Frisch Gelesen Folge 284: Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug

»So ist das.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug

Story: Ryan North (nach dem Roman von Kurt Vonnegut)
Zeichnungen: Albert Monteys

Cross Cult
Hardcover | 192 Seiten | Farbe | 35,00 €
ISBN: 978-3-96658-504-0

Genre: Antikriegscomic, Literaturadaption

Für alle, die das mögen: 1984, Barfuß durch Hiroshima, Hier selbst



Alle Kunst sei nur der verzweifelte Versuch, sich unsterblich zu machen – und dabei zu scheitern. So etwas in der Art soll der britische Regisseur Alfred Hitchcock mal gesagt haben. Oder der Schweizer Autor Gottfried Keller. Aber offenbar kommen selbst Zitate nicht über jenen Versuch hinaus. Bereits nach ein paar Jahrzehnten geraten ihre Schreiber in Vergessenheit. Was uns zu Kurt Vonnegut und diesem Comic bringt.

Den amerikanischen Autor kennen Leser vor allem für zwei Geschichten. Erstens: Er arbeitete mal als Werbetexter und warf die Scheiße nach wenigen Wochen wieder hin. Zweitens: Er erklärte die Strukturen von Plots so, dass es alle verstanden. Und dann ist da noch Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug, der Roman, der Vonnegut zu einem der spannendsten US-Autoren des vergangenen Jahrhunderts machte. Ein Antikriegsroman über die Bombardierung Dresdens, die Vonnegut als Soldat im Zweiten Weltkrieg miterlebte. Bizarr. Schwarzhumorig. Mit Außerirdischen. Und gerade deswegen erschütternd. Was die Sache mit der Adaption schwierig macht. Zumindest theoretisch.

Nicht weil ein Werk großartig ist und es allein deswegen nicht geht, sondern weil Autoren ihre Geschichte eben in einem Text erzählen. Wer den Stoff dann in ein anderes Medium übertragt, scheitert. Oft. Ryan North und Albert Monteys scheitern nicht. Der kanadische Autor und der spanische Zeichner adaptieren Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug zu einer beeindruckenden Graphic Novel. Weil sie die Vorlage aus dem Roman lösen.

North und Monteys machen auf den ersten Seiten so viele Dinge, die nur im Comic funktionieren. Sie umreißen Charaktere mit nur drei Bildern. Sie stellen das Leben von Hauptfigur Billy Pilgrim als Zeitlinie dar. So wie es das außerirdische Volk der Tralfamadorianer sieht. Denn für sie gibt es jeden Augenblick gleichzeitig. Was North und Monteys in einer simplen Zeitlinie darstellen, und trotzdem erschließt sich das Konzept dahinter auf zwei Seiten. Auf diese Weise setzen sie zu Beginn gleich den passenden Ton für die folgenden 192 Seiten dieses Comics.

Besonders die Zeichnungen von Albert Monteys setzen die Ironie. Es wird jedoch nie böse oder hämisch. Vielmehr bewegt sich Monteys ganz nah an den Figuren und vor allem Billy Pilgrim. Dadurch lässt sich auf der einen Seite Billy Pilgrims Sexabenteuer auf dem Planeten der Tralfamadorianer zeigen und auf der anderen Seite die Bombardierung Dresdens. Sowohl die Komik als auch die Tragik haben ihren Platz.

Erzählerisch haben sich North und Monteys viele Freiheiten genommen, nochmal verdichtet. Vonnegut mischte in seinem Roman viele Stile und Formen, das Duo bleibt bei diesem Ansatz des Autors – nur eben auf grafischer Ebene. Mal taucht ein Storyboard als Sequenz auf, mal alte Pulp-Comics. Allerdings verkommt dies bei North und Monteys nie zum Selbstzweck, nie zum Spiel, sondern sie geben ihrem Comic damit Abwechslung und Struktur gleichermaßen. Dass die Tralfamadorianer hier als allwissende Erzähler fungieren und kommentieren, trägt dazu bei. Zu jedem Tod einer Figur sagen sie getreu der Roman-Vorlage: »So ist das.« Lächerlich, schrecklich und lachhaft. So wie das menschliche Leben nun einmal aus der Distanz erscheinen muss und Zeit als räumliche Dimension existiert. Die große Kunst besteht nun darin: North und Montey wandeln Vonneguts Botschaft, die Essenz seines Romans einfach in einen Comic um. Um die Übersetzungen des Romans ins Deutsche gab es mehrfach Debatten, ob sie gut seien. Mit dieser Graphic Novel gibt es nun eine leichtfüßige Adaption, auch wenn dem einen oder anderen die Darstellungen vielleicht zu naiv und zu freundlich erscheinen mögen. Doch bei North und Monteys finden der Schrecken des Krieges und das Böse zwischen den Panels und in den Leerstellen statt.

Unsterblich hat sich Vonnegut mit seinem Roman übrigens auch nicht gemacht. Er starb am 11. April 2007. Und über all dies hätte er wahrscheinlich sowieso gelacht. So ist das.

[Björn Bischoff]

Abbildungen © 2022 Cross Cult / Ryan North, Albert Monteys


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