»Schutzgeld von Banken erpresst. Sogar geheiratet, der Sohn geboren, die Mutter gestorben. Halbes Jahr auf Kuba zur Erholung. Rum, Koks, ich war es schon satt, Mulattinen zu ficken.«
[aus: »Lebenslauf« von Konstantin Komardin]
FRISCH GELESEN: Archiv
U-Comix Nr. 184
Story: diverse
Zeichnungen: diverse
Undergroundcomix.de
Magazin | 68 Seiten | Farbe & s/w | 5,00 €
Genre: Humor, Satire, Erwachsenencomics
Für alle, die das mögen: MAD, Schwermetall, Saturday Night Live
Gong! Das neue U-Comix geht in die dritte Runde. Das einhundertvierundachtzigste Heft ist größer, dicker und schlägt inhaltlich etwas frechere Töne an. Gerade noch rechtzeitig. Das GCT-Heft war solala, für viele gar ein Ärgernis. Das war wie wenn man vorm Schlafengehen zu viel Zwiebelkuchen gefressen und dazu zwei Liter »Neuen Wein« gesoffen hat, irgendwie geil, aber irgendwie grenzwertig, vor allem am nächsten Morgen. Und so gab es auf CRON diesen »Offenen Brief« und im neuen ALFONZ setzte ein Autor das Machwerk gar auf die Shitlist. Nun, so schlecht, dass es wieder gut war, war es natürlich nicht. Aber eine Kurskorrektur, weg vom kleinen, wackeligen Indie-Fanzine, war dringend nötig. Und siehe da, die Nummer 184 ist ein absolut korrekter Schritt in die richtige Richtung. Diese neue Mischung aus National Lampoon, Mann beißt Hund und Crash, und in Zukunft vielleicht noch eine schärfere Prise Barbarella, ist reizvoll.
Das ganze Gelaber über das alte U-Comix mit seinen französischen Lachmuskelstrapazierern lassen wird jetzt mal weg. Das bringt doch nichts. Und auch das Geflenne um das ganz-alte U-Comix mit seinen Counter-Culture-Amis, das ist doch alles Schnee von gestern. Wir schreiben das Jahr 2013. Und jetzt liegt das neue deutsche U-Comix unter der Regie von Steff Murschetz auf dem Tisch und schreit: »Nimm‘ mich, blätter‘ mich, tauch‘ in mich ein!«
Nehmen wir das Titelbild. Ganz schön mutig! Denn der Umschlag provoziert nicht nur mit seinem Motiv. Auf dem Cover prangen diese Namen: Steff, Schlegel, Sobottke. Namen, die man nicht unbedingt kennen muss und die für das Gros der potentiellen Leser deshalb kein »Must-Have-Gefühl«, gepaart mit einem intensiven Kaufanreiz, auslösen dürften.
Das ist aber völlig wurscht, denn im Prinzip macht man nichts anderes als die Macher von damals auch. Früher, wer auch immer sich daran erinnern kann, und dieser kleine Flashback sei noch schnell gestattet, standen jedoch internationale Namen auf dem Cover. Zum Beispiel auf Heft 1 aus dem Jahr 1980, dem Start der zweiten Ära, die bis 1997 anhielt. Es warb mit Shelton, Sheridan oder Gotlib. Auch später prangten stets illustre Namen wie Edika, Margerin, König und Co. auf den Umschlägen. Aber letztlich ist die exponierte Hervorhebung einiger Künstler auf dem Titelbild nichts anderes als die Demonstration einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. Wer U-Comix macht, der darf das.
Konstantin Komardin: Ein Russe liefert den besten Beitrag des Hefts
Die dritte Ausgabe der neuen Inkarnation macht rein äußerlich doppelt so viel her wie die ersten beiden Hefte, denn sie ist fast zwei Mal so groß und hat auch noch mehr Seiten. Die Abkehr vom mickrigen Heftchenformat ist eine weise Entscheidung. Das neue U-Comix war zum Relaunch viel zu klein, um überhaupt in den Magazinständern bemerkt zu werden. Wie sollte sich das winzige Fanzine‘chen zwischen schrillen Transformers, My Little Pony und den Teenage Mutant Ninja Turtles behaupten? Und überhaupt: Mit U-Comix verbindet man eine Zeitschrift im großen Magazinformat. Mit dieser Formatumstellung wurden wahrscheinlich die Gebete von mehr als nur einer Handvoll Fans von damals erhört.
