»Der Engel teilt sich in mehrere Körper auf. Heisse Zungen lecken meine Haut.«
(aus »YEPPAAA!« von Talaya Schmidt)
FRISCH GELESEN: Archiv
Strapazin Nummer 117
Storys / Zeichnungen:
»Das erste Mal« / Helmut Germer
»All inclusive« / Philip Schaufelberger
»Warteschlange« / Evangelos Androutsopoulos
»Love on the Beach« / Peggy Adam
»Haltungen/Stellungen« / Thomas Müllenbach
»Yeppaaaa!« / Talaya Schmid
»Die Ausstellung« / Edmond Baudoin
»Lotus« / Sang Ya
»Hopper« / Luca Bartulovic
»Letzte Nacht« / Kirsten Rothbart
»Das 1. Mal« / Lika Nüssli
»Fressen und gefressen werden« / Ludmilla Bartscht
»Ouroboros« / Shary Boyle
Strapazin
Magazin | Softcover | 84 Seiten | s/w + teilweise farbig | 10,00 €
Genre: Erotik
Für alle, die das mögen: Moderne Kunst
Wie ein Schweizer Uhrwerk (haha, der musste sein …) erscheint das Züricher Comicmagazin Strapazin. Alle drei Monate (jeweils am 10. März, Juni, September und Dezember eines Jahres). Darauf kann man sich verlassen. Und stets geht man Wege, die das gemeine Comic-Fußvolk nicht mal vom Hören und Sagen kennt. Das hat Tradition, und das ist gut so.
In der Regel hat jede Ausgabe von Strapazin einen Themenschwerpunkt, dem sich die Comiczeichner, pardon, -künstler annehmen und dazu nach bestem Wissen und Können Bildfolgen anfertigen. Neben Kuriosa wie »Wasser« oder »Berge« oder Nichtssagendem wie »Sprechblasen« streut man auch mal ein populäres Thema ein, wie z.B. »Fernsehserien« oder mit der aktuellen Ausgabe »Sex/Erotik«, vielleicht um nicht vollends als der verschrobene Kunstonkel der Szene abgestempelt zu werden. Oder möglicherweise einfach nur, weil es doch Spaß macht, mal die »Massen«, wo immer sie sein mögen, anzusprechen.
Das Highlight der Ausgabe: »Das erste Mal«von Helmut Germer
Die Titelbilder von Strapazin sind oftmals echte Hingucker. Tolle Motive, faszinierend inszeniert. Da weht ein Hauch vom The New Yorker durch die Schweiz (und vergessen wir die Münchner Redaktion nicht). Das durchaus pornografische Cover von Ludmilla Bartscht reiht sich da gefällig ein. Es macht neugierig. (Was man - das soll nicht verschwiegen werden - von ihren Illustrationen auf der Umschlaginnenseite und dem Backcover nicht sagen kann.)
Aber Strapazin wäre nicht Strapazin, wenn man nicht einen Ruf zu verteidigen hätte. Eine Vorgabe wie »Erotik« und »Sex« (oder gar »Pornographie«, schließlich erschien dieses Themenheft zu dem Film-Kunst-Festival Porny Days, wo es mitunter explizit zu Sache ging) scheint bei den Machern keine größeren Auf- und Erregungen ausgelöst zu haben.
Die Beiträge sind nämlich durch die Bank unaufgeregt und wirken leider stellenweise eher wie unausgegorene, nicht konsequent ausformulierte Ideen, sowohl erzähltechnisch als auch grafisch. Überraschungen? Fehlanzeige.
Wirklich in jeder Hinsicht überzeugen kann nur ein Beitrag. Helmut Germer eröffnet mit »Das erste Mal« den Reigen der vertanen Chancen, in dem er als einziger zeigt, was in der Kunstform steckt. Es reicht ihm eine simple Idee: Ein Junge läuft an einem Meeresstrand entlang, schaut den Frauen zwischen die Beine und lässt seiner Fantasie freien Lauf. Germer zeigt die Gedanken des Jungen, der übrigens die gleiche Frisur trägt wie Hergés Tim, in Blasen, und lässt dadurch zwei Erzählebenen gleichzeitig ablaufen, wie es nur im Comic mit dieser pointierten Art möglich ist. Germers Anatomie sitzt ebenso wie die feinen Schraffuren. Da würde man doch glatt gerne weitere Geschichten von ihm sehen.
Das war dann leider auch schon der Höhepunkt des Hefts, denn danach geht's in eher mittelmäßige Gefilde.
»All Inclusive« von Philip Schaufelberger ist symptomatisch für eine schablonenhafte Kunst, die sehr bemüht daher kommt. Der Zeichner darf sich auf sagenhaften zwölf Seiten austoben, indem er einen Schwyzerdütsch sprechenden Fettsack in einer Bar philosophieren lässt, um dann irgendwie die Story auf eine Prostituierte umzubiegen und die Handlung schließlich im Nichts auslaufen zu lassen. Sicherlich eine schöne Fingerübung, mit all den leeren umrissartigen Bildern, aber eher etwas fürs Skizzenbuch.
Fragmentarische Fingerübung: »All Inclusive« von Philip Schaufelberger
Ansatzweise überzeugen können noch Peggy Adam (»Love on the Beach (an der Algarve)«, eine durchaus locker-flockige Episode von einem Paar, das am Strand vögeln will, aber dauernd gestört wird und dabei geht dann auch noch die Unschuld verlustigt) und Evangelos Androutsopoulos (»Warteschlange«, erzählt mit sprödem Charme von einer schnellen Nummer auf der Toilette des Sozialamts).
Manches, allerdings, ist völlig verquast oder einfach auch - selbst beim besten Willen - keine »Neunte«, sondern »irgendwelche« Kunst.
Ist man durch, fragt man sich, ob das alles war. Ist es das, was Strapazin unter Erotik versteht? Ist Sex verkopft, verkrampft oder verschlüsselt zu genießen? Unterm Strich könnte das eigentliche Thema dieser Ausgabe »Vertane Chance« heißen. Es muss ja nicht eine Kopie der französischen Kunsterotik, der US-Pin-Up-Ästhetik oder des deutschen U-Comix-Klamauks sein, aber vielleicht hätte man sich vorher das von Naomi Fearn und Reinhard Kleist herausgegebene Bändchen Bettgeschichten (Zwerchfell Verlag) anschauen sollen …
Ganz klar: Da wäre mehr drin gewesen.
[MH]
Sex aufm Sozialamt: »Warteschlange« von Evangelos Androutsopoulos
Abbildungen © 2014 bei den jeweiligen Künstlern
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