Lachwitz liest: Folge 6 - Sommer-Nachlese

Das Leben ist ein Ponyhof: The Early Years (Ausschnitt)

Nach längerer Abstinenz gibt es eine neue Folge unseres Webcomics-Experten Alexander Lachwitz, der sich mit dem Comic-Salon Erlangen und einigen Web-to-Print-Neuerscheinungen beschäftigt.

Lachwitz liest:Wow
Streifzüge durch die Wunderbare Webcomics Welt

Folge 6: Sommer-Nachlese

»»» VON ALEXANDER LACHTWITZ

Da ist er hin, der Sommer. Es wird Zeit für ein Resümee. Da man (wieder einmal) nur wenige Möglichkeiten hatte, die eigene Kellerbräune effektiv zu bekämpfen, hat man das getan was man sonst auch tat. Lesen...

Der Erlanger Comic Salon ist inzwischen schon eine gute Weile her, aber erst jetzt lichtet sich langsam der in großen Mengen angeschaffte Lesestoff. Dazu kommen noch einige Webneuheiten und Trends, die den Sommer viel zu schnell verfliegen ließen. Also höchste Zeit für eine kleine Nachlese...

Comics vor Ort, Webcomics überall!

Ich könnte nun damit beginnen, was es in Erlangen alles für den Webcomicleser Interessantes gab. Aber stattdessen prophezeie ich nochmal einen Paradigmenwechsel. Im Bereich des Webcomics haben sich in den letzten zwei bis drei Jahren derart viele verschiedene Konzepte, Ideen und Experimente ausgebreitet, dass der Webcomic an sich in den nächsten Jahren definitiv die Basis für alle kommenden Generationen an Comiczeichnern bilden wird. Sowohl die Zeichner als auch die Verlage wissen inzwischen: Am Web führt kein Weg vorbei, ob man es nun eher traditionell mit regem Leseraustausch macht, experimentell oder professionell als reine Präsentationsfläche nutzt.

Die, mit denen alles Anfing, und die neuen Wilden

So verwunderte es nicht, dass die Verlage inzwischen verstärkt auf junge Zeichner zugehen. In diesen Bereich fällt auch das Comic Stipendium 2012, welches Ehapa auslobte. Gewonnen hat Olivia Vieweg, Herausgeberin u.a. der Subway to Sally-Storybände und momentan mit ihrer Diplomarbeit in Comicform Endzeit, frisch in den Regalen vertreten.

Olivia Vieweg: EndzeitBunt gemischt präsentierte sich der Independent-Bereich, in dem sich alte Hasen wie Lisa Neun und Peter Schaaf zusammen mit den erfahrenen Aufsteigern wie Sarah Burrini und Beetlebum und nicht zuletzt den jungen Wilden wie Schlogger, Olivia Vieweg und vielen mehr, ein Stelldichein gaben und fleißig signierten. Dem Unwissenden fällt es dabei nicht immer leicht zu unterscheiden, wer nun schon lange dabei ist und wer sich gerade seine ersten Zeichnersporen verdient. Vom handgetackerten dünnen Heft, über elegante Hochglanzbroschüren bis zu Soft- und Hardcovern war alles vertreten, natürlich nur stilecht in kleiner Auflage. Für Sammler gab es glücklicherweise sogar noch ein paar Ausgaben der Seelenstrips (30+ verschiedene Webcomicleute geben sich ein Stelldichein, ideal für alle Neulinge und auch sonst ein Must-Have), die eigentlich schon als vergriffen galten.

Mit ordentlich viel Kleingeld bewaffnet, wäre es kein Problem gewesen, den gesamten Comicsalon nur im Independentbereich zu verbringen. Aber es gab ja noch so viel mehr...

Persönliche Highlights:

  • Asja Wiegand, Olivia Vieweg, Lapinot, Flausen, Katja Klengel... im Grunde die gesamte Crew vom Schwarzen Turm; charmant und interessant ohne Ende.
  • Die Jazam-Crew mit wechselnder Besetzung (Schlogger, Beetlebum, selektive Erinnerung)
  • Die Webcomic-Allstars diesmal nur durch Mario Bühling und Sarah Burrini vertreten, während David Malambré, Michael Roos und Leander Aurel Taubner aufgrund familiärer Pflichten leider nicht vor Ort sein konnten. Gerüchteweise sollen sie aber demnächst die Comic Action in Essen stürmen.

Die gehobene Mittelschicht – Leidenschaft im Blut

Fast schon abgeschoben wirkten die Stände von Zwerchfell ... waren sie doch in die Kreativecke in der ersten Etage verbannt. Zwischen den diversen Ausstellungen und Galerien fanden dann aber doch nicht wenige Besucher ihren Weg zu Max Jähling, Till Felix, Naomi und weiteren. Gerade bei Zwerchfell gab es viel zu sehen und zu quatschen, gingen die Zeichner doch fast reihum, waren mal hier, mal bei Jazam, Alligator Farm oder an ihrem eigenen Stand. Die meisten publizieren neben eigenen Büchern, eben auch einzelne Strips oder Storys in Kollaborationen oder Magazinen wie Jazam und Awzum. Bei all diesen Veröffentlichungen will natürlich fleißig signiert werden. Dazu kommen noch Events wie der Comic-Clash, bei dem Favourit 'Awzum' dieses Jahr gegen die Crew von 'Oh' den Kürzeren zog. Alle Teilnehmer des Comic-Clash und einen Ablauf des Wettkampfs kann man hier nachlesen.

