»Verstehe … Viel zu lernen.«
(Bragon kommentiert die Kampfkünste von Bulrog, seinem neuen Schüler.)
FRISCH GELESEN: Archiv
Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit Band 8: »Ritter Bragon«
Story: Le Tendre, Loisel
Zeichnungen: Mallié
Carlsen Comics
Softcover | 64 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISBN 978-3-551-73828-8
Genre: High Fantasy
Für alle, die das mögen: Fantasy, Phantastik, frankobelgische Autorencomics
Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit – das klingt schon ein bisschen nach Marcel Proust und seinem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Doch weit gefehlt: Beim »Vogel der Zeit« handelt es sich in Wirklichkeit um eine der besten und langlebigsten frankobelgischen Fantasy-Reihen, die das Licht der Comicwelt je erblickt haben. Begonnen hat diese Serie tatsächlich bereits vor mehreren Jahrzehnten.
Als Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit in den achtziger Jahren startete, da hatte Fantasy gerade Hochkonjunktur. Rollenspiele wie Dungeons & Dragons oder Das schwarze Auge erfreuten sich bei Jugendlichen großer Beliebtheit. Und Michael Endes Die unendliche Geschichte war ein Dauerbrenner auf den Bestsellerlisten. Dem erfolgreichen Ende-Roman folgte sogar eine – allerdings missglückte – Verfilmung durch Wolfgang Petersen. Und andere Filmemacher wagten sich in jenem Jahrzehnt ebenfalls daran, das Genre auf die Kinoleinwand zu bannen: John Milius reaktivierte Robert E. Howards Conan der Barbar, Ridley Scott ließ Tom Cruise in Legende auftreten, Jim Henson zauberte den Puppenfilm Der dunkle Kristall auf die Leinwand, und Ralph Bakshi präsentierte seinen Zeichentrickfilm Feuer und Eis.
So war es kein Wunder, dass auch der französische Autorencomic das Genre für sich entdeckte. Dies geschah besonders eindrucksvoll durch Régis Loisel (Zeichnungen) und Serge Le Tendre (Text). Diese nahmen 1982 für die Zeitschrift CHARLIE ein bereits sieben Jahre zuvor entstandenes Comicfragment wieder auf und bauten es zu ihrem Epos Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit aus. Der Ausgangspunkt dieser »High Fantasy«: Das Reich Akbar wird durch den finsteren Gott Ramos bedroht. Dieser ist dereinst verbannt worden, da er versucht hatte, seine Gefährten zu stürzen und allein die Macht über das Reich zu erlangen. Doch nun läuft der Fluch, der über Ramos verhängt wurde, aus und muss dringend erneuert werden. Da die Zauberformel des Fluchs jedoch zu lang ist, macht sich der Ritter Bragon auf, den Vogel der Zeit zu finden. Ihm zur Seite steht Pelissa, die vermeintliche Tochter der Zauberprinzessin Mara. Unterwegs schließen sich ihnen ein maskierter Unbekannter sowie Bulrog, Bragons ehemaliger Schüler, an. Auf ihrer Reise durchqueren sie den Tempel des Vergessens, werden mit Grauwolf - Bragons altem Lehrmeister - konfrontiert und können am Schluss tatsächlich Akbar vor der Vernichtung bewahren. Allerdings um einen hohen Preis: Mara erweist sich als Verräterin, die selbst nur die Macht im Sinn hatte, und Bragon fällt dem Wahnsinn anheim, als er merkt, dass Pelissa gar nicht seine Tochter ist, sondern nur eine magische Projektion, mit der Mara ihn manipulieren wollte.
Klassisches frankobelgisches Fantasy-Feeling
Die vier ersten Vogel der Zeit-Bände waren nicht nur eine raffinierte Reflektion über das Altern und über die Macht der Zeit, sondern auch ein großer kommerzieller Erfolg. Und so reifte in den Autoren bald die Idee, die Vorgeschichte zu ihrem Epos zu erzählen. Im Mittelpunkt dieser Prequels sollten Bragons Abenteuer als junger Ritter stehen. 1998 ist mit »Javin« der erste Band dieses neuen Zyklus’ erschienen, der nun mit »Ritter Bragon« seine Fortsetzung erfährt.