Wie schon bei der Nr. 183 ist das Titelbild der neuen Nummer ziemlich gelungen. Wahrlich »true to the spirit«. Das fängt schon damit an, wenn man seinem besten Kumpel das Motiv mit eigenen Worten beschreiben will: Also, äh, da sitzt eine dralle Blondine am Strand und schleckt ein paar Kugeln Eis in der Waffel. Ihr Mund ist lasziv geöffnet, ihre Augen sind geschlossen. Doch statt Eiskugeln steht im Waffelkegel ein Männchen, dessen, äh, Arschbacken die Form von Eiskugeln haben. Während die Blondine den himbeerfarbenen Hintern des Männchens ableckt, zeigt dieses dem Betrachter den Stinkfinger und sagt: »Lecko-Mio!«. Alles klar?!
Der Inhalt der neuen Ausgabe ist die zu erwartende Mischung von »überflüssig« über »naja« und »nicht schlecht« bis hin zu »sehr geil«. Im Vergleich zur GCT-Gratisausgabe und der Vorgängernummer ist aber eine weitere Steigerung zu bemerken. Gleich auf Seite 2 wird man empfangen von dem kultigen Strip »Transig nach Zwölf« von Lukas Kummer, der in etwa das verkörpert, für das eine moderne Version von U-Comix, neben anderem, stehen könnte: geistreicher Trash, der amüsiert und unterhält.
Georg von Westphalen schickt Kafkas Affe ins Rennen: Gerne mehr
Zuletzt war im Sommer der von den Machern durchaus gewollte Eindruck entstanden, man müsse ein Heft wie U-Comix mit viel Science Fiction, Fantasy und Horror anreichern. »Jetzt mit mehr Metall!« lautete das Motto, und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, das Steff Murschetz und seine Mannen eigentlich viel lieber das Magazin Schwermetall wiederbelebt hätten. Diese Note wurde mit der neuen Ausgabe zurückgefahren, stattdessen gibt es mehr Erotik, und dies durchaus facettenreich. So führt uns René Lehner mit einem Funny-Stil ganz pennälerhaft nach »Geilstadt«, wo alle Einwohner nur an Sex denken. Matthias Kringe steuert eine gelungene EC-Comic-Schrägstrich-Conan-Schrägstrich-Maddrax-Parodie unter dem Titel »Wirre Fantasien« bei, die nach einer Reprise schreit. Daniel Haas lässt in »Rock'n'Roll Dinomaid« nach einem Skript von Steff Murschetz eine schöne Nackte es mit dem Lizard King treiben und Team Anonymus (we know who you are!) steuert gleich mehrere erotische Abenteuer des Lügenbarons von Münchhausen bei (u.a. »Episode 3: Die Wunderschlampe«).
Wunderschlampen und des Sultans goldene Eier: Münchhausen läßt's krachen
Der beste Beitrag kommt allerdings nicht aus deutschen Landen. Der Russe Konstantin Komardin zeigt mit »Lebenslauf«, einer kompromisslosen Abrechnung mit den Karriereaussichten bei der russischen Mafia, wo der künstlerische Hammer hängt. Schonungslose Szenen, die unter die Haut gehen, ergänzen sich mit einer ausgereiften Grafik zu einer wahren Comicperle für Erwachsene. Superb!
Von anderen Beiträgen hätte man sich gerne mehr gewünscht. Georg von Westphalens »Kafkas Affe« darf auf einer knappen und vielversprechenden Seite in »Happy Birthday, Schweinesystem!« durch die wenigen Panels laufen, um dann mit einem »to be continued« viel zu schnell abserviert zu werden. Mehr wäre hier wirklich mehr gewesen.
Und wieso wird »Der verborgene Engel« von Dietwald Doblies, eine albenlangen Geschichte von mehr als 40 Seiten, nur mit so wenig Seiten fortgesetzt? Bei der vierteljährlichen Erscheinungsweise müssen wir ja froh sein, wenn die Story komplett vorliegt, bevor die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar angepfiffen wird … da hätte man besser diese Fulgor-Sci-Fi-Persiflage weggelassen, die sowieso nur wenige Wochen zuvor bereits in der Sprechblase abgedruckt wurde. Nichts gegen Gerhard & Gerhard, aber warum diese gut gezeichnete, aber lahme Story »Vulgor, der Weltraumpfleger« im gleichen (!) Jahr in zwei verschiedenen Magazinen abgedruckt werden musste, bleibt eines der großen Mysterien der deutsch-österreichischen Comicszene.
Schön wäre, wenn U-Comix ein festes Team von Autoren etablieren könnte, welches wiederkehrende Konzepte und Helden präsentiert. Das kreative Chaos braucht eine Seele, oder zumindest einen dicken, fetten, roten Faden, damit es dauerhaft fasziniert und wichtige Akzente setzen kann. Das neue U-Comix ist eines der spannendsten Projekte dieser Dekade. Wahnsinn, was da für ein Potential drin steckt.
[MH]
Abbildungen © bei den jeweiligen Künstlern
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