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Frisch Gelesen Folge 402: Fangirl Fantasy

»Okay, Leute! Notfall-Karaoke-Einheit!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Fangirl Fantasy

Story: Olivia Vieweg
Zeichnungen: Olivia Vieweg

Carlsen
Softcover | 272 Seiten | Farbe | 26,00 €
ISBN: 978-3-55179-995-1

Genre: Graphic Novel mit Fanfiction-Anleihen

Für alle, die das mögen: Fan-Dasein, Nerdtum, Comic Cons und anderes spleeniges Zeug



Wer mal bei einer Comicveranstaltung war, einer Comic Con, beim Comic-Salon in Erlangen, bei einer Buchmesse oder einer anderen Gelegenheit, kennt sie – die Ultra-Fans. Und ich spreche hier nicht von Cosplayer:innen, sondern vom alltäglichen Fangirl oder -boy. Meist erkennt man sie an diversen Accessoires wie Badges, Stickern, Schlüsselanhänger und ähnlichem, womit sie sich großzügig behängen und so ihre fanatische Liebe nach außen hin zeigen. In der medialen Darstellung wird aber besonders der weibliche Fan oft klischeehaft als das kreischende Dummchen dargestellt, das die ganze Zeit in Ohnmacht fällt. Das war schon bei den Beatles so und da hat sich nicht viel geändert.

Das ist etwas, was Olivia Vieweg ärgert. Sie selbst ist ein Fangirl und Nerd seit frühester Kindheit. Fing es mit ihrer Liebe zu Star Trek an, haben sie bald aber die Shōjo-Manga in ihren Bann gezogen. Bis heute sieht man ihrem Zeichenstil ihre Liebe zum Manga an, wobei sie in europäischer Leserichtung zeichnet und sie selbst auch ihre Comics nicht als Manga tituliert haben möchte. Da also ihre Ambition zum Zeichnen dem Fansein entwachsen ist, kennt sie sich selbst nicht nur sehr gut in der Szene aus, ein Stück weit ist sie selbst ein Fangirl, hat sich auf animexx.de herumgetrieben und hat ihre künstlerischen Anfänge in Dojinshi und Fanfics erlebt. So ist es eine eigentlich nur logische Konsequenz, dass sie nun einen Comic geschrieben hat, der sich mit dem Fangirl befasst – viel zu oberflächlich wurde dieses Thema bisher beleuchtet.


Die wollen doch nur spielen!


In Fangirl Fantasy erzählt uns Vieweg, was passiert, wenn aufgrund überbordender Liebe zum Idol die kriminelle Energie in den Fangirls überhandnimmt. Vieweg greift hier zu einem interessanten Kunstgriff, in dem sie das Objekt der Begierde, also den Star, an eine real existierende Person anlehnt. Die Figur des Allan Dale hat viele Parallelen zu dem realen Alan Dale – ein alternder Schauspieler, dem der große Durchbruch verwehrt geblieben ist und der nicht auf den ersten Blick der Liebling der Massen ist. Doch das Herz des Fangirls ist unergründlich! Und so tun sich drei junge Frauen in ihrer Liebe zu diesem Star zusammen und entführen ihn in eine stillgelegte Spielzeugfabrik nach Thüringen. Vieweg, die selbst aus Ostdeutschland stammt, lässt ihre Geschichten mit einer lässigen Selbstverständlichkeit im Osten Deutschlands spielen, ohne jedoch die sonst oft bemühte Konnotation der geopolitischen Lage einfließen zu lassen.

An diesem Ort zwingen die drei Fangirls ihren Star, ihre jeweiligen Lieblingsserien nach ihren eigenen Fanfics gemeinsam mit ihnen nachzuspielen. Allan aber befindet sich gerade in seiner ganz eigenen Lebenskrise: Er erträgt seine Fans nicht mehr und ganz besonders hat er es satt, in seichten Komödien zu spielen. Er will endlich als Schauspieler ernst genommen werden! Aber doch nicht von diesen albernen kleinen Mädchen mit ihren lächerlichen Happy-End-Geschichten seiner alten Filme! Oder sind am Ende genau diese treuen Seelen diejenigen, die ihn wirklich verstehen?


Die nachgespielte Superhelden-Geschichte ist in Orangetönen gehalten.


Durch ihren komödiantischen Stil gibt Vieweg ihrer Geschichte eine Leichtigkeit, die nicht in ein gewaltsames Szenario kippt. Durch Allans eigenen Kampf wird das Kidnapping plötzlich zu einer Situation, in der er sich von seinem alten Ich lösen kann und eine Chance für ihn darstellt. Und auch unsere Fangirls erhalten die Chance, ihr Handeln zu überdenken. Zeichnerisch ist Vieweg gefestigt innerhalb ihres an Manga erinnernden Stils. Sie arbeitet mit einer intensiven Farbgebung, wobei die nachgespielten Fan-Szenen der einzelnen Entführerinnen ihre jeweils eigene Farbe haben und sich somit optisch hervorheben.


Fangirls erklären ihre Motivation fürs Fansein.


Vieweg wirf einen sehr realistischen Blick auf die weibliche deutsche Fankultur mit ihren teilweise sehr verschrobenen, aber extrem liebenswerten Charakteren. Besonders die Integrität und Loyalität innerhalb der Gruppe, weit über die drei Protagonistinnen hinausgehend, ist sehr gut dargestellt. Ich habe selten so wunderbare und durchgeknallte Menschen kennengelernt wie innerhalb der Fan-Szene. Und davon erzählt Fangirl Fantasy. Die Graphic Novel ist eine Hommage an die deutsche Fangirl-Szene. Ich freue mich, dass Vieweg für diesen recht nerdigen Titel Carlsen Comics als Verlag gefunden hat. Er wird seinen festen Platz innerhalb der Szene finden.

[Mechthild Wiesner]


Abbildungen © Olivia Vieweg, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2024

Kauft den Comic im gut sortierten Comicfachhandel oder beim Verlag: Carlsen Verlag