Persönliche Highlights:

  •  Langes und interessantes Quatschen mit Webcomic-Veteran Max Jähling
  • Dritte Ausgabe von Die Toten und gleich die komplette Sammlung eingesackt
  • Rauties CocoFisch, bisher unbekannt gewesen. Tolle Stripsammlungen mit manchmal angenehm eigenem Humor.

Zitat Schlogger »danach: Von führenden Ralph Ruthes empfohlen :)«

Zitat Schlogger »danach: Von führenden Ralph Ruthes empfohlen :)«, Foto © Schlogger

Profiliga – Born to draw

Obgleich der Übergang zu den großen Verlagen fast fließend war, blieb doch unübersehbar wie Carlsen und Panini zwei Schwerpunkte bildeten. Letztere habe ich mir leider kaum ansehen können. Doch das Carlsen-Programm lud mal wieder zu langem Stöbern ein. Einzig wirklich frische Ideen sind nicht sonderlich aufgefallen. Mit Flix, Arne Jysch und Reinhard Kleist hatte man auch drei Zeichner vor Ort, die jeweils ihr aktuelles Werk signiert und vorgestellt haben. Carlsen zeigt dabei beispielhaft für viele Verlage, wie sich Comics bzw. Graphic Novels auch auf dem deutschen Markt in eine immer breitere Richtung entwickelten.

Von Komik über Satire bis zu Tragik, die Auswahl wird immer breiter und ein Ende ist kaum in Sicht. Ein Blick über den großen Teich zeigt, dass wir inzwischen längst nicht mehr so stark dem offenen US-Markt hinterher hinken, wie noch vor einigen Jahren.

Splitter überzeugte wie eh und je mit hochwertigen Alben für optische Genießer. Aber es macht sich gerade in diesem Bereich Konkurrenz breit. Während Carlsen sich trotz aller Breite immer noch auf eher »sichere« Konzepte stützt, kümmern sich Verlage wie Splitter, EPSiLON oder der neu gegründete All-Verlag eher um den passionierten frankobelgischen Liebhaber. Das dabei öfter mal die Story hinter der grafischen Qualität zurücksteht, wird durch einige Perlen in der Sammlung wieder ausgeglichen. Leider reichte die Zeit auch hier nicht für eine intensive Sichtung, aber sowohl zu EPSiLON als auch dem All-Verlag werde ich demnächst noch einzelne Titel genauer beleuchten.

Persönliche Highlights:

  • Erik Weißmüller (Eriks DEAE, Detektiv Dede) persönlich kennenlernen
  • Das Trio Flix, Ruthe, Sauer endlich mal Live und zusammen erleben. Eine latent beängstigende Erfahrung ...
  • Jazam-Crew mit wechselnder Besetzung (Schlogger, Beetlebum, selektive Erinnerung)
  • Düstere A4-Alben bei Ehapa schmökern. Womöglich nach Splitter zweites Album-Geldgrab entdeckt.

Und damit kann ich nur ein paar Eckpfeiler aller Eindrücke wiedergeben. Von den diversen Ausstellungen für die die Zeit nicht reichte, hörte man viel Gutes und die erlebten Podiumsdiskussionen waren allesamt interessant. Gerade das Thema digitale Vernetzung, sei es nun bezüglich Twitter, oder dem Urheberrecht, prägte das Bild, wobei gerade letzteres ein angenehm entspanntes Gesprächsklima besaß.

Wer nicht da war, sollte sich in jedem Fall die recht breite Nachberichterstattung zur Gemüte führen, die natürlich auch in Comicform zu finden ist. Empfehlenswertes findet sich hier...

Und wem das nicht reicht, auch ich gebe demnächst noch ein paar Eindrücke zum Besten. Der Speicher ist voll mit Interviews, einigen weniger und vielen mehr interessanten Neuerscheinungen von Leuten, die ihren Kram auch irgendwie im Netz publizieren.

FredUnd sonst so...

Auch abseits von Erlangen ist in den letzten Wochen und Monaten viel passiert. Aktuell läuft in der FAZ Katja Klengels »Als ich so alt war«, womit sie quasi die Nachfolge von Flix antritt, der hier zuletzt seinen Don Quijote präsentierte. Katjas Stil ist dabei experimentell und probiert sich immer wieder neu aus. Das verzögert den Lesefluss zwar manchmal, zwingt den Leser aber zu mehr Aufmerksamkeit. Und diese Aufmerksamkeit hat sich die Geschichte mit ihrer Parallelkonstellation mit den Erlebnissen der Großmutter und der Enkelin zweifellos verdient.

