Frisch Gelesen Folge 231: The Boys – Liebe Becky

»Ich habe dich betrogen, jede Minute, seit du tot bist.«


FRISCH GELESEN: Archiv


The Boys – Liebe Becky

Story: Garth Ennnis
Zeichnungen: Russ Braun

Panini Comics
Softcover | 188 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 978-3-7416-2158-1

Genre: Superhelden, Anithelden

Für alle, die das mögen: Preacher, Punisher, Jimmys Bastarde



Zumindest in meiner Erinnerung war es eines der Highlights der letzten Jahre. Garth Ennis hat uns in 13 kurzweiligen Bänden miterleben lassen, wie Billy Butcher und seine Boys sehr unterhaltsam und selten jugendfrei im Auftrag der CIA ganze Heerscharen der von Vought American künstlich erschaffenen Superhelden unter Führung von Homelander aufgemischt und letztlich in einem Showdown fast komplett ausgelöscht haben. Das war sensationell. Nach unzählbaren Veröffentlichungen unterschiedlichster Superheldencomics war The Boys wohl genau das, was viele von uns unterbewusst erhofft, aber niemals wirklich erwartet hätten. Kein Wunder, dass der Panini Verlag die Zeichen der Zeit erkannte und den 13 Tradepaperbacks eine sechsbändige »Gnadenlos Edition« im Hardcover hinterherschickte. Der Hype um The Boys wurde noch zusätzlich durch die Adaption angeheizt, von der mittlerweile zwei Staffeln vorliegen – Ende nicht in Sicht. Band 13 endete mit dem Tod von Billy Butcher auf dem Empire State Building und der Flucht von Hughie und Annie nach Schottland, damit war die Geschichte vorbei – schade, aber konsequent?


Geballte Boys: die Cover der Tradepaperbacks #2 bis #13.


Da es aber nur selten so gute Geschichten gibt, hat sich Garth Ennis wohl überlegt, wie man das Ganze noch einmal (?) wiederbeleben könnte. Herausgekommen ist laut Umschlag eine Mischung aus Sequel und Prequel. Wobei es hier doch eher um das Prequel geht, denn das Sequel, also die Geschichte von Hughie und Annie zwölf Jahre nach dem Ende der Boys, ist schnell erzählt. Die beiden sind immer noch nicht verheiratet und leben, ohne die Geschehnisse der Vergangenheit wirklich final aufgearbeitet zu haben, friedlich in Schottland.


Anonyme Post, die Hughie im für Garth Ennis typischen Humor auf dem stillen Örtchen liest.


Dabei wäre es wohl geblieben, wenn Hughie nicht anonym ein mysteriöses Buch zugeschickt bekommen hätte. Es handelt sich um nichts anderes als das Tagebuch von Billy Butcher, der mit dem gewaltsamen Tod seiner geliebten Becky durch Black Noir, dem düsteren Alter Ego Homelanders, einfach nicht fertig wird. Er beschreibt darin, wie Becky versucht hatte, ihn aus der Gewaltspirale herauszuhalten, in die er absehbar immer tiefer rutschte und was sich dann nach ihrer Ermordung in seinem Hass auf alles, was Superkräfte hat, tatsächlich manifestierte. Das alles passierte, bevor Hughie selbst von Butcher und den Boys rekrutiert wurde. Als wären seine eigenen Erinnerungen nicht schon schlimm genug, wird Hughie jetzt mit Gewalttaten konfrontiert, über die er lieber nichts erfahren hätte und die er anfangs auch gegenüber Annie wohlweislich verschweigt. Nach einer Odyssee in die Vergangenheit findet Hughie den anonymen Absender – aber der Name wird hier nicht gespoilert.


Typisch The Boys: Superhelden, Gewalt und provokante Sprüche.


Wer The Boys kennt, kann sich vorstellen, wie der Rest des Inhalts aussieht. Auch wenn der Rahmen der Geschichte durch die Liebesbeziehungen von Butcher und Becky einerseits und Hughie und Annie andererseits Raum für viel Gefühl lässt, dominiert nicht ganz unerwartet eher Gewalt, Brutalität und unverhohlener Missbrauch. Inhaltlich also nicht viel Neues. Und leider kommt wirklich das Gefühl auf, dass hier versucht wird, eine geniale Idee wie Kaugummi zu ziehen und noch einmal abzusahnen.

Bitte nicht missverstehen, ich habe Liebe Becky mit Vorschussfreuden gelesen, aber ich habe mich danach auch gefragt, ob es irgendeinen Mehrwert gibt, ob es da einen Aufhänger für nächste Bände geben könnte. Eher nicht! Die Geschichte war zu Ende und ich habe für mich entschieden, dass dieses Kapitel geschlossen ist. Auch wenn ich gerade die Meldung bekomme, dass es wohl eine dritte Staffel der Fernsehserie geben wird, wird das an meiner Meinung nichts ändern.


Inhaltlich und zeichnerisch bleibt alles beim Alten: Hughie bei einem Bierchen im Pub.


Auch zeichnerisch bleibt alles beim Alten, nur dass Russ Braun jetzt alleine tätig geworden ist. Das tut der Geschichte aber keinen Abbruch, vor allem auch, weil es ihm mit einfachen zeichnerischen Mitteln gelingt, aus den jungen Protagonisten ältere und nachdenklichere Mienenspiele herauszukitzeln. Okay, Russ Brown ist nicht Steve Dillon und auch nicht Darick Robertson, aber er macht das aus meiner Sicht ziemlich gut.

Ein echter The-Boys-Fan wird möglicherweise um diesen Band nicht herumkommen, alle anderen, die die zum Teil doch sehr krassen Szenen lieber nicht sehen würden, haben sicherlich auch auf die anderen 13 Teile verzichtet.

Wer Liebe Becky kauft, wird auch die nächsten Prequels und Sequels kaufen wollen. Vielleicht gibt es dann aber doch Alternativen, die das Geld eher wert sind.

[Stephan Schunck]

Abbildungen © 2021 Panini Comics / Garth Ennnis, Russ Braun


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