hanuka ist Israeli mit arabischen Wurzeln, nicht praktizierender Jude, Göttergatte und Vater. All diesen Ballast verarbeitet er in seinem wöchentlichen Zeitungsstrip Der Realist. Deutlich übersinnlicher geht es in Hanukas jüngster Graphic Novel The Divine zu.
[ALFONZ]: Herr Hanuka, wie entstehen Ihre pessimistischen, meist ironischen, stets nur eine Seite kurzen Alltagsepisoden in Der Realist?
[Asaf Hanuka]: Die größte Herausforderung ist Aufrichtigkeit. Mein Ausgangspunkt ist immer etwas, das mich gerade beschäftigt. Dieses Problem erzähle ich in neun Panels, entwickle es weiter, ändere es ab, zerbreche es in seine Einzelteile oder wandle es um. Wenn ich damit fertig bin, habe ich in der Regel eine Lösung. Das ist natürlich sehr egoistisch, erleichtert aber mein Leben.
Eine Art Therapie.
Durchaus. Und wie das Leben ist diese Therapie mal lustig, mal traurig.
Und Sie sparen das Geld für den Therapeuten.
Wenn die Menschen keine Angst hätten, könnten sie sich selbst helfen. Die meisten Probleme türmen sich doch erst auf, weil niemand darüber redet. Offen ausgesprochen, schrumpfen sie auf ein Normalmaß. Mit meinen Comics mache ich nichts anderes: Ich bringe Probleme zu Papier.
Dann lassen Sie uns über diese Probleme sprechen. Obwohl Sie Ihre Comics als unpolitisch bezeichnen, spielen Religion und Politik darin eine große Rolle. Ist das Leben in Israel schlicht religiöser und politischer als andernorts?
Garantiert! Allein schon deshalb, weil sich Israel als Staat begreift, der den Juden nach all den Verfolgungen Schutz bietet. Das führt aber auch zu Identitätsproblemen. Zunächst einmal, weil 20 Prozent der Israelis keine Juden sind. Und dann gibt es Menschen wie mich, die zwar Juden sind, aber weder in die Synagoge gehen noch an Gott glauben. Unser Jüdischsein definiert sich mehr über eine jüdische Kultur. Aber wer das anspricht, wer in Israel offen über Politik spricht, der wird schnell der Meinungsmache verdächtigt. Deshalb tarne ich meine Botschaften als Geschichten über eine Familie.
Der Realist behandelt nicht nur diesen religiösen Zwiespalt. Ihre Mutter kam aus dem Irak nach Israel. Wie sehr beeinflussen Ihre familiären Wurzeln Leben und Arbeit?
Die Tatsache, dass Israel von europäischen Juden gegründet wurde, hat dazu geführt, dass sich die arabischen Juden immer ein wenig für ihre Herkunft geschämt haben. Meine Mutter hat diese Seite vor meinem Bruder und mir verborgen. Deshalb fühlt sich das Arabische für mich wie eine geheime Identität an, auch weil es in Israel immer gleichbedeutend mit dem Feind ist. Ich gebe meine Familiengeschichte an meine Kinder weiter. Sie sollen wissen, wo sie herkommen.
Ihre Mutter kam aus Bagdad. Sie wohnen in Tel Aviv, einer Stadt, die Sie als große Blase bezeichnen. Wie ist das Leben in solch einer Blase?
Es ist eine Übung in Verdrängung und Selbsttäuschung. Dort ist immer Sommer, Party und Nachtleben. Tel Aviv ist voller Graffiti, Kunstschulen, Kreativer. Die Stadt liegt aber nur 40 Minuten vom Gazastreifen entfernt. Alle paar Tage gibt es einen Terroranschlag oder Helikopter am Himmel. Dennoch täuschen alle Normalität vor, obwohl sie wissen, dass sie im Grunde nur ein Spiel spielen.
Das ist einer der Gründe, warum die Familie in Der Realist darüber nachdenkt, Israel zu verlassen. Könnten Sie sich tatsächlich ein Leben außerhalb Tel Avivs vorstellen? Und wo könnte das sein?
Ich will das Beste für meine Familie, also ziehe ich diese Möglichkeit in Betracht. Manchmal fällt es mir schwer, mir eine Zukunft in Israel vorzustellen. Mein Sohn wird irgendwann volljährig und muss zur Armee. Und vielleicht tobt dann gerade ein Krieg mit israelischer Beteiligung. Ich kann mir aber auch kaum vorstellen, mein Land zu verlassen. Es ist wie in einer Beziehung: Selbst wenn man sich liebt, steht die Möglichkeit einer Trennung jederzeit im Raum. Ich möchte in Israel bleiben, weil ich es kann, nicht weil ich es muss. Und ich bleibe in Israel, weil ich es verändern will. Wenn ich aber doch irgendwann gehen müsste – wohin würde ich gehen? [grübelt] Ich war vor kurzem in Japan. Da hat es mir sehr gut gefallen. Vielleicht also nach Japan. [lächelt]
Glauben Sie, dass Ihre Comics etwas verändern können?
