Frisch Gelesen Folge 364: Just Mary

 »Was hast du 1917 in Fatima gemacht?«


FRISCH GELESEN: Archiv


Just Mary

Story: Paola Morpheus
Zeichnungen: Paola Morpheus

Edition Faust
Softcover | 135 Seiten | Farbe | 19,00 €
ISBN: 978-3-94977-428-7

Genre: Satire, Funnys

Für alle, die das mögen: bissigen Humor, schnelle Pointen



Der Spruch »erstens kommt es anders und zweitens als man denkt« lässt sich auch auf die meisten Religionen anwenden. Denn in vielen gibt es Erzählungen von Menschen, für die das Schicksal eine ganz andere Entwicklung vorgesehen hat, als sich diese Menschen das wohl in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hätten. Siddhartha Gautama war ein stinkreicher Prinz, bevor er Buddha wurde. Mohammed war Kaufmann und hatte eigentlich nicht vor, ein Buch zu schreiben. Und Maria hatte wohl ebenfalls nicht geplant, jungfräulich den Sohn Gottes zur Welt zu bringen.

Aber so kam das dann alles und liegt bereits lange zurück. In Paola Morpheus' Comic Just Mary weilt Maria seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr auf Erden, sondern treibt sich im Himmel rum; an der Seite Gottes, dem Vater ihres Sohnes Jesus und eben diesem, der ja aber gleichzeitig auch Gott ist, genauso wie der Heilige Geist, der irgendwie die Befruchtung durchgeführt hat. Mit dem Heiligen Geist, der meist als Taube dargestellt wird, also mit einem Tier, hatte sie irgendwie Sex und der daraus entstandene Sohn ist gleichzeitig sein eigener Vater. Das ist verwirrend und unanständig zugleich! Findet jedenfalls Maria und es ist unmöglich, ihr da zu widersprechen.

Wie in der Frage der Zeugung ihres Sohnes gibt sich Maria bei Paola Morpheus auch mit vielen anderen Dingen, die mit ihr und um sie herum geschehen, nicht zufrieden. In kurzen, pointierten Episoden setzt sie sich mit allen möglichen Themen auseinander. Merkwürdige Prophezeiungen (Wie war das noch mal, damals in Fatima?), christliche Konventionen (Versucht mal, das Konstrukt der traditionellen Familie auf Maria und ihre Männer anzuwenden!) und aktuelles Zeitgeschehen (Da hat es Pater Giulio Mignani mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare echt zu weit getrieben!) – hier ist für alle was dabei. Morpheus lässt Maria nicht nur zu jedem Thema eine Meinung haben, sie setzt sie in einen modernen Kontext und referenziert dabei viele popkulturelle Themen. Besonders witzig wie überraschend ist der Gastauftritt des Astrophysikers Harald Lesch, den viele aus manch schlafloser Nacht vor dem Fernseher kennen.

Nun ist die Idee einer modernen und kritischen Lesart Marias nicht neu. Spätestens seit der Bewegung Maria 2.0, die 2019 maßgeblich von Frauen der römisch-katholischen Kirche Deutschlands ins Leben gerufen wurde, wird ihre Figur genutzt, um weibliches Empowerment darzustellen und auf Missstände hinzuweisen. Und genau das ist es, was auch Paola Morpheus hier tut. Jedoch ist etwas unklar, wen sie genau ansprechen möchte. Ihre sehr zeitgeistigen Anspielungen auf z.B. Game of Thrones oder Stargate werden von Maria-2.0-Anhänger:innen wahrscheinlich nicht verstanden und diejenigen, die den Hintergrund haben, um über solche Witze zu lachen, haben meist nichts mit der Kirche am Hut. Es bleiben mäßig nette, kleine Witze und Gedankenspiele, mit denen man die erzkonservative und kreuzbrave Erbtante Trude an der Kaffeetafel ärgern kann.

Dies ist übrigens Paola Morpheus' erster Comic. Ansonsten ist die gebürtige Italienerin eher als Street-Art-Künstlerin bekannt. Im Internet sind ihre Bilder als Drucke käuflich erwerbbar. Ihr Zeichenstil ist sehr breit aufgestellt. Arbeitet sie in den erwähnten Drucken eher mit realistischen Darstellungsweisen, ist Just Mary in einem ausdrucksstarken Comicstil gezeichnet, bei dem sich besonders in der Farbgebung und den Schraffierungen Morpheus' Ursprung als Illustratorin zeigt. Auch wenn sie zeichnerisch gefestigt ist und einen guten eigenen Stil vorweisen kann, hat ihr Talent zum Storytelling aber noch Luft nach oben. Aber gerade in den aktuellen Zeiten empfinde ich es als richtigen Ansatz, Religion mit Humor und Sarkasmus zu begegnen. Man kann Menschen, die diesen ganzen Zirkus zu ernst nehmen, gar nicht oft genug den Spiegel vorhalten.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2023 Edition Faust / Paola Morpheus


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