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Frisch Gelesen Folge 443: Shubeik Lubeik

»Shubeik Lubeik – Wie kann ich helfen?«


FRISCH GELESEN: Archiv


Shubeik Lubeik – Dein Wunsch ist mir Befehl

Story: Deena Mohamed
Zeichnungen: Deena Mohamed

Schreiber & Leser
Hardcover | s/w u. Farbe | 528 Seiten | 39,80 €
ISBN: 978-3-96582-199-6

Genre: Drama, Komödie, Fantasy

Für alle, die das mögen: Persepolis, Die Katze des Rabbiners, Ein Vertrag mit Gott



In der Welt von Shubeik Lubeik existieren Djinns, also Flaschengeister wie aus 1001 Nacht, die Wünsche erfüllen. Wobei nicht alle Geister in Flaschen leben und die Wunscherfüllung häufig zu wünschen übrig lässt: Es gibt Geister in drei Qualitätskategorien, und von den »Delesseps« der sehr billigen dritten Klasse, die in Dosen verkauft werden, erhalten die Wünschenden nur selten das, was sie wirklich wollen – wer nach Geld fragt, kann mit Monopoly-Geld rechnen. Die teuren Erste-Klasse-Geister dagegen, die sich nur reiche Leute leisten können, machen auch abwegige Träume wahr: Politiker gewinnen mit ihnen Wahlen und in einer Gated Community werden Dinosaurier als Haustiere gehalten.

In diesem Rahmen ist es ebenso seltsam, dass Shokry, Betreiber eines billigen Kiosks, drei Erste-Klasse-Flaschen besitzt wie die Tatsache, dass er sie nicht verkauft bekommt, nicht einmal mit großen Rabatten. Shokry ist darüber nicht wirklich unglücklich, sein Vater hat ihm beigebracht, dass ein guter Muslim nichts mit Zauberei zu tun haben darf. Doch schließlich kommen Menschen zu ihm, die dringend ein Wunder brauchen, und bald überlegt der nette Kerl sogar, die letzte Flasche selbst zu nutzen. Aber so simpel ist es nicht: Wünsche können schwere Lasten sein und viel Ärger einbringen.


(Achtung, die Seiten werden von rechts nach links gelesen!)


Die Ägypterin Deena Mohamed erzählt in ihrem monumentalen Werk vom Schicksal kleiner Leute und verknüpft dabei elegant viele große Themen: Es geht um Klassengesellschaft und Depression, um religiöse Dogmen und Kolonialismus, um menschliche Güte und die unmenschliche Bosheit der Bürokraten. Die Kritik an ihrem Heimatland ist ebenso deutlich wie ihr Glaube an die Menschen, was das Buch zugleich gesellschaftskritisch und warmherzig macht.

Und dann ist es auch noch lustig: Die Studentin Nour versucht, ihre Gefühle mit Infografiken in den Griff zu bekommen. Der Kioskbesitzer Shokry muss sich mit seiner Stammkundin Hagga herumschlagen, einer älteren Frau, die stets ein bisschen smarter ist als er und auch noch bestens gelaunt, als der Krebs bereits dabei ist, sie zu zerfressen. Und der Esel Grautier, der von seinem Besitzer mit einem Dosengeist intelligent gezaubert wurde, zieht Tag für Tag nörgelnd und schimpfend durch die Straßen – alles Scheiße!


Deena Mohammeds Buch ist fantastisch kurzweilig, berührend, originell und wunderschön gezeichnet. Die klaren, kontrastreichen Bilder voll durchdachter Details bringen Menschen näher, machen Orte fühlbar und lassen Atmosphäre entstehen. Mich hat das Buch an den Klassiker Ein Vertrag mit Gott von Will Eisner erinnert – das ist die Liga, in der dieses Buch spielt! Mit Eisner teilt die Ägypterin die humanistische Grundhaltung, aber auch einen großen erzählerischen und visuellen Reichtum, eine auf allen Ebenen freigiebige Üppigkeit.

Für mich sind das Qualitäten, die die arabische Kultur allgemein auszeichnen. Ich kenne es vom arabischen Essen und erst recht vom Gebäck, aus Gesprächen mit Menschen aus der Region und vom arabischen Barbier. Auch Charles Berberians (Monsieur Jean) ebenfalls kürzlich erschienene Graphic Novel Eine orientalische Erziehung ist zumindest visuell genauso üppig: Der in Bagdad geborene Künstler, der einen Teil seiner Kindheit in Beirut verbracht hat und seit 1975 in Paris lebt, hat dafür unter anderem seine Skizzenbücher geplündert und ein wundervoll bildreiches Buch geschaffen:

Doch der Inhalt kann mit der visuellen Pracht nicht mithalten, und ich glaube, das ist nicht nur ein künstlerisches Problem. Das Buch beginnt nach einem kurzen Corona-Intro, das arg nach Resteverwertung aussieht, mit einem Besuch in Beirut, wo der Künstler als Kind gelebt hat. Dort erinnert er sich an sein Leben in den Siebzigern, als die Stadt das Paris des Nahen Ostens war, und erzählt von einer arabischen Moderne, die hierzulande kaum präsent ist. Sie verschwand im Libanon 1975 im Bürgerkrieg, in dem leider auch dieses Buch versinkt: Recht bald geht es darum, wie Milizen durch die Stadt ziehen, überall geschossen wird und ein Kampf beginnt, der bis heute Spuren hinterlässt. Es ist das europäische Bild vom Nahen Osten: Krieg, Korruption, Elend.

Das alles stimmt natürlich, ist aber nur die Hälfte des Bildes – es gibt auch eine reiche Kultur. Berberian kennt sie, erzählt sogar davon, verliert dann aber den Blick darauf – er sieht das Land seiner Kindheit aus der engen Perspektive des Europäers. Deena Mohamed dagegen betrachtet Ägypten von innen: Ihr Land hat ebenfalls mit Gewalt und Korruption zu kämpfen, aber sie lebt und fühlt auch seine Kultur. Und weil sie zudem von einer Fantasiewelt erzählt, kann sie sich darauf konzentrieren. Was zu einem wesentlich interessanten Ergebnis führt: Die arabische Welt hat bei ihr ebenfalls viele Probleme, aber auch enorm viel zu bieten. Für Deutschland, wo Großzügigkeit gerne mit Verschwendung verwechselt wird, ist das eine wichtige Nachricht: Leute, lernt von euren arabischen Nachbarn!

 [Peter Lau]

Abbildungen © 2025 Schreiber & Leser / Deena Mohamed


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