Frisch Gelesen Folge 263: Schwarze Spiegel

»Schwarze Spiegel lagen viel umher. ›Hat viel geregnet‹ heißt es wohl auf Einfachdeutsch.«


FRISCH GELESEN: Archiv


Schwarze Spiegel

Text: Arno Schmidt
Zeichnungen: Nicolas Mahler

Suhrkamp
Hardcover | 191 Seiten | zweifarbig | 24,00 €
ISBN: 978-3-518-22528-8

Genre: Literaturadaption

Für alle, die das mögen: Joyce, Bernhard u.Ä. als Comic, die deutsche Provinz, Unfug



Gäbe es ihn nicht, müsste der Ausdruck »Alter weißer Mann« für Arno Schmidt erfunden werden. Der Autor, der 1949 sein erstes Buch veröffentlichte, 1970 mit seinem acht Kilo schweren, großformatigen Zettels Traum unter Intellektuellen zur Kultfigur wurde und 1979 starb, lebte seine letzten rund 20 Jahre in Bargfeld, einem niedersächsischen Kaff, das ohne den Schriftsteller vermutlich so bekannt wäre wie der südlich fließende Köttelbeck, ein kleiner Heidebach, über den Schmidt auch geschrieben hat. Provinzialismus, hochgejazzt zur Universalität – das war des Schmidtchens Ding. Neben einer ganzen Reihe aufwendig verschraubter Werke verkündete der Dichter zum Beispiel, dass Karl May homosexuell war, worauf er aber natürlich nicht kam, wie wir simplen Menschen, indem er sich die Beziehung von Winnetou und Old Shatterhand ansah, sondern anhand einer eigenen Methode, der Etym Theorie, die ihm, wie er gerne erklärte, das Unterbewusstsein des Westernautors öffnete. Klingt für mich nach Aluhut.

Schwarze Spiegel ist 1951 erschienen, da war der Autor erst 37, aber das ist dem gründlich verknöcherten Buch nicht anzumerken. Es spielt nach dem Atomkrieg und erzählt von einem Mann, der fünf Jahre nach dem Knall alleine nölend und nörgelnd durch die ausgestorbene Landschaft zieht, wo er zwar jahrelang niemanden getroffen hat, sich aber trotzdem immer noch über die Oberflächlichkeit und Dummheit seine Ex-Mitbürger beschwert. Irgendwann trifft er eine Frau, mit der er sich paart, verfluchte Biologie!, und dann ist das Buch auch schon bald vorbei. Geschrieben ist das in Prosasplittern mit verschobenen Satzzeichen und krummen Ausdrücken, was in den besten Momenten wie literarische Art brut wirken würde, wäre es bloß nicht so aberwitzig selbstverliebt.

Für Nicolas Mahler ist das natürlich leichte Beute beziehungsweise, wie es im Englischen so schön vegan heißt: low hanging fruit. Der Österreicher verarbeitet seit zehn Jahren immer wieder große, verstiegene Werke alter weißer Männer zu Graphic Novels, unter anderem Alte Meister von Thomas Bernhard, Ulysses von James Joyce, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust und Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Die Originale mögen zwischen nervig und unlesbar changieren, die Comicadaptionen aber sind durchgehend hoch amüsant und sehr schön anzusehen.

Letzteres gilt auch für Schwarze Spiegel, dessen Szenario dem Zeichner extrem entgegenkommt: Nach der Apokalypse ist das Land kahl und öde, die Gebäude weitgehend Ruinen und die Pflanzen nur noch Gerippe – ein herrliches Feld für Mahlers klaren einfachen Strich, der angesichts des Szenarios fast schon üppig wirkt. Tatsächlich ist der Band für mahlersche Verhältnisse geradezu barock, die einstellige Strichzahl, die vor einigen Jahren seine Bücher manchmal etwas zu übersichtlich machte, ist einer Detailfreude gewichen, die einen sogar die Kunsthalle Hamburg erkennen lässt. Also alles schön. Im Prinzip. Es gibt da nur ein Problem.

Arno Schmidt ist nicht witzig. Im Gegenteil: Er ist von einer ausgesprochen protestantischen, sauerländischen Sauertöpfigkeit, die ihren Stumpfsinn mit Bildung kaschiert, wobei die aber weniger der Erkenntnis dient denn dem Distinktionsabstandhalten. Das macht vor allem die erste Hälfte ziemlich zäh. Der Protagonist mosert sich durch die Gegend, Menschen: doof, Kunst: doof, Alles: doof, überhaupt: »Jahrtausendelang hatten sie sich gemüht: aber ohne Vernunft!« und so weiter. Mahlers großes Talent ist es, den Humor aus der Hochkultur zu kitzeln, bis klar wird, dass große Geister oft auch lustige Burschen sind – Intelligenz und Humor sind schließlich enge Verwandte. Nur ist da beim Schmidt wenig zu holen. Ein stumpfes »Familienbilder mit hausmachernem Lächeln« ist bereits ein Höhepunkt.

Mit dem Auftauchen der Frau wird es etwas besser. Sie erweist sich als handfest, derweil der Mann hilflos dahinschmilzt, schließlich kommt es zum Akt, den Schmidt mit »Wir hupten an schönen Beulen und langen Wülsten, überall« literarisch komplett vergeigt, sodass der Mahler ihn mit einigen Cartoons aus der Küche der 50er Jahre alleine darstellen muss – vor allem den Knorr-Suppenwürfel fand ich in diesem Zusammenhang charmant. Überhaupt holt der Wiener aus dem literarischen Klassiker deutlich mehr raus als drinsteckt, was aber die Lektüre auch nur bedingt verbessert – da ist eben nix! Und es gibt noch einen Haken.

Vor ein paar Wochen sah ich Helge Schneider bei Chez Krömer, eigentlich ein Treffen der humoristischen Genialität, das allerdings sterbenslangweilig war, weil die Herren Genies keine Idee hatten, was sie machen wollten und offensichtlich auch nicht vorbereitet waren. Daran erinnert mich Schwarze Spiegel: Man nehme noch einen schwierigen Autor, lasse ihn durch die Mahler-Maschine laufen und vergolde das Geschredderte mit Ironie. Ja? Nö. Der Mahler ist inzwischen auch schon 52, so weit ist es nicht mehr bis zum »Alten weißen Mann«, also: Obacht geben – länger leben!

Wobei! Wer aufs Lesen verzichtet und nur das Buch durchblättert, betrachtet eine grandiose Seite nach der anderen. Zudem gibt es einige schöne, witzfreie humoristische Zeichnungen im Stil der 50er Jahre, Readers Digest und der Gondel nachempfundene Blätter, überhaupt viel Nostalgie, wozu auch das Cover in der klassischen Suhrkamp-Anmutung passt – alles äußerst wunderbar anzusehen. Und herrlich provinziell! Außerdem hätte Arno Schmidt eine Comicfassung seiner großen Literatur mit Sicherheit gehasst. Das alleine ist natürlich schon was wert. Aber beim nächsten Mal darf es vielleicht doch einmal etwas Kleineres sein? Wie wäre es mit einem Simmel?

[Peter Lau]

Abbildungen © 2021 Suhrkamp Verlag / Nicolas Mahler, Arno Schmidt


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