»Visit Spike Needles Museum«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: Anna Haifisch
Zeichnungen: Anna Haifisch
Rotopol
Softcover | 48 Seiten | Farbe | 19,00 €
ISBN: 978-3-96451-051-8
Genre: Collage, Illustration, Kunst
Für alle, die das mögen: Billboards, Los Angeles
Die Welt zerfällt in einzelne Eindrücke, ein großes Ganzes lässt sich nicht mehr ausmachen – entsprechend konsequent erscheint es da, wenn die deutsche Comickünstlerin Anna Haifisch in ihrem Band Ready America sich Los Angeles eben genau so nähert. Im großen Format gibt es halbseitige Illustrationen und Momente aus dem amerikanischen Alltag. Mal zeigt die 1986 geborene Anna Haifisch eine Tüte Cheetos, mal ein Bild aus der Sesamstraße, mal einen Stapel Bücher von Lion Feuchtwanger. Auf eine Narration verzichtet sie komplett. Doch trotzdem lenkt sie den Blick des Lesenden.
In den Zeichnungen, meist mit Buntstift koloriert, erscheinen keine Menschen. Wenn Haifischs Los Angeles bevölkert ist, sind es Werbefiguren oder ikonische Charaktere aus der Popkultur. Aber viel öfter sind es Werbeflächen, Supermarktregale und Hinweisschilder, die in Großaufnahme gezeigt werden. Details, die sonst vorbeifliegen, die niemand fotografieren würde. In Ready America zeugen sie von Leere. Ganz im Sinne der Nicht-Orte des französischen Anthropologen Marc Augé.
Er beschrieb diese Orte als Räume, die nur eine einzige Funktion haben: Flughäfen, Einkaufszentren, Autobahnraststätten. Diesen Orten geht zudem eine Identität, eine Geschichte ab. Haifischs Bilder zeigen zwar Dinge mit einer Geschichte, doch trotzdem wirken Werbeflächen für Coca Cola oder das Gebäude eines Autohändlers wie entleerte Eindrücke. Stets schwingt in diesen Zeichnungen eine Zukunft mit, die sich nie einstellte, weil sich die Vereinigten Staaten seit dem 11. September 2001, spätestens seit der ersten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten in eine ganz andere Richtung bewegen, weil diese USA aus den 90ern einfach nicht mehr existieren.
Man mag sich fragen, ob das nicht alles einfach nur nette Zeichnungen sind. Dass Anna Haifisch diese entrückten Eindrücke zeigt, die Details in den Vordergrund rückt, macht Ready America jedoch zu einer melancholischen Erfahrung. Selbst ohne jeden theoretischen Überbau macht sich ein Unbehagen breit. Wer es bei diesen Bildern nicht spürt, gehört zu der jungen Generation. Jenen Menschen, die keine Nostalgie für dieses popkulturelle Paradies zwischen ACME und Mickey Mouse empfinden. Und natürlich ist das auf doppelte Weise ironisch: Denn dieses Amerika ist ja noch in einer Form vorhanden; es gibt Los Angeles, es gibt Cheetos-Tüten und Coca Cola.
Diesen schmalen Band sollte niemand als schnelle Lektüre abtun. Liegt Ready America erst einmal im Wohnzimmer, greift man wieder und wieder für einen kurzen Blick zu diesem Comic. Wobei sich die Frage stellt, ob sich Ready America als Comic verstehen lässt. Aber zwischen den einzelnen Bildern passieren ja Dinge, sie sind mehr als ihre einzelnen Teile. Zumindest darauf könnte man sich also einigen: Es ist Kunst. Aus der einzigartigen Welt von Anna Haifisch.
[Björn Bischoff]
Abbildungen © 2024 Rotopol / Anna Haifisch
Kauft den Comic im gut sortierten Comicfachhandel oder beim Verlag: Rotopol