»Aber ich halte meine Begeisterung im Zaum. Und mein Ego. Im Gegensatz zur Medizin hat mich die Magie Demut gelehrt.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Der Tod von Doctor Strange
Story: Jed MacKay
Zeichnungen: Lee Garbett
Panini Comics
Softcover │ 140 Seiten│ Farbe│ 17,00 €
ISBN: 978-3-74162-599-2
Genre: Superhelden
Für alle, die das mögen: Avengers, Gravel
So langsam kommt es beim letzten Leser, Kinogänger und TV-Serien-Liebhaber an: Bei Marvel gibt es keine Konsequenzen. Genauer gesagt, der Tod oder das angekündigte Ableben einer beliebten Figur bedeuten im Grunde nichts. Nach dem bombastischen Kinoerfolg von Avengers: Endgame (2019) sickerte zum Beispiel durch, dass allen Ernstes überlegt wurde, Robert Downey Jr. und seinen Iron Man wieder zurückzuholen. Zudem dürften sich Leser, die sich in der Comicmaterie etwas besser auskennen, vage daran erinnern, dass in der langen Marvelgeschichte des Öfteren verschiedene Superheldentode angekündigt wurden und diese tragischen Momente dann doch nur Marketingmaschen waren. Zumindest bei den Superheldenlieblingen und -megastars.
Und wenn dann im Vorwort zu Der Tod von Doctor Strange auch noch zu lesen ist, dass er jetzt auch jenseits magischer Schlachtfelder Wunder bewirken kann, weil seine Hände wieder geheilt sind, sind wir wieder bei den Konsequenzen, und die Erwartungshaltung sinkt nahezu ins Bodenlose. Schließlich gehörten speziell diese Hände zu seiner Entstehungsgeschichte. Vor vielen Jahren war Strange ein meisterlicher Chirurg – allerdings auch geldgeil, unfreundlich und arrogant. Bei einem schrecklichen Autounfall wurden seine Hände so geschädigt, dass sie zwar normal zu funktionieren schienen, für feinmotorische Arbeiten in der Chirurgie aber nicht zu gebrauchen waren. Damit wollte er sich nicht abfinden, gab sein ganzes Geld für unnütze Behandlungen aus und suchte wie von Sinnen nach einer Heilung. Durch Zufall hörte er, dass auf dem Himalaja Magier leben, die seine Hände heilen können. Das geschah dann zwar nicht, aber Strange wurde dort ein besserer Mensch und Lehrling eines magischen Meisters.
Dass Stranges Hände nun wieder ganz sind, zeigt, wie unproblematisch die Figur hier inzwischen charakterisiert ist. Schon vorher gab es für den in New York lebenden Zauberer so gut wie kein Limit. Er ist so etwas wie Superman – nur anders. Er kann alles zaubern, magisch alles heile machen und ist damit irgendwie ganz schön unbesiegbar. Und selbst für ganz doll fiese Bösewichte gibt es einen klugen Zauberspruch. Die kaputten Hände jedoch gaben ihm Tragik, Menschlichkeit und Erdung. Denn die konnte er trotz »Hokuspokus« nicht wiederherstellen. Davon ist nichts mehr geblieben.
Sicher, Doctor Strange stirbt tatsächlich und bereits nach nur knapp dreißig Seiten. Und er hat (natürlich) trotzdem einen Kniff auf Lager, um auch mit diesem fürchterlichen Ereignis zurechtzukommen. Oder zumindest sieht es danach aus. Doch das berührt einen nicht. Und auch nicht die Überlegung, ob er wieder aufsteht oder nicht. Die Seiten werden eher lustlos umgeblättert, denn nun dreht sich alles nur noch um die Frage, wie und wann der Zauberer diesmal seinen Hals aus der Schlinge zieht. Spannung sieht definitiv anders aus und der Story mangelt es einfach an »Drama«. Jed MacKay gelingt es nicht, seine Leser emotional aufzurütteln. Schade. Denn sein Szenario bietet durchaus die eine oder andere Wendung. Aber leider keine trickreichen Winkelzüge, die für ein »Ah« oder »Oh« sorgen.
Die Zeichnungen des Briten Lee Garbett sind okay, aber leider auch nicht mehr. Insgesamt sieht alles aus wie beliebige Stangenware. Interessant: Männer kann er nicht so gut zeichnen. Die wirken sehr ausdruckslos und bubihaft. Frauen dagegen setzt er deutlich attraktiver in Szene; da ist schon der eine oder andere Hingucker dabei. Garbett ist aber gut darin, wenn es um eklige Gestalten und Monster geht. Hier kommt er in Fahrt, hat einen beschwingten Strich und versprüht Ausgelassenheit.
Immerhin: Action in Form von Superheldenprügeleien gibt es auch. Schließlich ist Stranges Totalausfall für die Erde strategisch problematisch, weil damit der magische Schutzschild zusammengebrochen ist. Und das müssen andere Helden eher schlecht als recht ausgleichen. Gegner aus aller Herren Länder nahen bereits, um sich die Erde untertan zu machen. Tipp: Die Lektüre des Vorworts von Christian Endres empfiehlt sich. Denn dort gibt er einen knappen Überblick über Stranges Leben und dessen aktuelle Entwicklung. Außerdem wird so manche Figur, die in diesem Band vorkommt, kurz vorgestellt. Ohne diese Rekapitulation dürfte es dem Marvelgelegenheitsleser schwerfallen, sich in diesem strangen Abenteuer zurechtzufinden.
[Walter Truck]
Abbildungen © 2022 Panini Comics / Jed MacKay, Lee Garbett
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