»Als meist reiner Mitläufer ohne große Verantwortung und oft zu Tode verängstigt, war ich mittendrin, und ich weiß es. Aber all das sollte erst noch kommen. Um das Ende zu verstehen, müssen wir am Anfang beginnen …«
Die schlimmste Reise der Welt Band 1: »Ums Kap nach Süden«
Story: Sarah Airriess (nach Apsley Cherry-Garrard)
Zeichnungen: Sarah Airriess
Panini Comics
Hardcover | 172 Seiten | Farbe | 32,00 €
ISBN: 978-3-74163-329-4
Genre: Abenteuer, Graphic Novel, Historie
Für alle, die das mögen: Schiffe, Seefahrer, Packeis und Kälte
Will man Reinhold Messner – Extrembergsteiger – glauben, dann ist das Tagebuch von Apsley George Benet Cherry-Garrad (1886–1959) The Worst Journey in the World, das 1922 erschien, bis heute eine der größten Abenteuergeschichten überhaupt. Diese Meinung hat er in dem Dokumentarfilm Der Wettlauf zum Südpol (2011) vertreten, der den Wettlauf zweier erfahrener Polarforscher, des Norwegers Roald Amundsen und des Briten Robert Falcon Scott, zum Südpol thematisiert.
Nachdem der Nordpol schon »erobert« war, lieferten sich die beiden kein Duell, sondern letztlich eine Schlacht darum, als erster eine der letzten Bastionen der Erde zu bezwingen. Allein der Gedanke, bei -30 °C mit Hunden, Pferden, Motorschlitten und dem sogenannten Manhauling (Menschen, die Schlitten durch den Schnee ziehen) unterwegs zu sein, lässt mich trotz der teils tropischen Temperaturen hierzulande frieren.
Aber das soll nur ein kleiner Exkurs in den geschichtlichen Hintergrund sein und die Rezension eines Abenteuercomics der Neunten Kunst einleiten.
Dem eigentlichen Marsch durch die Antarktis gehen weitreichende Vorbereitungen voraus. Bevor sich die beiden damaligen Alphamännchen Scott und Amundsen in der eisigen Landschaft einen heute kaum nachvollziehbaren Wettlauf um die Krone des Südpols liefern konnten, mussten die Finanzierung gesichert und Schiffe bereitgestellt, die Crew ausgewählt und die Ausrüstung sorgfältig geplant werden.
Im ersten Band der Geschichte »Ums Kap nach Süden« geht es genau darum.
Als die Terra Nova, das Schiff von Kapitän Robert F. Scott, im Juni 1910 in Cardiff in See stach, setzte sich die Crew aus Wissenschaftlern, Polarexperten, erfahrenen Seeleuten und eben jenem Apsley Cherry-Garrard zusammen, der die Geschichte – viel später – erzählen sollte.
Die Route führte das Schiff von Cardiff über Madeira, Süd-Trinidad, Kapstadt und Melbourne nach Neuseeland, dem letzten zivilisierten Ort, bevor es in das ewige Eis der Antarktis gehen sollte.
Der eigentliche Wettlauf von Amundsen und Scott begann erst in Melbourne, als Scott erfahren sollte, dass sein Kontrahent nicht wie ursprünglich offiziell bekannt war in Richtung Norden, sondern ebenfalls zum Südpol unterwegs war. So wurde aus der anfangs eher beschaulichen »Kreuzfahrt« enthusiastischer Seeleute ein teils gehetzt wirkender Aufbruch in das Abenteuer.
Die Kanadierin Sarah Airriess, die den Klassiker von Cherry-Garrard ein Jahrhundert später adaptiert und gezeichnet hat, ist bekannt für ihre Arbeiten an den animierten Filmen Küss den Frosch (2009), Winnie Puuh (2011) und Baymax – Riesiges Robowabohu (2014) und weiteren Arbeiten für die Walt Disney Studios.
Airriess hat mehr als ein Jahrzehnt mit der Erforschung dieser Expedition verbracht, ist dafür von den USA nach England gezogen und 2019 mithilfe eines Forschungsprogramms der US-amerikanischen National Science Foundation eigens in die Antarktis gereist, um die Geschichte möglichst vollständig und getreu erzählen zu können. Ihr waren die Persönlichkeiten der Beteiligten wohl mindestens ebenso wichtig wie die eigentliche Leistung, für die Scott gewürdigt werden sollte. Und so bestimmen neben den logistischen Herausforderungen einer solchen Expedition, die detailliert beschrieben werden, vor allem die handelnden Personen und ihre Beziehung zueinander den Comic. Dabei gelingt es Airriess mit einfachen Mitteln, die sehr an ihre animierten Filme erinnern, die Charaktere individuell herauszuarbeiten, Stärken und Schwächen zu beschreiben und so den Leser sehr schnell am Geschehen teilhaben zu lassen.
Einerseits kann man das Artwork sicherlich als zeichnerische Glanzleistung bezeichnen, andererseits rutscht die ganze Geschichte so ein wenig ins Infantile ab. Speziell wenn man sich reale Aufnahmen der damaligen Geschehnisse vor Augen hält, fehlen mir manches Mal die Ernsthaftigkeit, die Brutalität und eine reellere Darstellung der situationsbezogenen, geografischen und witterungsbedingten Unwägbarkeiten, die mit damaligen Expeditionen einhergegangen sind. So sieht das auf den ersten Blick eher wie ein lustiger Schulausflug aus – wäre da nicht der Prolog mit dem Autor Cherry-Garrad, aus dem auch das Zitat stammt. Der Leser wird dann doch darauf vorbereitet, dass die Geschichte eben kein unbeschwertes Unterfangen sein wird, sondern ein ganz übles Ende nehmen wird. Es ist davon auszugehen, dass diese Aspekte auf zukünftigen Seiten thematisiert werden.
Bleibt als Fazit, dass Die schlimmste Reise der Welt mit den wenigen Einschränkungen wirklich lesenswert ist und ein Stück Historie in die Welt der Comics transferiert, das ansonsten vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit bekommen würde. Der Comic lädt zum Nachdenken, Nachlesen und Recherchieren geradezu ein.
Komplettiert wird Sarah Airriess' Werk durch zahlreiche erklärende Details zur Schiffsverladung, zum Packeis, dem Protoplasma-Zyklus und geografischen Hintergründen in einem Glossar.
Hervorragend recherchiert und ziemlich gut umgesetzt.
[Stephan Schunck]
Abbildungen © 2023 Panini Comics / Sarah Airries
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