»Der Kerl ist nichts weiter als ein gemeiner Tierquäler. Wenn mir meine Spucke nicht zu schade wäre, würde ich …«
(Cassim, Sigurds jugendlicher Freund, gegenüber Graf Udo di Volpe)
FRISCH GELESEN: Archiv
Sigurd Großband 258 (296): »Gefährliche Hilfe«
Story: Ingraban Ewald
Zeichnungen: Angel B. Mitkov
Ingraban Ewald Verlag
Heft | 28 Seiten | Farbe | 19,80 €
keine ISBN
Genre: Ritter, Abenteuer
Für alle, die das mögen: Hansrudi Wäscher, Nostalgiecomics
Manchmal, ja, manchmal werden Comic-Fanboy-Träume wahr. Nicht die von der mustergültigen Werkausgabe einer fast vergessenen Serie. Nicht die vom Kaffeeklatsch mit dem abgöttisch verehrten Zeichner. Und auch nicht die, in denen man von einer radioaktiven Spinne gebissen wird und plötzlich an Wolkenkratzern hochklettern kann. Alles viel zu simpel.
Ich meine diese ganz komplizierten, die, die eigentlich gegen jede Vernunft sprechen, aber irgendwie volle Kanne geil sind, wenn man sie richtig einordnen kann.
Nun bin ich kein Mitglied der Generation Lehning. Ich habe 1958 kein Sigurd-Heft am Kiosk gekauft, weil ich da längst noch nicht auf der Welt war. Und ich bin auch heute kein glühender Fan von Wäscher-Comics, aber ich erkenne, wenn jemand verdammt nochmal seine Hausaufgaben gemacht hat und einen Comic produziert, der in Liebe und Detail nichts zu wünschen übrig lässt für die Kernklientel.
Was ist passiert? Dieser Tage flatterte bei mir ein neues Sigurd-Heft ins Haus. Ein »Großband«, wie es altmodisch heißt, und auch noch in zweifacher Ausführung, mit zwei verschiedenen Titelbildern. Und - jetzt kommt's - mit zwei verschiedenen Heftnummern und verschiedenem Papier. Der äußerst rührige Ingraban Ewald Verlag hat mit seinem neusten Projekt wirklich die Krönung in Sachen Wäscher-Epigonentum abgeliefert. Doch der Reihe nach …
Das vorliegende Heft ist die Fortsetzung der vor 47 Jahren von Walter Lehning abrupt eingestellten Sigurd-Großbandserie. Damit möchte man das epische Ritterabenteuer von Sigurd, Bodo und Cassim aus dem »Goldenen Zeitalter« der deutschen Abenteuercomics fortsetzen. Hansrudi Wäschers Segen liegt vor. Nachdem in den letzten Jahren der noch 1968 komplett von HRW vorskizzierte Lehning-Großband 261 (»Gufos Heimtücke«) aufgetaucht ist, lässt sich anhand des vorliegenden Materials der Handlungsablauf einigermaßen rekonstruieren.
Die Story kommt von Vielschreiber Ingraban Ewald, der auch die aktuellen Piccoloabenteuer von Sigurd, Falk oder Nick weiterspinnt. Die Zeichnungen liefert Angel B. Mitkov, der den alten Stil Wäschers in einer Glaubwürdigkeit kopiert, dass man meint, der Meister wäre putzmunter und hätte gerade eine Verjüngungskur hinter sich.
Allmächtiger!
Nach 47 Jahren sieht der neue Sigurd so aus, als wäre er nie weg gewesen ...
Was hat es mit den verschiedenen Heftnummern auf sich? Dieter Kirchschlager vom Verlag erklärt die komplexe Situation im Vorwort des Hefts wie folgt:
»Um nun aber auch alle Wäscher- und Sigurd-Fans optimal zufriedenzustellen, haben wir nach reiflicher Überlegung beschlossen, unsere Großbände in zwei Varianten herauszubringen: einer Lehning- und einer Hethke-Ausgabe. Denn wir wissen, dass so mancher von Euch die Lehning-Originale mittlerweile längst durch den Hethke-Nachdruck ersetzt hat, welcher ja bekanntlich eine andere, um 38 Nummern erweiterte Nummerierung und auch eine abweichende Covergestaltung aufweist. Den Sammlern, die das betrifft, wäre mit einer passgenau an Lehning anschließenden Fortsetzung wenig gedient ...
