»Uns verband ein starkes Band, waren wir doch alle zur See gefahren und hatten die Kameradschaft kennengelernt, die unter Fahrensleuten herrscht.«
FRISCH GELESEN: Archiv
Jugend
Story: Joseph Conrad
Zeichner: Till Lenecke
Hinstorff Verlag
SC | 144 Seiten | s/w | 20,00 €
ISBN: 978-3-356022-35-3
Genre: Abenteuer, Seefahrt, Biografie
Für alle, die das mögen: Seemannsgarn und echte Seefahrergeschichten
Ach, die Jugend! Der erste Kuss, die erste Zigarette, der erste Rausch. Wer die Zeit bis zur Volljährigkeit fernab von Hunger und Krieg erfährt, verbindet süße Erinnerungen mit ihr. Die wahren Sorgen des Lebens, zu denen jede unglückliche Teenagerliebe in der Rückschau wie ein bedeutungsloses Vorspiel erscheint, sollen erst noch kommen.
Bei Joseph Conrad, einem der bedeutendsten englischsprachigen Autoren des 19. Jahrhunderts, sehen die ersten Male etwas anders aus. Die erste Einkerkerung, der erste Abschied, das erste selbst verdiente Brot kommen früh. 1857 als Józef Teodor Nałęcz Konrad Korzeniowski in der heutigen Ukraine geboren, muss er im Alter von vier Jahren gemeinsam mit seinen Eltern, polnischen Patrioten adligen Geblüts, erst in Warschau ins Gefängnis, dann in die Verbannung nach Nordrussland. Conrads Mutter stirbt 1865, der Vater 1869 an Tuberkulose. Im Anschluss wächst er bei seinem Onkel auf, der ihn mit 16 Jahren nach Marseille zur See schickt. Die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches und eine Erfahrung, die Conrads literarisches Schaffen prägen sollte. Dass dieser steinige Weg überhaupt in der Schriftstellerei endet, erscheint im Nachhinein wie Seemannsgarn – zumal Conrad bis in seine Zwanziger kein fließendes Englisch sprach.
Plackerei an Bord: Die Männer schaufeln unter Deck Kohlen.
Auch Till Leneckes Leben nahm manchen Umweg. Der 1972 geborene Hamburger ließ sich erst zum Offsetdrucker, später zum Erzieher ausbilden. Zwischendurch fuhr er in der Stammbesatzung des Jugend- und Ausbildungsschiffs Alexander von Humboldt zur See. Mit 39 Jahren begann er ein Studium in Kommunikationsdesign, das er 2017 mit einem Bachelor of Arts abschloss. Seither arbeitet er als Illustrator und Comiczeichner und lehrt an der Münster School of Architecture (MSA) im Bereich Urban Sketching.
Leneckes Comics handeln von Architektur, Urbanität und der Seefahrt. Seine Graphic Novel Auf Kaperfahrt mit Störtebeker (2016, Hinstorff Verlag) erzählt die Abenteuer des berühmt-berüchtigten deutschen Piraten aus Sicht eines gekidnappten Schiffsjungen. Nun nimmt sich Lenecke einer weniger bekannten Erzählung Joseph Conrads an, die gleichwohl einen bekannten Erzähler hat.
Rahmenhandlung in geselliger Runde.
Lenecke springt mitten hinein in die Rahmenhandlung, in der Charles Marlow in illustrer Runde in seine Jugenderinnerungen hinabsteigt. Schon in seiner wohl berühmtesten Erzählung, Herz der Finsternis (1899), diente dieser Marlow Joseph Conrad als Erzähler. Weitere Auftritte in den Romanen Lord Jim (1900) und Spiel des Zufalls (1913) sollten folgen. Herz der Finsternis wiederum bildete nur einen Part einer dreiteiligen Geschichte, zu dem neben Das Ende vom Lied auch die von Lenecke adaptierte Erzählung Jugend zählt.
Leneckes Bleistiftzeichnungen sind spitz und scharfkantig wie die Gesichter seiner Protagonisten. Erneut handelt die Geschichte von ersten Malen: Marlows erste Reise in den Osten, seine erste Fahrt als Zweiter Offizier, das erste Kommando seines Kapitäns. An Bord der Judea geht es mit 600 Tonnen Kohle von London nach Bangkok. Das Motto des ramponierten Segelschiffs wird schnell zum Programm: »Kämpfen oder untergehen«. Denn mehr als einmal gerät das Schiff in Schieflage, in der der Kapitän fragwürdige Entscheidungen trifft.
Tolle Panels, ob bei Sturm oder Flaute.
Frei nach Conrads Erzählung taucht Lennecke tief in die Seefahrt ein – und ist voll in seinem Element. Seine Panels überzeugen, ob bei Flaute oder Sturm. Ein Glossar am Ende der kurzweiligen 135 Seiten erklärt den Fachjargon, eine doppelseitiger Aufriss den Aufbau des Schiffs. Der Comic funktioniert aber auch, ohne beständig im Anhang zu blättern. Leneckes Geschichte indes funktioniert nur bedingt. So atmosphärisch dicht seine Zeichnungen auch sein mögen, der Text klebt zu dicht am Original und wird dadurch schnell geschwätzig.
Conrads Vorlage schwelgt in Jugenderinnerungen. Seine Landschaftsbeschreibungen sind auch immer Seelenlandschaften und verklärte Sehnsuchtsorte, die es so nie gegeben hat. Anstatt diese Gefühle in Bilder zu übersetzen, die für sich allein sprechen, vertraut Lenecke ein wenig zu sehr auf die Kraft von Conrads Sprache und stellt seine Zeichnungen hintan.
[Falk Straub]
Abbildungen © 2019 Hinstorff Verlag
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