»Aber ich bin lieber die Katze, denn auch wenn ein Vogel über Abgründe fliegen und den Leuten auf den Kopf kacken kann, was sicher ganz lustig ist, wird er doch bei der ersten Gelegenheit von der Katze gefressen.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Der Killer – Secret Agenda Band 1: »Gezielte Prävention«
Story: Matz (Alexis Noland)
Zeichnungen: Luc Jacamon
Schreiber & Leser
Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 14,95 €
ISBN: 978-3-96582-022-7
Genre: Thriller, Crime noir
Für alle, die das mögen: Comics wie Punisher und Filme wie Der Profi (1981) und Der Schakal (1973)
Als Jacamon und Matz 1998 mit »Querschläger« den Killer zum ersten Mal auf die Leser losließen, war nicht damit zu rechnen, mehr als zwanzig Jahre später mit dem ersten Band der Secret Agenda den Beginn eines dritten Zyklus in die Hände zu bekommen. Der erste Zyklus war gelinde gesagt eine Offenbarung für die Neunte Kunst. Die Titelfigur, ein Berufsmörder ohne Namen mit durchschnittlichem Gesicht und Nickelbrille, der seine Aufträge ohne einen Funken Moral und Skrupel ausführte, konnte zunehmend – langsam schleichend, eigentlich völlig widersinnig – die Sympathie einer schnell wachsenden Fanschar erobern. Täter oder Opfer, die rechtliche Seite verschwamm völlig und manch einer wird mit dem Killer mitgefiebert haben, wenn mal nicht alles nach Plan lief, wenn er nicht wie ein Chirurg einfach den Tumor entfernen konnte.
Nach fünf Alben war Schluss und wäre nicht der Ruf nach einer Verfilmung durch David Fincher laut geworden, hätte es vielleicht den zweiten Zyklus gar nicht gegeben. Mit acht Bänden länger, aber lange nicht mehr so originell, tauschte der Killer das Happy End mit Frau und Kind im tropischen Paradies gegen schmutzige internationale Politik, organisiertes Verbrechen und faule Geheimdienstgeschäfte ein. Auch wenn die Geschichte nicht wirklich schlecht war, hat die zunehmend zynische und antikapitalistische Weltsicht, die der Killer episch zum Besten gab, genervt.
Neues in Patagonien: Der dritte Zyklus spielt in einer südamerikanischen Hafenstadt.
Nachdem Ehapa die ersten zwei Zyklen veröffentlicht hat (nicht zu vergessen Thomas Tilsner, der im Rahmen seines Speed Verlages mit dem ersten Band gestartet war), ist der Stab jetzt an Schreiber & Leser weitergereicht worden. Passend dazu gibt es auch schon den ersten Band der Gesamtausgabe. Am Ende des zweiten Zyklus hat der französische Auslandsnachrichtendienst den Killer in Patagonien aufgespürt und ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte. Genau dort beginnt Secret Agenda.
Hier bewegt sich der Killer in ungewohnter Umgebung ...
Der Killer, Denis, nun nicht mehr namenlos und anonym, nicht mehr als einsamer Wolf unterwegs, arbeitet im Team und muss zum Schein eine durch und durch bürgerliche Existenz in einem Bürokomplex am Hafen annehmen. Seine Zielperson ist Nabil Jebbourie, der im Auftrag des Bürgermeisters mit legalen und illegalen Mitteln dafür sorgt, dass die Stadt ein gutes Image behält. Im Gegenzug dafür darf er unter dem Schutz der Polizei ungestört seinen kriminellen Machenschaften, dem Rauschgifthandel, nachgehen – eine Runde Sache sozusagen, wie Nicolas, der neue Partner von Denis, treffend feststellt. Auf jeden Fall will der Inlandsgeheimdienst ein Exempel statuieren, will wissen was passiert, wenn eine zentrale Figur wie Jebbourie ausgeschaltet wird – gezielte Prävention. Die Exekution bringt das erhoffte Ergebnis, die Stadt erlebt den Ausbruch einer bis dato nicht gekannten Gewalt mit zahlreichen Toten, und es stellt sich die Frage, welche illegalen Geschäfte am Hafen der Stadt auch weiterhin noch abgewickelt werden.
... und arbeitet im Team.
Das alles ist nicht schlecht und sicherlich über dem Durchschnitt, aber gemessen an den besten – und das waren die ersten fünf Bände – liegt die Messlatte natürlich hoch. Auch ist es jetzt noch viel zu früh, über den weiteren Gang der Geschichte zu spekulieren. Pflöcke sind gesetzt, neue Protagonisten eingeführt, und Matz gelingt es, mit dem neuen Set-up (Team, bürgerliche Existenz und nicht zuletzt eine Büroliebe, einfach um weiterhin unauffällig zu sein) neue Akzente zu setzen.
Statt der endlosen und zeitweise durchaus nervigen Monologe des Killers der ersten Zyklen, ist es jetzt der Dialog mit Nicolas. Gleicher Job, aber unterschiedliche Auffassung – Denis, der stur seinen Job erledigt, trifft auf Nicolas, der versucht, die Hintergründe für sein Handeln zu verstehen. Während Denis dem Geheimnis bürgerlicher Existenzen auf der Spur ist, interessiert sich Nicolas für den Background ihrer Arbeit. Ich denke mal, der Unterschied in der Berufsauffassung wird ein tragendes Element der zukünftigen Entwicklung werden.
Luc Jacamon passt seine Farbgebung ans Setting an: ob an verlassene Straßen ...
Bleibt noch ein kleiner Exkurs zu Jacamons Artwork. Jacamon, der sich erst mit dieser Serie als Comiczeichner etabliert hat, bleibt seiner Linie treu: klare Zeichnungen, die Farbgebung angepasst an vergangene Ereignisse, ans bürgerliche Leben und an actiongeladene Geschehnisse. Warum er die einzige Sexszene gerade in Rot tuscht, bleibt sein Geheimnis. Groß war die Herausforderung beim Intro des neuen Zyklus nicht, das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen. Das Artwok kaschiert die angesprochenen Schwächen mehr als gut, die Geschichte hat Potenzial, letztlich bleibt Der Killer auf jeden Fall überdurchschnittlich. Ich freue mich auf den nächsten Band.
... oder nächtliche Begegnungen.
Immer wenn ich in den Metropolen der Welt unterwegs bin, wundere ich mich über die Vielzahl der Friseurläden und Barber Shops, selbst darauf erhält der interessierte Leser endlich eine Antwort.
[Stephan Schunck]
Abbildungen © 2020 Schreiber & Leser
Kauft den Comic im gut sortierten Comicfachhandel: CRON-Händlerverzeichnis
Oder beim Verlag: Schreiber & Leser