Eine Idee können Sie nicht töten. Wenn Sie die richtige Idee richtig verpacken, ist sie wie ein Virus. Sie wird in die Köpfe der Menschen sickern, sie wird wie eine Pflanze wachsen und ihre Meinung irgendwann verändern. Es geht darum, wer wir sein wollen, für welche Werte wir stehen. Ich kann in diesem Meinungskrieg mitmischen. Und wenn wir ihn gewinnen, bleibt ein echter Krieg vielleicht aus.
Wie kommen Sie auf diese Ideen? Einige Ihrer Comics erinnern an die Kurzgeschichten Ihres Landsmanns Etgar Keret. Einmal liest Ihr Alter ego in Der Realist Kerets neues Buch. Bereits 1997 haben Sie das erste Mal mit dem 1969 geborenen Schriftsteller zusammengearbeitet. Welchen Einfluss hat sein Werk auf Ihres?
Etgars erste Kurzgeschichte Pipes habe ich mit 18 Jahren während meines Militärdiensts gelesen. Ich landete bei der Armeezeitung und wollte darin einen Comic veröffentlichen. Und ich dachte, dass Etgars Kurzgeschichten sich dafür eignen würden. Also habe ich ihn getroffen. Und es war fantastisch. Er stand am Beginn seiner Karriere, ich war Soldat. Wir hatten direkt einen Draht zueinander. Er war der erste israelische Schriftsteller, der eine Brücke zur amerikanischen Popkultur geschlagen hat – weil er Frank Miller und Comics las und gleichzeitig tief in der israelischen Kultur verwurzelt war. Seine Geschichten haben mir klargemacht, dass dieser Mix möglich ist. Danach haben wir gemeinsam an den Bücher Streets of Rage und Pizzeria Kamikaze gearbeitet. Er schrieb die Texte, aus denen ich Comics machte. Und wir sind bis heute Freunde geblieben. Ich bin jetzt 42, also sind wir seit [rechnet kurz nach] 24 Jahren befreundet. Er war wie ein Mentor für mich, weil er mir beigebracht hat, aus einer Idee eine Erzählung zu formen.
Haben Sie weitere Inspirationsquellen?
Die Seitenarchitektur mit neun Panels habe ich von Alan Moores Watchmen übernommen. Durch die Symmetrie schaut der Leser zuerst auf das mittlere Panel. Und in der Regel zeigt es eine Nahaufnahme, zum Beispiel ein Gesicht. Obwohl man die komplette Seite liest, erinnert sich das Gehirn an dieses Gesicht. Das ist eine spannende Möglichkeit, mit dem Verstand der Leser zu spielen. Robert Crumb bewundere ich für seine Selbstdarstellung und seinen Mut, all seine sexuellen Phantasien zu Papier zu bringen, auch wenn sie vom gängigen Frauenbild abweichen. Ich schätze Mœbius' Zeichnungen, weil sie einen Mittelweg zwischen humoristischem und realistischem Stil einschlagen. Außerdem sind die scheinbar endlosen Welten seiner Comics schlicht visionär. Ein Comic, zu dem ich in den vergangenen 20 Jahren immer wieder zurückkehre, ist Katsuhiro Otomos Akira. Ich liebe die Idee, dass die Kinder darin einerseits süß und verletzlich sind, aber gleichzeitig auch die verheerendste Kraft des Planeten verkörpern.
Um diese Doppelbödigkeit geht es auch in Ihrer jüngsten Publikation. The Divine handelt von zwei Sprengstoffexperten, die in einem fiktiven asiatischen Staat auf eine Gruppe Kindersoldaten mit magischen Kräften treffen. Welche Entstehungsgeschichte steckt hinter diesem ungewöhnlichen Szenario?