Mit FRED hat Bastian Melnyk seinen gleichnamigen Webcomic nun auch in ein prall gefülltes Büchlein transferiert. Der extrem dichte, fast schon an der Schmerzgrenze des erträglichen lavierende Trend zu Wortspielen kommt dem Buch ausgesprochen gut zupass. Mehr noch als viele andere Stripsammlungen, führt man sich FRED nur in kleineren Dosierungen zu Gemüte, und das ist wirklich positiv gemeint. Abgesehen davon passt das Buch gut zu Keksen.

MichaelRoosfrisch-und-lecker

Und auch andernorts werden die Druckwerke wieder angeworfen. Pünktlich zur Comic Action in Essen wird es neue Stripsammlungen geben von: David Malambré, Michael Roos und Sarah Burrini. Während man Michaels Heft schon über seine Seite schon bestellen kann, wird es die anderen Hefte erst in Essen geben. Die »Early Years«, so der Titel von Sarahs zweitem Buch, erscheinen dieses Mal nicht bei Zwerchfell, sondern in der edition kwimbi. Damit startet der noch frische Webcomic-Shop Kwimbi jetzt auch in den Verlagsbereich ein. Das sollte man definitiv mit Interesse verfolgen. Einerseits gibt es so für die Zeichner eine weitere Möglichkeit, ihre Sachen möglichst günstig drucken und vertreiben zu lassen, andererseits geht man damit natürlich auch in Konkurrenz zu Verlagen wie Zwerchfell oder Schwarzer Turm. Mit dem stetigen Boom an Webcomics im deutschsprachigen Bereich sollte aber noch genug Raum für Expansion unter den Kleinverlagen bleiben.
Apropos Druckwerk: Auch Schlogger bringt nun nach einer Reihe Heftgetackertem endlich ein eigenes Buch raus. Bei Panini Comics erschien vor wenigen Tagen ihr Buch danach und hat auf der Frankfurter Buchmesse von den Zeichnerkollegen schon viel Beachtung gefunden.

Mit der Comichöhle gibt es seit ein paar Monaten einen neuen, sehr hörenswerten Podcasts speziel über Webcomics. SirTomate hat bisher gut vorgelegt und sich viele interessante Gäste vors Mikro geholt. Dabei hat er ein gutes Talent um die Leute zu lockeren und weitschweifigem Plaudern zu verleiten. Gewiss, klar und schnell zum Punkt sieht anders aus, aber die Webcomiczeichner müssen schon bei ihren Strips immer mit wenig Platz auskommen. Also lasst ihnen in der Comichöhle doch auch mal Platz zum durchatmen.

Gestern Noch  Das Leben ist kein Ponyhof: Early Years

Und last but not least bleiben wir bei Frau Burrini. Auf der Frankfurter Buchmesse wurde sie mit dem Web-Sondermann 2012 ausgezeichnet. Nominiert waren neben ihr Johannes Kretzschmar (Beetlebum) und TEN – Online-Manga (Martina Peters).
Sarah Burrini hat im Moment einen sehr guten Aufwind in ihrer Karriere und man darf gespannt sein, welche Veröffentlichungen oder Projekte man in den nächsten Monaten und Jahren von ihr erlebt. Auch ihr Webcomic verändert sich über die Jahre im Stil merklich, bleibt seiner Grundform aber treu. Hier unterscheidet sie sich klar vom experimentell-neugierigen Konzept des Herrn Beetlebum, dessen letzte Umgestaltung bei vielen Lesern für viel Trubel sorgte. Doch der Mann steht zu seinen (gezeichneten Rundungen) und verweigert sich weiterhin einem ordentlich gedruckten Werk.

Bei Sarah merkt man indes, dass sie eine Vollblutgrafikerin ist, die am Ende ja auch davon leben muss. Beetlebum und Burrini sind konzeptionell zwei grundverschiedene Webcomics. Dass beide nun einen Web-Sondermann gewonnen haben ist nur gerecht und bezeugt die breite Varianz des Mediums.
Für das nächste Jahr dürfte es interessant werden, wer sich für den Preis etablieren kann. In einem Jahr kann sich viel tun und noch lässt sich nur schwer absehen, wer bis zum nächsten Web-Sondermann genug Leser von seinen Qualitäten überzeugen kann.

Und nun heißt es auch schon Sachen packen für Essen. Aus Erlangen haben wir gelernt, dass es nie zu viel freien Platz im Koffer geben kann. 

Abbildungen © bei den angegebenen Künstlern


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Über den Autor
Alexander Lachwitz (Jahrgang 1982) studiert derzeit Medientechnik auf Bachelor in Emden. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker (Systemintegration) entschied er sich, das digitale Know-How mittels eines Studiums auf den Medienbereich auszuweiten.

Neben der freien Beschäftigung im Bereich Webdesign und Layout schreibt er regelmäßig für verschiedene Webmagazine über Videospiele, Comics, Filme und Bücher. Webcomics haben sich dabei durch ihren starken Boom der letzten Jahre zu einem persönlichen Favoriten in der bunten Kulturlandschaft entwickelt.