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Frisch Gelesen Folge 48: Strapazin 119

Strapazin 119

»Ich trage keine Push-up-BHs oder andere "Hochleistungsunterwäsche" mehr. Wem habe ich was vorgemacht? Ich weiss, wie meine 33-jährigen Brüste aussehen. Ich muss nicht versuchen, Männer heiss und Frauen neidisch zu machen.
Oh, und meine Beine rasiere ich auch nicht mehr.«
(aus dem titellosen Beitrag von Olga Wróbel)


FRISCH GELESEN: Archiv


Strapazin 117 Titelbild

Strapazin Nummer 119

Stories/Zeichnungen:

[ohne Titel] / Fanny Vaucher
[ohne Titel] / Maciej Siencyk
VHS-Himmel / Marcin Podolec
Echtzeit / Daniel Chmielewski
[ohne Titel] / Olga Wróbel
Wind / Renata Gasiorowska
Der Ruin / Daniel Gutowski
Masuren / Maria Rostocka
Aufstehen in drei Versuchen / Zosia Dzierzawska

Strapazin
Magazin | Softcover | 84 Seiten | s/w + teilweise farbig | 8,00 €

Genre: Kunstcomics, Fringe

Für alle, die das mögen: Moderne Kunst, Polen



Ich mag Strapazin. Ehrlich. Das kunstvolle Quartalsblatt für den anspruchsvollen Comicleser ist ebenso regelmäßig wie eigenständig. Es kreist in seinem eigenen Orbit um die deutschsprachige Comicszene und schert sich einen feuchten Dung um das Interesse des gemeinen Comicfans. Und das ist gut so, schließlich kreiert man nur dadurch besondere Momente.

Die Juni-Ausgabe ist ein Dossier zum Thema »Comics aus Polen«. Und, um das mit den besonderen Momenten vorwegzunehmen, diese sind leider diesmal … Fehlanzeige!

Ich habe die Nummer 119 zwei Mal gelesen. Nicht, weil ich sie so gut fand, sondern weil ich nach der ersten Lektüre befürchtete, ich hätte etwas übersehen. Irgendeine stille Erkenntnis, ein, zwei Doppelbödigkeiten, graphische Kniffe, die sich erst zeigen, wenn man mal drüber schläft. Leider brachte mich auch der »Rerun« der Polen-Ausgabe nicht weiter.

Zusammengestellt hat das Sammelsurium von Comics unserer östlichen Nachbarn Christian Maiwald. Im Vorwort schreibt er von einer vielfältigen Comicszene Polens und er ist sich sicher, dass er in Zukunft noch von vielen Künstlerinnen und Künstlern aus Polen hören wird. Ich bin da leider nicht so zuversichtlich. Zumindest nicht anhand des hier abgedruckten Materials. Denn wenn das wirklich ein Querschnitt durch die Comickunst Polens ist, dann scheint diese kurz vor dem kollektiven Winterschlaf zu stehen.

Maciej Siencyk

Illustration + Bleiwüste: Maciej Siencyks Wisla-Bilderstrecke

Bereits die Eröffnung ist symptomatisch. Die Comics von Fanny Vaucher sind gar keine. Es sind eigentlich eher kurze Vignetten, Illustrationen, versehen mit Tagebuch- oder (neudeutsch) Blogeinträgen. Wir erfahren, dass Comics auf Polnisch gleichbedeutend mit Roszinskis Thorgal sind, dass im Keller der Palasts der Kultur und Wissenschaft 18 Katzen leben oder wie in Polen eine »Milchbar« aussieht. Immerhin.

Auch der zweite Beitrag trägt keinen Titel. Ein Hinweis auf den fragmenthaftigen Charakter einiger Beiträge, die meinen, ohne Anfang und Ende auskommen zu müssen. Maciej Sienczyk, der als einer der »Bekanntesten« (und wohl auch Erfolgreichsten/Renommiertesten?) angekündigt wird, verzichtet ebenfalls auf Sprechblasen. Stattdessen gibt es wieder eine Aneinanderreihung von ganzseitigen Bildern, die seine Geschichte von der landwirtschaftlichen Maschine »Wisla« inszenieren und oben (oder unten) jeweils von Bleiwüsten ergänzt sind. »Leider befindet sich derzeit kein Exemplar der »Wisla« in einem Museum«, heißt es da, und dass diese Maschine ohne guten Grund in Vergessenheit geraten sei. Gähnend langweilig und nur durch die charmante Vorstellung zu retten, dass die komplette Historie des Geräts wahrscheinlich von Sienczyk frei erfunden ist.

Olga Wróbel

Ü30: Olga Wróbel macht sich Gedanken, ob sie noch in Schuß ist und mag sich so wie sie ist

Leider geht es so weiter. Es folgen die obligatorischen Selbstbespiegelungen, biografische Comics über einen 1980er-Jahre-Job in der Videothek (Marcin Podolec, ganz nett), über die Erkenntnis, dass man als Frau Mitte 30 nicht mehr die Jüngste ist (Olga Wrobel, schon gefühlt tausend Mal so ähnlich gehört, gelesen und gesehen, und ein Comic ist das übrigens ebenfalls nicht).

Experimentell, und damit dem Ruf von Strapazin gerecht, wird es bei »Der Ruin« von Daniel Gutowski, der bei Shakespeare und Houellebecq geklaut und seinen Comic in eine Seventies-Fotocomic-Hommage verpackt hat.

Am besten schneidet Daniel Chmielewski ab, der sich mit »Echtzeit« in Zeittheorien versteigt, und das so geschickt, dass er als einziger den Leser zum Nachdenken bringt: »Subjektive Zeit ist wichtiger als objektive Zeit.«

Es stellt sich natürlich die Frage nach welchen Kriterien »Comics aus Polen« zusammengestellt wurde? Repräsentiert das wirklich die Comicszene Polens? Die vorliegende Auswahl ist komplett frei von Superhelden, Abenteuern, guten Geschichten, beeindruckenden Panelfolgen, packenden Erzählungen, frechen Episoden, Tieren, Funnies, Zombies, Fantasy und Science Fiction, Manga, Satire und einiges mehr. Stattdessen gibt es eine unerhört große Portion Langeweile, reichlich Banales und wirklich gut gezeichnet, so dass es einen aus den Socken haut, ist (leider) nichts. Nicht mal das Cover.

Das liest sich jetzt sicher schlimmer, als es von mir gemeint ist. Das neue Strapazin ist kein »epic fail«. Es ist eher von der Kategorie »bemüht«. Freuen wir uns auf die Nr. 120. [MH]

Echtzeit von Daniel Chmielewski

Der beste Beitrag: »Echtzeit« Daniel Chmielewski bringt die grauen Zellen in Wallung

Abbildungen © 2015 bei den jeweiligen Künstlern


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