Frisch Gelesen Folge 222: Year Zero 1

 

»Aber ich habe vielleicht das nächste Massensterben ausgelöst.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Year Zero Band 1

Story: Benjamin Percy
Zeichnungen: Ramon Rosanas

Cross Cult
Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 22,00 €
ISBN: 978-3-96658-338-1

Genre: Horror

Für alle, die das mögen: The Walking Dead sowie Zombies und apokalyptische Storys



Kurz zu meinen Comicleseneigungen. Bei einem Thema schaltet sich mein Großhirn aus: Zombies. Da muss ich nicht lange überlegen, da kaufe ich. Ich kann gar nicht genug Comics über die verwesenden Untoten lesen. Am liebsten eine kleine Gruppe von Menschen, die sich gegen den Horror zur Wehr setzen muss und nach und nach dezimiert wird. Großartig!

Deshalb habe ich bei Year Zero auch gleich zugegriffen. Denn schon das Cover verspricht alles, was ich mir wünsche: Ein Wohnmobil, für die Schlacht gegen die toten Viecher aufgemotzt, inklusive starker Bewaffnung auf dem Dach, steht in einer einsamen Gegend. So muss es sein. Was bei manchem Leser nur ein »Nicht-schon-wieder«-Augenrollen hervorbringt, versetzt mich in Entzücken.


I
n Afghanistan kämpft eine Gruppe Frauen ums Überleben.


Umso erstaunter war ich dann, als ich feststellte, dass Autor Benjamin Percy nicht die ewig gleiche Geschichte in der x-ten Variante herunterspult, sondern einen komplett neuen Weg geht. In seinem Nachwort formuliert er treffend: »Natürlich sind wir alle mit Romeros Nacht der lebenden Toten und Kirkmans The Walking Dead vertraut – aber im Gegensatz zu diesen Werken konzentrieren wir uns nicht auf eine Gruppe Überlebender im Keller oder eine Truppe merkwürdiger Typen, die durchs Land ziehen. Year Zero spielt nicht in einem Mikrokosmos – es nimmt das große Ganze ins Visier«.

Auf den Punkt getroffen. Denn mit Band 1 seiner neuen Serie zeigt uns Percy nicht eine zusammenhängende Gruppe, sondern springt in seiner Geschichte zwischen einem Killer in Japan, einem Jungen aus den mexikanischen Slums, einer jungen Frau in Afghanistan, einer Polarforscherin und einem Nerd aus den Tiefen Minnesotas hin und her. Die fünf haben nichts miteinander zu tun. Das wird sich auch während des ganzen ersten Bandes nicht ändern.


Vereinzelt eingestreute ganzseitige Panels, dieses hier in Japan angesiedelt, schaffen Atmosphäre.


Statt eines kontinuierlichen und einheitlichen Handlungsverlaufes nimmt uns Percy in seiner Geschichte an die Hand und führt uns von einem zum anderen. Nie verweilen wir länger bei einem Protagonisten. In der Regel springen wir nach zwei Seiten zum nächsten Ort: Polarregion, Mexiko, Japan, Afghanistan, USA. Er springt willkürlich, bleibt in keiner festgelegten Reihenfolge. Oft enden die kurzen Szenen mit einem Cliffhanger. Das macht Percy sehr geschickt, denn er baut eine enorme Spannung auf, die sich um das Fünffache potenziert. Kaum habe ich mich in eine Geschichte eingefunden, in einem Szenario zurechtgefunden, gibt es einen Cut und ich befinde mich plötzlich ganz woanders.


In Mexiko spielt die Kirche eine zentrale Rolle.


Auf diese Weise stellt der Autor das Große und Ganze dar, wie er es im Nachwort versprochen hat und das der Leser eher als ein Vorwort betrachten sollte. Die große Kunst Percys ist es, dass es ihm trotz der unzähligen Schauplatzwechsel gelingt, nicht nur dem gesamten Band einen roten Faden zu geben, sondern dass seine Protagonisten auch richtige Charaktere werden. Denn schon nachdem ich zum zweiten Mal in Afghanistan die heiße Wüstenluft eingeatmet habe oder in Mexiko durch die Kloaken gekrochen bin, ist mir das Schicksal der jeweils Handelnden nicht egal. Ich will wissen, wie es mit Ihnen weitergeht. Ich bange und hoffe mit ihnen.


Wo genau die Seuche herkommt, bleibt lange im Dunkeln.


Percy gelingt das, indem er als Stimme aus dem Off die Gedanken der Charaktere wiedergibt. Dialoge in Form von Sprechblasen werden vor allem im ersten Drittel des Bandes zur Seltenheit. Sie erhalten mit diesem Kunstgriff die Tiefe, die es braucht, um eine spannende und fesselnde Geschichte zu schreiben. So erfahren wir von den tiefen Gefühlen des Killers, von den Rachegelüsten des mexikanischen Jungen oder von den Sehnsüchten des Nerds aus Minnesota. Es sind diese Emotionen, die die Personen für uns real machen. Wir identifizieren uns mit ihnen.


Nerds unter sich in Minnesota: Ramon Rosanas' Zeichnungen und die Seitenarchitektur sind klassisch.


Percy hat bei Year Zero einen großen, allumfassenden Spannungsbogen geschlagen. Teil zwei ist im Original für Ende Mai angekündigt. Kann so weitergehen, ist ja schließlich mein Thema. Neun von zehn Fäulnisgraden.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2021 Cross Cult / Benjamin Percy, Ramon Rosanas


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