Zu Beginn dieses Zyklus’ erleben wir Bragon als jungen Bauernlümmel, der sich nach Abenteuern sehnt. Als der Draufgänger Javin den elterlichen Hof besucht, packt Bragon die Gelegenheit beim Schopfe: Er zieht mit ihm hinaus ins »Land der sieben Gefilde« und begegnet dort zum ersten Mal der Zauberprinzessin Mara. In der Folge erleben wir Bragons Aufstieg zum Ritter, wir beobachten sein Zusammentreffen mit Grauwolf, und wir sind auch Zeugen von Bragons ersten Abenteuern.
Der jetzt erschienene Band setzt am Ende von Bragons Ausbildung ein. Ein letzter Zweikampf zwischen ihm und Grauwolf markiert den Abschluss seiner Lehrzeit: Am Ende des Kampfes vermacht Grauwolf seinem Schüler eine kostbare Streitaxt, und Bragon ist von nun an auf sich allein gestellt. Den frischgebackenen Ritter zieht es zunächst zurück zum elterlichen Hof, doch unterwegs lassen Le Tendre und Loisel noch eine weitere bekannte Figur auftauchen: Bulrog!
Ja, auch die Vorgeschichte des lilafarbenen Kriegers wird diesmal kurz angerissen, und wir werden Zeuge, wie Bulrog zu Bragons Schüler wird. Unterdessen braut sich neues Unheil über Akbar zusammen: Der geheimnisvolle »Orden des Mals«, der die Wiederkunft des Gottes Ramor vorbereitet, gewinnt nämlich immer mehr an Einfluss …
Anleihen bei Loisel und ein Hauch von Moebius:
Mallié versteht sein Handwerk
Zugegeben: Generell sind Prequels eine zweischneidige Angelegenheit. Häufig macht man ihnen den Vorwurf, sie würden einen bestehenden Erfolg nur zu Tode reiten. Manchmal ist dieses Argument auch berechtigt, wenn man an die Jugendabenteuer einiger Comichelden (z.B. Lucky Kid) denkt, oder auch – um ein Beispiel aus der Filmwelt zu nennen - an die künstlich aufgeblasene Hobbit-Trilogie von Peter Jackson. Aber es gibt auch positive Beispiele, etwa die frühen Erlebnisse von John Difool oder die von Corto Maltese.
Und auch Le Tendre und Loisel merkt man an, dass sie noch einiges zu erzählen haben: Ihr aktueller Vogel der Zeit-Zyklus gehört ohne Zweifel zur gelungenen Sorte Prequels. Zwar haben sich die beiden Disney-Fans mittlerweile selbst auf eine Quasi-Disney-Position zurückgezogen, – bei »Ritter Bragon« sind beide gemeinsam für das Szenario verantwortlich, Loisel fungiert nur noch als »künstlerischer Leiter« und die Zeichnungen stammen vollständig von Mallié – dennoch wartet auch dieser Band wieder mit allen Ingredienzien auf, die das Herz eines Vogel der Zeit-Lesers höher schlagen lassen: skurrile Fantasy-Figuren, viel Humor und ein Schuss Romantik. Die Geschichte braucht zwar in diesem Band etwas, um in die Gänge zu kommen, sie entfaltet aber ab der Mitte des Albums eine Spannung, die schließlich in einem atemstockenden Cliffhanger mündet. Und damit steht auch fest: Dieser Zyklus ist noch lange nicht beendet, und man kann gespannt sein, welch schöne Comic-Delikatessen uns Le Tendre und Loisel mit den nächsten Bänden noch servieren werden.
Und es gibt eine weitere Hoffnung: In einem Interview, das Cuno Affolter 1989 mit den beiden Autoren für das Comic Jahrbuch geführt hat, lässt Le Tendre verlauten, es sei auch noch ein weiterer Zyklus geplant: Einer, der sich um den alternden Bragon dreht. Die Meinung des Rezensenten zu diesem Vorhaben lautet bloß: Nur zu!
[Jörg Petersen]
Drü!
Leider in dieser Vorgeschichte nur auf dem Vorsatzpapier zu sehen: das Pelzchen
Abbildungen © 2014 Carlsen Comics
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