»Ich begann zu sehen, wie meine Finger übers Meer wanderten. Ich sah mich den Horizont zwicken und Noten spielen. Ich spielte auf dem Horizont.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Story: David Prudhomme
Zeichnungen: David Prudhomme
Reprodukt
Hardcover | 112 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-95640-476-4
Genre: Drama
Für alle, die das mögen: Rembetiko
Wo ist die Musik? In seiner neuen Graphic Novel Rembetissa erzählt David Prudhomme erneut vom Rembetiko, jenem griechischem »Blues«, der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte. Mit der Machtübernahme von Ioánnis Metaxás 1936 geriet dieser urbane Klang des Untergrunds in Verruf – setzte er sich doch aus orientalischen Tonleitern, Volksmusik und osmanischer Tradition zusammen. Der Rembetiko wurde verboten, seine Musiker verfolgt und gefoltert. Heute ist er immaterielles Kulturerbe des UNESCO. Was sich alles mit Worten beschreiben lässt. Nur findet David Prudhomme dafür keine Bilder.
Zwar besitzt Prudhomme ein genaues Gespür fürs Erzähltempo, beschleunigt und entschleunigt über sein Layout die Geschichte, exakt in dem Rhythmus, den es braucht. Aber da ist keine Melodie, kein Schmerz. Wer aufgepasst hat, kann jetzt den Finger heben: »Da ist sie doch, die Musik; wenn da zumindest ein Rhythmus ist!« Schön wäre es.
Der französische Zeichner berichtet von den Schicksalen mehrerer Menschen in Piräus. Es geht um Beba, die für sich und ihre Kunst kämpfen will, um ihre Halbschwester Marika, die von einer großen Sängerinnenkarriere träumt, um Katina, die Wirtin eines Rembetiko-Cafés – und noch eine ganze Reihe anderer Personen. Was auf der knappen Seitenzahl viel anreißt, aber wenig zu Ende bringt. Prudhomme arbeitet stark mit Farben und Atmosphäre: Die drückende Hitze, die Angst vor der Diktatur, all dies lässt sich in dieser Graphic Novel fühlen. Ja, Stimmung gibt es reichlich.
Aber Rembetissa ist eben still, besitzt keinen Ton. Wo ist die Musik? Die Antwort lautet: nirgends. Prudhomme hat sich sehr bewusst dafür entschieden, den Gesang und das Spiel auf der Bouzouki, einem griechischen Saiteninstrument, nicht vom Rest des Geschehens abzuheben. Es gibt keine Wörter, die einen Sound imitieren, es gibt keine Wechsel im Stil, keinen Einfluss der Musik auf das Visuelle. Alles bleibt Teil der dargestellten Szene. Für ein visuelles Kunstwerk ist die Entscheidung des 1969 geborenen Prudhomme zumindest ungewöhnlich oder es ließe sich auch sagen: Sie ist ein grundlegender Irrtum, der sich auch nicht aus der Erzählung heraus verstehen lässt.
Atmosphäre kann keine Nähe ersetzen. Wenn jemand mit seinem Instrument am Meer sitzt und spielt, passiert einfach mehr, als das Auge sieht. Die Musik verändert die Szene, der künstlerische Ausdruck dieses Menschen fügt dem etwas hinzu. Nur bei Prudhomme nicht. Da sitzt einfach jemand mehrere Panels lang am Meer mit einem Instrument auf dem Schoß, weil der Franzose ihm den Ton abdreht und die Leser nicht heranlässt.
Wer die Graphic Novel gelesen hat, kann nun einwenden, dass dies ja nur ein Ignorant behaupten könne, schließlich gebe es ja eine Stelle, an der jemand singe und der Text erscheine, in einer anderen Schrift gar als die Dialoge. Das stimmt. Nur lässt sich an dieser Stelle ebenfalls keine Leidenschaft, keine Melodie ausmachen. Es ist, was es ist: Text in einer anderen Schriftart.
So verharrt Rembetissa auf vertrautem Terrain, mutet wie ein spannungsloses historisches Drama an, das als Film in der arte-Mediathek versauern würde. Brave Leidenschaft zeichnet diese Graphic Novel aus; sie tut niemandem weh und alles bleibt vorhersehbar. So was wie einen Schlussakkord, immerhin, setzt das Geräusch, wenn man diese Graphic Novel zuschlägt und ins Regal räumt, wo sie bald vergessen ist.
[Björn Bischoff]
Abbildungen © 2025 Reprodukt / David Prudhomme
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