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Frisch Gelesen Folge 403: Der Schleuser

»Ich suche meinen Vater.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Der Schleuser

Story: Christophe Dabitch
Zeichnungen: Piero Macola

Schreiber & Leser
Hardcover | 224 Seiten | Farbe | 29,80 €
ISBN: 978-3-96582-164-4

Genre: Drama

Für alle, die das mögen: realistische Geschichten, aktuelle Themen



Migration, illegale Einwanderung, Grenzkontrollen – alles Themen und Schlagworte, die aktuelle die Nachrichtenlage in jedem europäischen Land bestimmen. Spätestens mit dem Bürgerkrieg in Syrien ist klar geworden, dass der arme Süden sich auf den Weg machen kann, um sein Glück im reichen Norden zu versuchen. Dabei spielen Schleuser eine entscheidende Rolle. Nachdem der Verlag Schreiber & Leser für August den Band Der Schleuser angekündigt hatte, in dem es um genau diese Probleme gehen soll, war ich gespannt, ob ein so komplexes Thema in einem Comicband angemessen behandelt werden kann.

Schon das Cover zeigt, worauf es schlussendlich hinausläuft. Ein junger Mann, zu jung, um erwachsen zu sein, aber auch zu alt fürs Kindsein, steht im Bug eines kleinen Bootes und richtet seine Pistole in den Raum vor ihm. Wir sehen nicht, worauf er zielt. Wir sehen aber wohl die Wut in seinen Augen – Wut und Machtlosigkeit. Die Geschichte von Christophe Dabitch spielt in Venedig. Paolo ist mit seinem Vater in der Lagune angeln. Doch von einem Moment auf dem nächsten verschwindet er. Paolo bleibt mit vielen Fragen zurück. Vor allem, weil er nichts von seinem Vater hört. Gleichzeitig versucht er, mit ein paar Kumpeln an das große Geld zu kommen, indem sie mit Drogen handeln (und selbst eine Droge namens Pink Lady konsumieren). Doch die Kleinkriminellen müssen feststellen, dass der Arm der Mafia weit reicht. Dabei kommt Paolo immer mehr hinter das Geheimnis seines Vaters, der als Schleuser gearbeitet hat und für ihn weiter unauffindbar ist.

Der Schleuser ist eine langsame Geschichte. Dabitch lässt sich Zeit, sein Szenario zu entfalten. Der Autor, der auf dem deutschsprachigen Markt vor allem durch seine Serie Jeronimus bekannt sein dürfte, legt Wert auf feine Charakterisierungen. Sie sind ihm wichtiger als Spannungsbögen. Passend dazu sind auch die Illustrationen von Piero Macola, der hierzulande noch keine Veröffentlichung hatte. Sein wässriges Artwork, bei dem die Konturen verschwimmen, bildet das passende Ambiente für eine Geschichte, die in weiten Teilen in der Lagune von Venedig spielt. Gelungen dabei sind auch immer wieder die Seiten, in denen Panels ganz ohne Schrift eingebaut werden. Sie sorgen für die nötige Stille, bei der es um eine Geschichte geht, in der Menschen um ihr Leben kämpfen, eine neue Chance haben wollen.

Dabitch ist weit davon entfernt, dem Leser Schwarz-Weiß-Lösungen anzubieten. Er schildert uns einen Jungen, der seinen Vater sucht. Der Geschichte fehlt jeder Vorwurf. Sie ist einzig eine Anklage an die Hintermänner, die Geld mit dem Elend anderer Menschen verdienen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Ob es dem Band gelingt, das komplexe Geschäft der Schleuser angemessen aufzuarbeiten, lässt sich schwer beurteilen. Die Schleuser und die Migranten – alle haben ihre Probleme, alle haben ihre Ziele. Das schafft Dabitch in seiner Geschichte zu vermitteln. Und das ist ja immerhin auch schon mal was. Definitiv ein Comic, den man gelesen haben sollte. Ich gebe acht von zehn Pink Ladys.

[Bernd Hinrichs]

Abbildungen © 2024 Schreiber & Leser / Christophe Dabitch, Piero Macola


Den Comic gibt's im gut sortierten Comicfachhandel oder direkt beim Verlag: Schreiber & Leser