So übernimmt die Lehning-Ausgabe bis ins Detail die Merkmale der alten Originale, während die Hethke-Edition, deren erstes Heft lhr gerade in Händen haltet, einen ebenso peniblen Anschluss an die Nachdrucke des viel zu frtih verstorbenen Verlegers Norbert Hethke darstellt. […]
Uns ist durchaus bewusst, dass die Nummern 297ff., die wir ab dem nächsten Heft vergeben, bereits von jenen Hethke-Großbänden belegt sind, welche den von Hansrudi Wäscher ab 1991 neu gezeichneten »Laban-Zyklus« beinhalten. Die so entstehende Doppelung erscheint uns aber immer noch vertretbarer als das Chaos, das entstünde, würden wir unsere gesamten neu entstehenden Hefte als »Schrägstrich-Nummern« o.ä. »dazwischenschieben«: Heft 296/1 usw.
Um jedoch die Verwirrung möglichst gering zu halten, tun wir zweierlei:
- Wir kennzeichnen unsere Hefte eindeutig als »Ewald-Ausgaben«, um eine Unterscheidung von den nummerngleichen Hethke-Bänden zu erreichen.
- Wir haben vor, den Laban-Zyklus, der ja zeitlich nach der Rückkehr der Freunde in die Heimat spielt, in irgendeiner Weise an unsere Ausgabe anzuschließen. Dies könnte nach gegenwärtigem Stand entweder dadurch geschehen, dass wir Euch bei Abschluss unserer Reihe entsprechende Nummernaufkleber liefern, die es Euch erlauben, die Hethke-Hefte »hinten anzuhängen«, oder aber, und das wäre weit ambitionierter und ganz nach dem Geschmack unseres Chefs Ingraban Ewald, wir bringen die kompletten 28 Hefte (297 - 324 bei Hethke) zum Abschluss unserer Edition noch einmal heraus, dann natürlich voll vierfarbig und da, wo es nötig ist, mit neuen Übergangsseiten von Angel B. Mitkov. Das wäre dann wirklich der perfekte Sigurd!«
Wäre ich den 1950er Jahren ein kleiner Steppke gewesen und hätte wöchentlich die Erlebnisse von Sigurd gespannt verfolgt, dann würde ich anno 2015 als körperlich »alter Sack«, aber im Geiste der Junge von einst, dieses Heft aufschlagen und wäre wahrscheinlich augenblicklich von einer Gänsehaut überzogen. Was das Duo Ewald/Mitkov da abliefert, passend koloriert von Toni Rohmen, ist ein Nostalgie-Flash der Klasse 1 mitten ins Sammlerherz der alten Garde. Dagegen verblassen alle sonstigen Bemühungen dieser Art augenblicklich.
Klassische Dialoge: Geplänkel unter Kumpels, so wie anno 1958
Und es wird mit diesem Heft deutlich, wie sehr ein Held wie Sigurd ein Kind seiner Zeit ist. Und dass man seinen Geist wahrscheinlich nur so wie hier adäquat wiederbeschwören und transportieren kann. Gut gemeinte Modernisierungen, wie aktuell in der Sprechblase von Gerhard Förster und Martin Frei, sehen dagegen ganz schön alt aus. Ewald und Mitkov haben Wäscher nicht nur en detail verstanden, sondern sie sind »HRW 2.0« - mit allen Fehlern und Schwächen. So sieht beispielsweise der Wolf, der in der Geschichte vorkommt, gar nicht aus wie ein richtiger Wolf, sondern genau so wie Wäscher einen Wolf gezeichnet hätte, aus dem Kopf heraus, so wie er meinte, dass ein Wolf aussehen würde. Und das ist nur ein Beispiel für die erschreckend realistische Wäscher-Optik Mitkovs. Vom Blattwerk eines Waldes über die gleichaussehenden Raketenkopfhelme der anonymen Schergen und die eigentümliche Anatomie der Figuren bis zum angeschrägten Zickzack-Layout der einzelnen Panels. Allmächtiger, das sieht alles ziemlich originalgetreu aus!
Ein »Wäscher-Tier« bei Mitkov: Diese Art Wolf gibt's in keinem Tierbuch
Wäscher-Fans sind ein eigenes, kurioses Völkchen, die nichts akzeptieren, was nicht vom Meister selbst fabriziert worden ist. Hier ist jetzt endlich, nach so vielen Jahren, der Beweis, dass es möglich ist, den Geist von Wäschers Lehning-Publikationen fast 100%ig zu kopieren (eine kleine Toleranz bleibt).
Donnerwetter, hätte ich einen alten, vergilbten Sigurd-Clubausweis, wäre ich fast versucht, die Sigurd-Sammelmarke 258 auszuschneiden …
[Matthias Hofmann]
Sigurd © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators
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