Frisch Gelesen Folge 107: Barakamon 1

 »Also ist er gut, aber hat kein Talent?«

(Die kleine Naru über Seishu Handa, einen aufsteigenden Stern am Kalligrafie-Himmel)


FRISCH GELESEN: Archiv


Barakamon Band 1

Story: Satsuki Yoshino
Zeichnungen: Satsuki Yoshino

altraverse
Softcover | 208 Seiten | s/w | 8,00 €
ISBN: 978-3-96358-218-9

Genre: Komödie, Drama, Slice of Life

Für alle, die das mögen: Geschichten über die Kunst, das Leben und das Erwachsenwerden


Kaum zu glauben, dass ich auf die Idee kommen konnte, durch bloßes Ansehen und Durchblättern auf den Inhalt eines Werkes schließen zu können. Das Ergebnis war rückblickend nicht verwunderlich. Die Zeichnungen erschienen farb- und nuancenlos. Klar, weil sie, technisch gesehen, schwarz-weiß sind. Diffus auch die Einordnung der Charaktere: ein kleines Mädchen und ein zeichenwütiger Jugendlicher. Was soll das werden? Doch wie heißt es so schön? Bewerte ein Buch nie nach seinem Einband. Und erst recht nicht nach Bildern.


Ein aufsteigender Stern am Kalligrafie-Himmel: Seishu Handa.

Wie man sich täuschen kann! Ab Seite Zwei hat mich die Geschichte bereits fest im Griff, fühle ich mit Seishu Handa, dem 23-jährigen Helden mit. Der ist ein neues Talent in Japans Kalligrafie-Szene, hat schon einige Preise gewonnen. Doch seiner Begabung stehen seine mangelnde Kritikfähigkeit und sein Jähzorn im Weg. Bei einer Ausstellung ohrfeigt er einen alten Mann. Der Kurator der Galerie hatte es gewagt, Handas Kunst herauszufordern: »Hast du je versucht, die Mauern deiner Durchschnittlichkeit zu überwinden?« Nicht gut, denn nun ist Handas Karriere ernsthaft gefährdet. Und dann verdonnert ihn sein Vater auch noch dazu, auf die abgelegenen Goto-Inseln am westlichen Rand Japans zu gehen, um über sich, sein Leben und sein Verhalten nachzudenken. Immerhin, den Rat nimmt er an. Müsste er wahrscheinlich nicht, aber diese Entscheidung wird sein Leben auf den Kopf stellen.

Satsuki Yoshino, die Autorin und Zeichnerin dieser Reihe, von der es insgesamt 18 Bände gibt, ist auf den Goto-Inseln geboren, aufgewachsen und hält unter Zuhilfenahme des Inselvölkchens ihrem unbeherrschten Helden augenzwinkernd und humoristisch einen Spiegel vor. Die kleine Naru, die sich unvermittelt in Handas Privatsphäre drängt, ist in diesem Spiel nicht nur ein nerviger Fratz, sondern auch ein seelischer Wegweiser; eine Rolle, die sie mit ihrer kindlichen Unbekümmertheit locker stemmt. Außerdem kennt sie scheinbar jeden in der Umgebung, ohne dass ihre Herkunft je geklärt wird. Weitere wichtige Figuren sind ein rüpelhafter kleiner Junge, der sich unentwegt aufspielt, vermutlich auch, weil er gerne mit Naru befreundet wäre. Und ein greiser Mann, der Handa zu Beginn am Flughafen mit seinem Traktor aufsammelt, weil es auf Goto keine Taxis gibt. Handa versinkt vor Scham auf der Ladefläche, schließlich ist er plötzlich die lahmarschige Verkehrsattraktion. »Woah, da sitzt einer auf der Ladefläche«, spotten die Insulaner.


Permanenter Unruheherd: Die kleine Naru wirbelt alles durcheinander.

Yoshinos Anliegen ist recht schnell klar. Handa soll in der Einöde von einem oder mehreren Meistern Neues lernen, seine eigenen Fertigkeiten verbessern und einfach ein besserer Mensch werden. Naru ist so ein Sensei, denn sie hat das, was Handa zu seiner Kunstpraxis fehlt: eine kindliche Sicht auf die Welt, die sie offen für Neues macht und komplexe Vorgänge einfach ausdrücken lässt. Der oben genannte rabaukenhafte Junge konfrontiert Handa mit Jähzorn und dessen Lehrer, der vergeblich versucht, Einrad fahren zu lernen, demonstriert, dass das Leben aus Niederlagen bereithält. Trotzdem, das Geschehen ist auch nach dieser Erkenntnis nicht vorherzusehen. Das ist gut so und es macht Spaß, von Seite zu Seite zu springen. Es gibt viel zu lachen aber auch Momente, die traurig und nachdenklich stimmen.

Der Begriff »Barakamon« bedeutet übrigens dasselbe wie »Baramon«, wird nur auf den Goto-Inseln verwendet und steht im Inseldialekt für »aufgeweckte Person«. Der Begriff wird aber auch metaphysisch mit einem Dämon in Relation gebracht, der sich in einen Helm verbeißt. Das Wort zielt auf den Träger der Kopfbedeckung, der trotz des teuflischen Befalls weiterhin nach vorne schauen kann und seinen Weg geht.

Gerne lasse ich mir in diesem kurzweiligen Band schildern, wie Handa sein Päckchen trägt und mit den Eigenheiten seines neuen Zuhauses zu kämpfen hat. Ob ich das 18 Bände lang haben möchte? Eine gute Frage, die ich zum Glück nicht beantworten kann. Denn einerseits glaube ich, genug von dem jungen Kalligrafen gehört zu haben, anderseits ist er erst am Anfang seines Weges zum besseren Menschen. Also, her mit dem nächsten Taschenbuch!

[Walter Truck]

© altraverse/Satsuki Yoshino


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