Frisch Gelesen Folge 165: Die Geschichte der Goscinnys

»Das Schreiben ist mir Notwendigkeit; und jeden Tag das Andenken meines Vaters zu ehren ist maßgeblich für mein Leben.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Die Geschichte der Goscinnys – Geburt eines Galliers

Story: Catel Muller
Zeichnungen: Catel Muller

Carlsen
Hardcover I 336 Seiten I Farbe I 28,00 €
ISBN: 978-3-551-76045-6

Genre: Biografie

Für alle, die das mögen: Wikipedia, Frauenzeitschriften


 

Eine Comicbiografie über René Goscinny? Das klingt nach Spaß! Schließlich ist der 1977 verstorbene Franzose als einer der Erfinder von Asterix und Szenarist von Klassikern wie Lucky Luke, Isnogud, Umpah-Pah und vielen anderen nicht nur eine Ikone des europäischen Comic im 20. Jahrhundert, sondern auch ein Garant für gute Laune. Am schönsten ist das wohl in dem Einseiter »Geburt einer Idee« dargestellt, in dem Goscinny und Asterix-Zeichner Albert Uderzo sich selbst porträtieren: Gemeinsam spinnen sie in einem Bistro Ideen für ihre Serie zusammen, flippen dabei immer mehr aus und werden schließlich vom Krankenwagen abgeholt. Nun gut, das ist möglicherweise leicht übertrieben – aber die Grundstimmung dürfte richtig sein.

Doch leider ist Die Geschichte der Goscinnys keine Autobiografie. René Goscinnys Tochter Anne, die den Input für die Graphic Novel lieferte, ist nicht halb so lustig wie ihr Vater. Und die Illustratorin Catel Muller mit Albert Uderzo zu vergleichen, ist wie einen Stock mit einem Baum zu vergleichen: Ja, beide sind aus Holz, aber … Deshalb schon mal vorweg: Wer Goscinnys Comics liebt, sich für seine persönliche Geschichte aber nur mäßig interessiert, ist mit etwas Unterhaltsamem (Der kleine Nick?) besser bedient. Denn das hier ist so unterhaltsam wie ein Wikipedia-Artikel:

Wobei, zugegeben: ein sehr ausführlicher Wikipedia-Artikel. Zumindest, was die erste Hälfte von René Goscinnys Lebens angeht: Er geht in Buenos Aires auf die französische Schule (war ein guter Schüler), liebt Filmkomiker (Buster Keaton, Laurel & Hardy) und ist fasziniert von dem für ihn exotischen, weit entfernten Frankreich. Nach der Schule wird er Buchhalter, wofür er nicht geeignet ist, zeichnet sein erstes eigenes Comicheft (die abgebildeten Seiten beweisen, dass auch Genies klein anfangen) und geht schließlich in die USA, wo er (nach einem kurzen Intermezzo bei der französischen Armee) schließlich in der Comicwelt landet.

Auf Seite 178 trifft er endlich Will Elder, Harvey Kurtzman und die anderen Gründer von MAD. Nun könnte es losgehen, aber immer noch will Goscinny Zeichner sein, und vorerst ist er damit auch recht erfolgreich. Er illustriert eine Reihe von Kinderbüchern, zeichnet Cartoons und veröffentlicht schließlich seine erste Comicserie, Dick Dicks. All das ist in diesem Buch ebenso in Auszügen dokumentiert wie seine frühen Skizzenbücher, beweist aber leider nur: René Goscinny war ein grandioser Erzähler – aber kein grandioser Zeichner. Die späteren Arbeiten sind durchaus professionell, einiges sieht aber auch so aus:

Es gilt hier, wie für den größten Teil des Buches: Superfans und Nerds werden verzückt sein – doch wer will das sonst noch wissen? Oder dass René Goscinny 1952 einige Zeit in den USA eine Fernsehzeitung mitproduziert hat? Hä? 1951 trifft der 25-Jährige immerhin Albert Uderzo, der ihn fragt, ob er für ihn Szenarios schreiben will und mit dem er kurz darauf die Figur Umpah-Pah erfindet – damit beginnt die Ära des Szenaristen Goscinny. 1954 bittet ihn Morris um ein Szenario für Lucky Luke, das findet aber erst auf Seite 257 (von 330) statt, und damit ist endgültig klar, dass in diesem Buch der interessante Teil von Goscinnys Leben bestenfalls eine Randnotiz sein wird.

Einiges wird zumindest noch angerissen, etwa die Gründung von Pilote, aber an sich ist der Drops gelutscht. Es fehlt alles, vom überwältigenden Asterix-Erfolg über Isnogud bis zu den Filmen, von Randphänomenen (z. B. Dingodossiers) ganz zu schweigen. Das nervt, und dafür gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Es wird eine Fortsetzung geben – auf dem Cover hätte »Band 1« stehen müssen. Das würde auch das elende Seitenschinden erklären, so etwas zum Beispiel:

Also können wir uns alle auf Band 2 freuen? Ich nicht! Nicht zuletzt, weil René Goscinnys Leben nur einen Teil des Buches füllt: Zwischendurch unterhalten sich seine Schöpferinnen, die schon gemeinsam die Serie Le Monde de Lucrèce veröffentlicht haben, über Annes Leben, die überzeugt zu sein scheint, dass es ebenfalls interessant ist. Was es eventuell auch wäre, würde sie es erzählen – doch leider plaudert sie nur. Das Motto scheint: Bloß nicht intim werden. Was übrigens ebenso für ihren Vater gilt: Der lebte ewig mit seiner Mutter zusammen, heiratete erst mit 41 – und seine Braut war 24! Wieso, weshalb, warum? Kein Wort! Aber das würde auch nicht zu der fast sakralen Darstellung passen, mit der Anne Goscinny ihre Vater »ehrt«.

Dafür passt es zumindest zu Catel Mullers flächigem, oberflächlichem, dumpfem Zeichenstil. Jede ihrer Seiten sieht aus wie aus einem Frauenmagazin: gefällig und egal. Ob drinnen oder draußen, Buenos Aires, New York oder Paris, Nahaufnahme oder Totale – jedes Bild ist ein Klischee. Der größte Wert des Buches liegt für mich darin, dass es den Verdacht nährt, dass hier irgendwo eine richtig gute Geschichte versteckt ist. Vielleicht wird die irgendwer mal erzählen. Aber dann bitte nicht mit solchen Zeichnungen:

[Peter Lau]

Abbildungen © 2020 Carlsen


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