»Von diesem genialen Tollpatsch geht eine große Anziehungskraft aus.«
(David Merveille)
FRISCH GELESEN: Archiv
Hallo Monsieur Hulot
Story: David Merveille, nach Jacques Tati
Zeichnungen: David Merveille
Nordsüd Verlag
Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 14,95 €
ISBN: 978-3-314-10173-1
Genre: Humor
Für alle, die das mögen: Filme von Jacques Tati
Mit Humor ist es so eine Sache. Die Briten sind berühmt für ihren staubtrockenen, schwarzen Humor. Humor aus Frankreich gilt als feinsinnig, oftmals in Bezug auf sprachlich, doppeldeutige Feinheiten. Und der von den Deutschen? Die sollen ja gar kein Humor haben, wenn man der landläufigen Meinung im Ausland Glauben schenken mag. Doch widmen wir uns dem Humor unserer französischen Nachbarn.
Natürlich ist beim Spaß, wie überall auch, nicht alles schön schwarz und weiß und schon gar nicht sauber abgrenzbar. Was lustig ist, lässt sich nicht so leicht definieren und ist letztlich Geschmackssache. Wer z.B. Louis de Funès als Kind zum Schießen fand, wundert sich als Erwachsener möglicherweise, wieso er die Gesichtsakrobatik in Balduin, der Schrecken von St. Tropez einmal als witzig klassifizierte.
Ein Humor, den es vielleicht gar nicht mehr gibt, ist der des französischen Regisseurs und Schauspielers Jacques Tati (1907 – 1982). In Zeiten, wo man sich in Deutschland über den Brachialwitz diverser TV-Comedians amüsiert, findet man diesen stillen, hintersinnigen Spaß, den Tati mit seinem filmischen Alter Ego Monsieur Hulot personifizierte, kaum noch.
Im Film »Die Ferien des Monsieur Hulot« (1953) verkörperte Tati zum ersten Mal diesen Mann, dessen Körper zu lang und dessen Hosen zu kurz sind, der bevorzugt mit Hut, Mantel, Regenschirm und Pfeife im Mund unterwegs ist, mitunter tollpatschig nassforsch durch Leben schreitet und der Welt oft unabsichtlich einen Spiegel vorhält.
Mit nur fünf Spielfilmen etablierte Tati seinen Monsieur Hulot als einen der wichtigsten Vertreter der französischen Spaßkultur, und das mit einem Humor, der oft ohne Worte auskommt und eine weiche Slapstick-Variante sowie Pantomime praktiziert.
Der französische Comiczeichner und Kinderbuchillustator David Merveille ist ein Fan von Tati und damit auch seiner berühmtesten Figur. Drei Bücher widmete er bereits dem etwas verpeilten Hochwasserhosenträger, und das aktuellste Werk erschien im August beim Schweizer NordSüd Verlag auch auf Deutsch.
Nun ist Monsieur Hulot ein Kind seiner Zeit, also der 1950er und 1960er Jahre, und wer über ihn lachen will, der muss ein gewisses Gespür dafür haben. Es schadet auch nichts, wenn man zumindest einen Film mit Monsieur Hulot kennt. Tatis zweiter Hulot-Film »Mein Onkel« gewann gewann 1958 den Sonderpreis der Jury in Cannes und ein Jahr später gar den Oscar als »Bester fremdsprachiger Film« und ist wirklich ein kleines Juwel cineastischer Unterhaltung.
In Hallo Monsieur Hulot präsentiert David Merveille 22 Episoden aus dem Leben von Hulot, die er stets auf zwei Seiten nach dem gleichen Ablauf darstellt. Auf einen Onepager folgt eine Pointe auf dessen Rückseite, die immer aus einem ganzseitigen Panel besteht. Wie die Filme, sind die bildlich dargestellten Gags nicht zum auf die Schenkel klopfen, sondern reflektieren gekonnt den leisen Humor Tatis. Und wie (oft) in den Filmen werden die Episoden ohne Worte erzählt.
In »Waterloo« beispielsweise wird Hulot von einem Schneeball im Genick getroffen. Als er selbst einen Schneeball zurückwirft, aber jemand anderen trifft als den Jungen, der ihn beworfen hat, erlebt er sein persönliches Waterloo. Denn nur wenig später sind alle Leute auf der Straße in eine große Schneeballschlacht verwickelt, deren letztes Panel einem Wimmelbild gleicht.
Oder: In »Hulot, der Handwerker« übt er sich darin, ein undichtes Waschbecken zu reparieren, doch immer, wenn er eine Wasserleitung unter der Spüle berührt, fließ das kühle Naß woanders hinaus. Als er schließlich das Problem im Griff hat und gemütlich im Sessel ein Buch liest, fängt es draußen an zu regnen. Das große Bild am Schluss verrät dem Leser jedoch, dass dies kein Regen ist, sondern dass das Wasser von Hulots Wohnung aus dem Schornstein schießt und sich rund um das Haus bereits ein großer See gebildet hat.
Wenn Rauch zu Sprechblasen wird: Szene aus dem Buch
Merveilles sehr schön editiertes Bilderbuch bringt uns nicht nur den schon vergessen geglaubten Monsieur Hulot zurück, sondern auch dessen Humor und dessen Zeit. Die Abenteuer des lebensklugen, aber etwas weltfremden Monsieurs kommen ohne komödiantische Brechstange aus. Merveille schafft es kongenial diesen leichten, subtilen und doppeldeutigen französischen Humor in Bilder zu fassen.
Wer sich darauf einlässt, wird regelrecht entschleunigt. Man wird zurückgesetzt in nostalgisch verklärte alte Tage und ertappt sich dabei, wie man manche Seiten nicht nur einmal oder zweimal, sondern mehrmals liest, um in den vollen Lesegenuß zu kommen. Das macht Hallo Monsieur Hulot zu einer besonderen Leseerfahrung.
[MH]
Abbildungen © Nordsüd
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Leseprobe: Hallo Monsieur Hulot
Homepage des Verlags: Nordsüd Verlag