»Er stürzte ins Haus und packte das wenige zusammen, das er für sein unstetes Leben brauchte.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Simon vom Fluss Gesamtausgabe Bd. 2
Story: Claude Auclair
Zeichnungen: Claude Auclair
Cross Cult
Hardcover | 192 Seiten | Farbe | 35,00 €
ISBN: 978-3-96658-592-7
Genre: Science Fiction
Für alle, die das mögen: Jeremiah, Hombre
1983 kündigte das Carlsen-Prospekt eine neue Serie an: Simon – Zeuge der Zukunft. Die Handlung schien vielversprechend. In einer postapokalyptischen Zukunftsversion schlägt sich Simon durch. Allerdings hat mir ein Blick ins Album offenbart, dass ich – geprägt durch meine Tim-und-Struppi-Sehgewohnheiten – mit den Zeichnungen komplett überfordert war. So schob der damals 14-jährige Junge den Band zurück.
Seit Dezember 2021 legt Cross Cult nun eine bibliophile Gesamtausgabe der Serie unter dem richtigen Titel Simon vom Fluss vor, von der der zweite Teil erschienen ist. Mit den drei in dem Band enthaltenen Bänden »In den Sümpfen«, »Die Pilger« und »Zentrum 3« präsentiert die Gesamtausgabe die ersten Höhepunkte der Serie. Abgerundet wird der zweite Teil der dreibändigen Gesamtausgabe von einem 44-seitigen Dossier aus der Feder des Comicjournalisten Patrick Gaumer.
Im ersten Band der Gesamtausgabe ist auch in deutscher Erstveröffentlichung »Die Ballade des Rotschopfs« enthalten, die erklärt, warum Simon überhaupt heimatlos ist.
Die Frage, die sich bei der Lektüre einer 1973 begonnenen Science-Fiction-Serie stellt, ist, ob sie so zeitlos ist, dass sie auch noch fast 50 Jahre später den Leser in den Bann ziehen kann. Denn in den 1970er Jahren kam es zu einer Blütezeit engagierter künstlerischer Werke, die in irgendeiner Weise dem postapokalyptischen Genre zuzuordnen sind, wie beispielsweise die Comicserie Jeremiah des Belgiers Hermann oder die Filme Mad Max, Silent Running und Soylent Green (nach einer Romanvorlage aus dem Jahr 1966), um nur einige zu nennen. Und um es vorwegzunehmen, man merkt dem Werk sein Alter durchaus an. Denn es spiegelt den Zeitgeist jener Jahre nahezu wider. In Auclairs postatomarem Universum sind die Menschen auf sich allein gestellt und müssen das Leben in der Gemeinschaft, die gegenseitige Hilfe und die einfachsten Gesten des Überlebens neu erlernen. Leider haben sich einige Überlebende den Hass und die Verachtung bewahrt, die den Menschen auszeichnen, und versuchen daher, ihre Macht über die friedlichen Völker durchzusetzen. Simon ist jedoch ein freier Mann, ein Kämpfer, aber auch ein philosophischer Mensch im besten Sinne des Wortes, der sich mit seinem Äußeren und seinem Nomadentum an die Hippiebewegung anlehnt.
Die großen Textmengen wirken in einigen Passagen störend und lassen Auclairs wundervolle Zeichenungen nicht zur Geltung kommen.
Ganz dem Zeitgeist verhaftet sind auch die Texte Auclairs – vielleicht die einzige Schwäche der Serie. Denn die Qualität der Texte ist sehr schwankend, was bei einer Comicserie, die sehr textlastig ist, zu einem Problem werden kann. Man merkt den Geschichten an, dass der Autor einen Schwerpunkt in den philosophischen Betrachtungen und Gedanken seines Protagonisten legt. Das kommt mitunter etwas schulmeisterlich daher und erinnert dann an die Allerweltsphilosophie eines Antoine de Saint-Exupéry. An anderen Stellen gewinnt der Text überraschend an Tiefe, wenn sich beispielsweise der Protagonist selber hinterfragt und über seine Situation reflektiert. Seine Unaufgeregtheit dabei resultiert nicht aus seiner Weisheit, sondern scheint Teil der existenzialistischen Bewegung in Frankreich zu sein. Das ist große Kunst.
Auclairs Artwork hat in der gesamten Serie ein gleichbleibend hohes Niveau.
Dennoch würde ich konstatieren, dass die Geschichten insgesamt zu textlastig sind. Denn die Blöcke haben den großen Nachteil, dass sie die eigentliche Kunst Auclairs – das Zeichnen – in ihrer Wirkung einschränken. Viel zu oft möchte man das Panel ohne störende Einschübe genießen. Auclairs grafischer Stil bleibt im Laufe der Serie auf gleichbleibend hohem Niveau. Zwar scheint sich beim Zeichner ein immer größeres Vertrauen in die erzählerische Kraft des Bildes zu entwickeln, denn der Text verschwindet zusehends im Laufe der Serie, aber noch zu oft ärgert sich der Betrachter über die überflüssigen wie störenden Texteinschübe. Ein gelungenes Beispiel ist der Beginn der Geschichte »In den Sümpfen«. Fast schon in Westernmanier schlittert Simon ins Abenteuer. Auclairs Bilder sind überwältigend. Der Betrachter fühlt fast die Nässe, den Sumpf.
Die Einstiegsszene aus »In den Sümpfen« zählt zu den zeichnerischen Highlights der kompletten Serie.
Unterm Strich: Simon vom Fluss ist eine typische 70er-Jahre-Comicserie, die aber nichts an Wirkung verloren hat. Die Geschichten sind spannend und fesseln immer noch. Bemerkenswert ist vor allem das fantastische Artwork von Auclair. Ich gebe acht von zehn apokalyptische Reiter.
[Bernd Hinrichs]
Abbildungen © 2021/2022 Cross Cult / Claude Auclair
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