Mein Zwillingsbruder Tomer stieß 2006 auf ein Foto der Htoo Zwillinge in einem Artikel der New York Times, der behauptete, die Kinder hätten übermenschliche Fähigkeiten. Darauf ist Tomer sofort angesprungen, weil auch wir als Kinder so getan haben, als hätten wir Superkräfte – in einem Vorort im Mittleren Osten hatten wir beim Spielen auch nichts Besseres zu tun. Da wir beide Illustratoren sind, lag eine Graphic Novel über die Htoo Zwillinge nahe. Doch wir fanden keine klare erzählerische Linie, also fragten wir Boaz Lavie, der Autor und Drehbuchautor ist und mit dem ich seit meiner Zeit bei der Armee befreundet bin. Boaz plädierte dafür, die Realität beiseite zu lassen und etwas Neues zu erfinden, den Handlungsort Quanlum statt Myanmar zu nennen, die Namen der Zwillinge zu ändern und eine fiktive Geschichte zu schreiben, die von den wahren Ereignissen nur noch inspiriert ist. Das war ein wirklich cleverer Schachzug, weil er es uns ermöglichte, visuell alles rauszuholen – also von einer alltäglichen, ziemlich banalen amerikanischen Landschaft bis hin zum expressiven asiatischen Dschungel, in dem magische Eingeweide durch die Lüfte fliegen.
Wie lief die Zusammenarbeit?
Meine Arbeit an Der Realist ist eine One-Man-Show unter hohem Zeitdruck. Bei The Divine habe ich nur die Vorzeichnungen übernommen. Tomer war fürs Tuschen und Kolorieren zuständig. Er hat auch alle Gesichter und Hände korrigiert. Ich wusste also, dass jemand anderes die harte Arbeit macht. Zudem hat Tomer seine größte Stärke eingebracht: den Umgang mit Farbe. Die Farbwechsel in The Divine entsprechen Stimmungswechseln und rufen eine emotionale Reaktion beim Leser hervor.
Es hat Sie nicht gestört, dass Ihr Bruder sie verbessert hat?
Als Zwillinge gab es natürlich viel Eifersucht und Wettbewerb zwischen uns. Jeder Onkel, jede Tante, jeder Mitschüler hat unsere Leistungen verglichen. Aber wir haben gelernt, unsere Egoismen zu kontrollieren und uns auf das bestmögliche Ergebnis zu konzentrieren.
Der Realist und The Divine sind zunächst in Frankreich erschienen. Wie schwer ist es für einen israelischen Comiczeichner, seine Werke in der Heimat zu veröffentlichen?
Es ist unmöglich. Manche Zeichner werden zwar veröffentlicht, es sind aber sehr wenige, und ich denke nicht, dass sie davon leben können. Es gibt keine Comicbranche in Israel. Der Markt ist zu klein. In Israel ist man gut beraten, etwas Seriöses mit seinem Leben anzufangen. Ein Künstlerdasein gleicht ein bisschen einem Witz.
Dann haben Sie ja viel zu lachen.
Ich hatte das Glück, früh in meiner Karriere als Illustrator bei einer New Yorker Agentur anzufangen und den amerikanischen Markt zu bedienen. Außerdem unterrichte ich an der Shenkar Universität in Tel Aviv, einer Hochschule für Technik, Design und visuelle Kommunikation. Reich werde ich damit zwar nicht, dafür lebe ich das Leben, das ich mir gewünscht habe. Ich habe eine Familie und ich kann sie gemeinsam mit meiner Frau die meiste Zeit auch irgendwie ernähren.
Veröffentlichungen im Ausland können da sicher nicht schaden.
Manchmal bin ich überrascht, dass etwas so Lokales wie Der Realist international funktioniert. Aber das beweist, dass wir alle die gleichen Probleme haben, egal wie unterschiedlich die Kulturen und Sprachen auch sein mögen. Wenn uns eins verbindet, dann unser Leid und unsere Nöte. Erfolg und das Streben danach entfremden Menschen einander. Meine Antwort darauf lautet: Seid Verlierer! Letztendlich sind wir das doch alle.
Und was können wir von diesem sympathischen Verlierer als nächstes erwarten?
Momentan sitze ich an Der Realist. In Frankreich ist gerade der dritte Sammelband erschienen. Ich arbeite am vierten, der vermutlich in 18 Monaten folgt. Außerdem versuche ich mit Tomer, eine neue Graphic Novel auf den Weg zu bringen. Das gestaltet sich allerdings sehr mühsam, da wir alleine für die Zeichnungen zwei Jahre brauchen und die Rechnungen sich in dieser Zeit natürlich nicht von alleine zahlen. Aber ich bin mittlerweile 42 und stelle fest, dass ich nicht mein Leben lang Werbeillustrationen machen will. Ich möchte das tun, was ich liebe: Geschichten mit Comics erzählen. Ich hoffe also, dass Ihr in Zukunft noch mehr von mir lesen werdet.
Das Interview führte Falk Straub.
Abbildungen & Foto © 2016 Asaf Hanuka / Cross Cult
Die nackten Fakten
Der Realist
von Asaf Hanuka, Hardcover, 192 Seiten, Farbe, 29,95 Euro
The Divine
von Asaf Hanuka, Tomer Hanuka, Boaz Lavie, Hardcover, 160 Seiten, Farbe, 28,00 Euro
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