Frisch Gelesen Folge 249: Verlagswesen

Verlagswesen

»Ja, nee, hab‘ schon geguckt. Die müssen wir mal neu bestempeln.«
»Annette sagt immer ›wir‹ und dann muss die Praktikantin alles alleine machen, hehe.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Titelbild von Verlagswesen

Verlagswesen

Story: Annette Köhn
Zeichnungen: Annette Köhn

Jaja Verlag
HC | 132 Seiten | Farbe | 23,00 €
ISBN: 978-3-948904-23-4

Genre: Slice of Life, Graphic Novel

Für alle, die das mögen: Comics über das Comicverlagswesen, Independent-Verlage


 

Eins vorweg: Einen Comic wie Verlagswesen unvoreingenommen zu besprechen, ist kein leichtes Unterfangen. Gerade, wenn man sich ein bisschen auskennt: mit Comics, der Comicbranche und ihren Macherinnen und Machern.

Die Szene ist ein toller Spiegel der Gesellschaft und natürlich sehr eigen. Friede, Freude, Eierkuchen sind nicht immer möglich. Seit viele ein Facebook-, Twitter- und sonstige Accounts haben, treiben verbale Kreuzzüge kuriose und mitunter schwarzweiße Blüten. So wie im richtigen Leben. Eben.

Und dann ist da Annette Köhn mit ihrem Jaja Verlag. Und sie schwebt scheinbar mühelos über allem. Manchmal etwas crazy, kann sicher auch mal nerven, scheint im Herzen gut und rein, ist sie irgendwie durch und durch sympathisch, obwohl sie konsequent ihren eigenes Ding durchzieht und Ecken und Kanten hat.

Verlagsgründung 2011

Ihr Jaja Verlag hat doch tatsächlich den zehnten Geburtstag feiern können. 2011 gegründet, wahrscheinlich mit wenig Geld und keinem konkreten Plan, gibt es Jaja auch heute noch. Damals von der traditionellen Comicszene belächelt (»Noch ein Graphic-Novel-Kleinverlag? Gähn.«), von den Comicsammlern ignoriert (»Das sind doch keine richtigen Comics.«) und vom Rest neugierig beäugt – als tendenziell feministische Kuriosität  hat sich der Berliner Verlag, der seine Bücher »Machwerke« nennt, etabliert. Einfach so. Und zwar als feste Comic-und Graphic-Novel-Größe mit modernen Themen, die immer für eine Überraschung gut ist.

Inzwischen ist das auch außerhalb der Szene aufgefallen. Jaja wurde 2021 mit dem Deutschen Verlagspreis der Bundesregierung für besondere Leistungen ausgezeichnet. Neben dem Gütesiegel gab es dieses Jahr eine um 4.000 Euro erhöhte Prämie von 24.000 Euro. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärte: »Mit ihrem Gespür für Leserinnen und Leser und dem eigenen Kopf für Themen auch jenseits der ausgetretenen Pfade sorgen die kleinen, unabhängigen Verlage für eine einzigartige Vielfalt auf dem deutschen Buchmarkt. Gerade in diesen Zeiten der Krise haben sie echten Mut zum unternehmerischen Risiko bewiesen. Dieses Engagement für das Kulturgut Buch verdient unsere besondere Anerkennung.«

Zum Jubiläum hat sich Annette Köhn ein eigenes Album gegönnt: Hardcover im großen Format, 22 x 28 cm, was nicht gerade typisch ist für Jaja. Und so richtig luxuriös, mit Lesebändchen und Leineneinband. Weil es schön aussieht und weil sie es kann. Sie ist die Verlegerin, die Chefin, die nicht führt, nicht leitet, nicht organisiert, nicht lebt, sondern sie »macht und tut«, wie sie im Prolog darstellt.

Leseprobe Verlagswesen

 

In dem Buch mit dem schönen Titel Verlagswesen wird selbiges beschrieben am Beispiel eines Mittwochs Anfang Februar 2020. Da war die Welt gerade noch so in Ordnung, denn anschließend begann die Corona-Pandemie mit dem Umkrempeln der Welt, wie wir sie kannten.

Annette geht zur Arbeit. Um ca. 9:55 Uhr, was recht spät erscheint, gerade für Selbstständige, aber Köhn ist ja auch Künstlerin und darf das. Sie »macht und tut« in ihrem Atelier, der sogenannten »Musenstube« (noch so ein schöner fantasievoller Name), und wird erstmal begrüßt von Hund Blender. Die Jaja-Praktikantin Loui und zwei andere Musen namens Lihie und Vibe sind auch schon da. Und so kleine Verlagswesen, die an manchen Stellen des Comics spezielle Fragen stellen und dadurch erklären wie Jaja funktioniert.

Nur der DHL-Mann fehlt. Er wird aber sehnlichst erwartet, denn eine Neuerscheinungen soll vom Drucker kommen: Jein von Büke Schwarz.

Gezeigt wird der ganz normale Alltag im Verlag. Annette Köhn beschreibt, wie die Buchhaltung abläuft, Kaffee gekocht, E-Mails gelesen, Bestellungen bearbeitet und Comics zum Versand eingepackt und die Verpackungen schön kreativ bestempelt werden. Das ist zwar mäßig spannend, aber trotzdem im Kontext irgendwie interessant.

 

 

Leseprobe Verlagswesen

Einen Rundgang durch die Räumlichkeiten des Jaja Verlags gibt's auch

 

Köhn lässt in allen Bereichen die Hosen runter. Einmal auch buchstäblich. Auf Seite 87 geht sie auf einer ganzen Seite auf die Toilette. »Wisst ihr … Ich wollte diese Klo-Szene unbedingt einbauen, weil Pipi-Machen in den meisten literarischen  … Werken … oder in Filmen unrealistischerweise fehlt!«, lässt sie sich selbst auf dem Thron sitzend sagen.

Nichts scheint der Jaja-Gründerin peinlich. Und da sind wir wieder bei der Sympathie. Sie ist (bitte Englisch aussprechen) »real«. Sie bleibt sich treu und das macht sie und ihr neustes Werk charmant und liebenswürdig.

Okay, die Zeichnungen sind eher mittel, aber durch filmische Panelfolgen durchaus ansprechend. Schön, dass die Seiten koloriert wurden, was dem Gesamtbild eine zusätzliche aufwendige Note verleiht.

 

Leseprobe Verlagswesen

Endlich! DHL war da und brachte eine sehnlichst erwartete Neuerscheinung

 

Somit bietet Verlagswesen einen durchaus klaren Blick hinter die Kulissen des Jaja Verlags und ein Stück weit auch in die Psyche von Annette Köhn. Die leicht verrückte und herzliche Art, vermischt mit einer starken Prise Bodenständigkeit und wachsender Professionalität des Verlagsalltags, wirkt authentisch.

Man hätte sich gewünscht, dass nach der Schilderung des einen Tags im Februar 2020 noch ein Kapitel zum Thema »Verlagswesen unter Covid-19« gefolgt wäre. Aber es sind auch so schon über 130 Seiten geworden. Aber damit wurde einer Fortsetzung Tür und Tor geöffnet. Spätestens zum 15-jährigen Jubiläum.

[Matthias Hofmann]

Abbildungen © 2021 Jaja Verlag / Annette Köhn


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Oder beim Verlag: Jaja Verlag