»Wir werden nie aufhören, diese Welt besser machen zu wollen.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Fantastic Four Anthologie: Marvels Superheldenfamilie
Storys: Scott Lobdell, Jonathan Hickman, John Byrne, Stan Lee, Karl Kesel, Mark Waid
Zeichnungen: Alan Davis, Jack Kirby, John Buscema, John Byrne, Steve Epting
Panini Comics
Hardcover | 352 Seiten | Farbe | 35,00 €
ISBN: 9783741641381
Genre: Superhelden, Science Fiction
Für alle, die das mögen: Fantastic Four, Wohlfühllektüre, Familiengeschichten, Humor, Spider-Man
Am Anfang waren die vier Elemente: Erde, Luft, Wasser und Feuer, und daraus entstand 1961 ein ganzes Universum. Wie passend, dass Panini dazu ein Buch herausbringt, das so dick wie eine Bibel ist und uns zwölf Comics aus den Jahren 1961 bis 2011 beschert. Dazu gibt es informative redaktionelle Texte, die für das Verständnis der Geschichten sehr hilfreich sind. Das Format des Buchs ist ein klein wenig größer als die Originalhefte und leider werden die jeweiligen Cover nicht in voller Seitengröße wiedergegeben. Trotz des stattlichen Umfangs von fast 400 Seiten können naturgemäß nur winzige Einblicke in das Gesamtwerk der Fantastic Four (F4) gegeben werden. Hier schafft es Thomas Witzler immer wieder, Neugierde auf ausgelassene Comics zu wecken, etwa auf die Beiträge der Meisterzeichner Jim Lee und Salvador Larocca.
Es beginnt mit der Entstehungsgeschichte: Die vier Astronauten Reed Richards, seine Frau Sue Storm, ihr Bruder Johnny Storm und Ben Grimm erhalten durch kosmische Strahlung ihre Superkräfte und werden zu Mr. Fantastic, Die Unsichtbare, Die Fackel und Das Ding. In ihrem ersten Abenteuer ziehen sie gegen den etwas kauzig anmutenden Mole Man, also den Maulwurfmann, ins Gefecht. Für heutige, erfahrene Comicfans ist das vermutlich kaum lesbar, ohne zwangsläufig an all die Hommagen an diese berühmte Story zu denken und an Figuren wie Hans Maulwurf von den Simpsons. Bierernst ist dieser Schurke eindeutig nicht zu nehmen und bereits das erste Heft gibt die Richtung vor. Bei den F4 geht es herzlicher, lockerer und ganz klar: familiärer zu als in anderen Comics. Wohlfühllektüre wie bei Superman, wobei es deutlich leichter fällt mitzufühlen, weil die Figuren eben nicht allmächtig sind und allein schon die Figur Ben Grimm voller Tragik und Humor steckt.
Der neben Galactus wohl beliebteste und wichtigste Gegenspieler der F4 hat in dieser Anthologie gleich zwei unterschiedliche Herkunftsorte: In den Comics stammt Dr. Victor von Doom einerseits aus den bayerischen Alpen, dann wiederum liegt Latveria, seine fiktive Heimat, im Drei-Länder-Eck Ungarn, Rumänien und Serbien. Die Mutter war eine Hexe, der Vater war Angehöriger der Sinti und Roma, die in dieser Übersetzung allerdings noch mit dem früher gebräuchlichen Ausdruck bezeichnet werden.
Neben den an sich sehr unterhaltsamen Storys fallen drei Elemente besonders auf. Erstens: ein erzählerischer Kniff, den auch Karl May oder Sir Arthur Conan Doyle gern verwendeten. Wir lesen hier angeblich keine Fiktion, sondern Tatsachenberichte! Und so begleiten wir etwa in »Die Verhandlung von Reed Richards« Zeichner und Autor John Byrne als Protagonisten ins All, um an einem Gerichtsprozess teilzuhaben. In »Alltag« wiederum sehen wir einem Marketingexperten bei der Arbeit zu, der die Truppe kommerziell verwertbarer machen soll. Das liest sich augenzwinkernd charmant.
Zweitens: die Kreativität. Denn der Sammelband beinhaltet auch eine dieser originellen Fotocollagen von Jack Kirby in die Negativzone in »Und es werde … Leben!« von 1968, welche wohlige Erinnerungen an die Galactus-Saga weckt und die Frage aufwirft: Warum sind Comics so oft so konservativ gestaltet, wo ist 2025 das Genie und die Aufbruchstimmung der 1960er-Jahre? Bei Marvel eher nicht, bei Image und anderen schon eher. Schade!
Und drittens: ein differenzierter Blick. Für all jene, denen das Marvel Cinematic Universe (MCU) in den Jahren vor den Thunderbolts* zu »woke« war, dürfte die extrem kämpferische Frauenrechtlerin in »Ende der Kindheit« gefallen, denn die ist so tief in ihrer Weltsicht verbohrt, dass sie keinerlei andere Sichtweisen zulässt. Die linke Journalistin möchte von Sue Richards unbedingt ihr Vorurteil bestätigt bekommen, dass Sue nur kleingemacht und nicht ernst genommen wird. John Byrne aber macht daraus eine differenzierte, kluge Erzählung. Einerseits stimmt es ja vollkommen, dass Unsichtbarkeit eine eher lahme Superkraft ist und dass Frauen in den Superheldencomics sehr oft auf ihre Optik beschränkt und auf vermeintlich weibliche Attribute getrimmt werden. Andererseits gibt es aber Wonder Woman, Selina Keyle oder eben eine, von Könnern wie Byrne, gestaltete Sue Richards, die für ihre Rechte einsteht und den anderen Helden absolut ebenbürtig ist. Da war ein Comic von 1982 tatsächlich schon toleranter, differenzierter und weiter, als es viele Nutzerinnen und Nutzer von Twitter/X oder TikTok heute sind.
Wer neben dem Kinofilm Fantastic Four: First Steps (Starttermin: 24. Juli 2025) und der Anthologie noch Lust auf mehr hat: Antiquarisch lohnt sich Marvel Klassiker: Fantastic Four 1, in der sich unter anderem die Galactus-Saga findet, die definitiv zu den Glanzlichtern der Serie zählt, also die US-Hefte Fantastic Four 48-50. Die F4-Anthologie dürfte 2025 eine richtig gute Idee für den Gabentisch sein, vielleicht zu Weihnachten, dem Fest der Liebe und der Familie. Wie passend.
[Stefan Svik]
Abbildungen © 2025 Panini
Kauft den Comic im gut sortierten Comicfachhandel oder beim Verlag: Panini