Frisch Gelesen Folge 319: Beta … civilisations 2

»Eines jungen Mannes Tod in Palästina gebiert neuen Glauben.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Beta … civilisations volume II

Story: Jens Harder
Zeichnungen: Jens Harder

Carlsen
Hardcover | Farbe | 368 Seiten | 50,00 €
ISBN: 978-3-551-79000-2

Genre: Historie

Für alle, die das mögen: Monumentalerzählungen, Überblick, Input



Als 2014 Beta … civilisations volume I erschien, war ich so begeistert und beeindruckt, dass ich unbedingt den Künstler treffen wollte. Ich besuchte Jens Harder also in seinem Atelier in Berlin und schrieb darüber einen Text für ALFONZ. Kurz darauf fragte mich ein Freund, ob der aus Weißwasser in der Lausitz stammende Künstler eigentlich wüsste, was er tue, und ich antwortete: »Ich glaube, er hat keine Ahnung.« Worauf der Freund sagte, das könne gar nicht anders sein, denn: »Wenn er es wüsste, würde er es nicht tun.«

Jens Harder erzählt in vier Büchern, die mittlerweile den geschmeidigen Reihentitel »Die große Erzählung« verpasst bekommen haben, die größtmögliche Geschichte überhaupt: die Historie des Universums. Im ersten Band Alpha geht es vom Urknall bis zum Auftauchen des Menschen vor etwa 2,8 Millionen Jahren, in Beta vom Auftauchen des Menschen bis ins Jahr null, im gerade erschienenen zweiten Beta-Band vom Jahr null bis heute, und in Gamma, der, schätze ich, frühestens in fünf Jahren erscheinen dürfte, von heute bis zum Ende des Universums. Anders gesagt: Es geht um alles. Dagegen ist die Bibel wie ein Trailer für eine Netflix-Serie, die es zu keiner zweiten Staffel gebracht hat. Allein die Idee, das ernsthaft zu versuchen, ist schon fantastisch. Aber sie verblasst angesichts der grandiosen Umsetzung.


Ich kann hier selbstverständlich nicht den Inhalt von Beta ... civilisations 2 wiedergeben. Ihr alle kennt ihn, wenn auch vermutlich nur zum Teil, denn es ist ein globaler Überblick, den so eigentlich kaum jemand hat: Die Startpunkte sind Rom, afrikanische Königreiche, China und diverse Kulturen in den Amerikas. Weiter geht's mit Völkerwanderung, Assimilation und Auslöschung, auftauchenden und verschwindenden Reichen und Kulturen – selbst im Pazifik entwickeln sich Völker, ohne dass es der Rest der Welt mitbekommt. Es folgen Kriege, immer und immer wieder, Krieg! Krieg! Krieg!, völliger Wahnsinn. Schriftrollen werden von Büchern abgelöst, Sklavenhandel sorgt für Globalisierung, das Christentum wird trotz Verfolgung zur Weltreligion. Es wird erfunden und gebaut, Denker entwickeln weitreichende Konzepte, Hexen werden getötet, die Pest. Später Imperialismus, Industrialisierung, der Kapitalismus, und dann geht es los mit der Zerstörung des Planeten.

Jens Harder erzählt das alles natürlich nicht detailliert, sondern in visuellen Stichworten. Pro Ereignis oder Entwicklung gibt es ein Bild, manchmal eine Seite, selten auch mal ein paar Seiten, etwa zum Christentum oder der Vernichtung der amerikanischen Kulturen. Die Bilder sind sehr oft Ikonen, Memes, visuelles Allgemeingut aus allen Zeitaltern und Medien, auch aus Comics, Werbung, Filmen etc., die wir kennen und mit denen wir sofort eine Verbindung herstellen können, die uns den assoziativen Zusammenhang erschließt. Die Erfindung des Buchdrucks sieht dann zum Beispiel so aus:


Einiges spricht aber auch für sich selber, im Jahr null etwa ist das Mittelmeer der Mittelpunkt der Welt und überall wird zu Fuß gegangen.


Oft sind die Verbindungen lustig, vom Gemeinschaftsklo zum Handy auf der Toilette ist es nur ein Panel.


Und manches ist einfach überraschend:


Mein einziger Kritikpunkt: Im Vergleich zu den anderen Büchern, in denen es um Milliarden oder zumindest Millionen Jahre ging, wird hier ein sehr kurzer Zeitraum erkundet. Das ist kulturelle Selbstüberschätzung wie aus dem Bilderbuch, denn mal ehrlich: Falls irgendwas in 100.000 Jahren auf unsere Zeit zurückblicken kann und will, wird es bestenfalls der ganzen Epoche einen Namen geben, »Zeitalter der Gewalt« vielleicht oder »Zeitalter des Wahnsinns«, und dafür maximal ein Bild finden, mein Vorschlag: ein abgeschlagener Kopf.

Aber egal! Ich lese dieses Buch so gerne. Ja, Präsens. Denn das ist kein Band, den du nur einmal von vorn nach hinten liest und dann ins Regal stellst. Jede der rund 370 Seiten ist ein überwältigendes Einzelwerk, und das erste Durchlesen ist wie eine Preview, eine Vorschau auf viele Jahre, in denen du immer wieder Neues entdecken wirst.

[Peter Lau]

Abbildungen © 2022 Carlsen / Jens Harder


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