»Vorbild für Aswana waren Syrien und der Irak. Yoann und ich haben die Konflikte dieser Region zum Ausgangspunkt für die Suche nach der sagenhaften Bibliothek Alexandrias gemacht.« (Fabien Vehlmann)
FRISCH GELESEN: Archiv
Spirou + Fantasio Band 52: »Der Page der Sniper Alley«
Story: Fabien Vehlmann
Zeichnungen: Yoann
Carlsen Comics
Softcover | 56 Seiten | Farbe | 9,99 €
ISBN 978-3-551-77462-0
Genre: Semi-Funny, Abenteuer, Krieg
Für alle, die das mögen: Frankobelgische Klassiker, Helden ohne Skrupel
»Was ist nur aus Spirou und Fantasio geworden?«, mag sich mancher Altfan fragen, wenn er das Cover des neuen Albums sieht. Die beiden Helden im Visier von Scharfschützen, die sie inmitten eines modernen Kriegsgebietes unter Feuer nehmen, das hat auf den ersten Blick sehr wenig mit den zeitlosen Abenteuergeschichten eines André Franquin zu tun.
Sidekick Pip spürt als Erster die neuste Herausforderung ...
Tatsächlich verschlägt es Spirou und Fantasio in ein fiktives Land im Nahen Osten, in dem gerade – mit Hilfe von westeuropäischen Einheiten – eine Diktatur gestürzt wurde. Die Lage ist sehr instabil, Gewalt und Plünderungen beherrschen noch das Straßenbild, trotzdem reisen die beiden auf Druck des Mafiosos Don Cortizone ein, um nach einem seltenen achäologischen Artefakt zu suchen…
Kein Zweifel, die Inhalte des Spirou-Magazins sind in den letzten Jahren erwachsener geworden, zum einen, weil auch die frankobelgischen Durchschnittsleser immer älter werden, zum anderen, weil sich Kinder heutzutage ohnehin früher mit den Härten des weltweiten Geschehens auseinandersetzen müssen. Natürlich wurden auch schon bei Franquin und Fournier Themen wie Großwildjagd, Militarismus, Diktaturen oder Atomkraft aufgegriffen, doch wenn Autor Fabien Vehlmann die Plünderung nahöstlicher Museen in Krisengebieten thematisiert, hat das schon eine andere tagesaktuelle Qualität. Eine, die natürlich nicht über Tageszeitungsniveau hinaus kommt, aber das wäre in dem vorgegebenen Rahmen auch zu viel verlangt.
Trotzdem gibt es für den Leser so manches Aha-Erlebnis, das den Blick für Zwischentöne schärft. Etwa, wenn Spirou einen Einheimischen, der eine wertvolle Stele aus dem Museum schafft, spontan für einen Dieb hält, obwohl es sich um einen Wissenschaftler handelt, der das seltene Exemplar in Sicherheit bringen möchte. Das einige junge Muslima den Bürgerkrieg im fiktiven Staat Aswana aus der Sicht der Zivilbevölkerung erklären, schadet ebenso wenig. Zum Glück verfällt Vehlmann aber nicht zu sehr ins vordergründig Pädagogische, sondern serviert ansonsten eine unterhaltsame Abenteuergeschichte, in der er seinen Vorlieben für archäologische Rätsel ausgiebig frönen kann. Wer schon den Spirou Spezial Band »Die steinernen Riesen« des gleichen Teams mochte, wird auch an »Der Page der Sniper Alley« seine Freude haben.
Die Quadratur des Kreises:
Der moderne Spirou à la Yoann ist cartoonig reduziert und detailverliebt zugleich
Neben vielen Indiana Jones Anspielungen sind auch deutliche Anleihen bei den Romanen von James Rollins und Clive Cussler zu erkennen. Dass sich Szenarist und Zeichner im Spirou-Universum inzwischen immer sicherer fühlen, weiß ebenso zu gefallen. So spielt ein Trio aus drei Wissenschaftlern mit, die schon von André Franquin erfunden wurden, außerdem sorgt der Söldner Poppy Bronco erneut für schwarzen Humor. Besondere Fleißpunkte verdient sich Vehlmann mit dem Schachzug, unsere Helden als Truppenunterhalter ins Krisengebiet einzuschleusen, sodass Spirou einen logisch nachvollziehbaren Grund erhält, den größten Teil der Handlung in seinem ungeliebten Pagen-Anzug zu bestreiten. Da der Dupuis Verlag inzwischen die Rechte an den Franquin-Charakteren Gaston und Marsipulami erworben hat, kommt es sogar zu zwei kurzen Gastauftritten der einstigen Mitstreiter, die die Freude auf zukünftige Abenteuer zusätzlich schürt.
Unter dem Strich bleibt damit eine für jung und alt geeignete Geschichte, die eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass sich ein Comic nicht als Graphic Novel zu tarnen braucht, um moderne und anspruchsvolle Inhalte zu transportieren – und dabei trotzdem auf gewohnt spannend-amüsante Weise zu unterhalten.
[Bernd Frenz]
Abbildungen © 2015 Carlsen
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