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Frisch Gelesen Folge 399: Zehn Gebote – Benjamin

 

»Haben Sie eine Europäerin mit einer beigen Kefije und einem weißen Schal gesehen?«


FRISCH GELESEN: Archiv


Zehn Gebote – Benjamin

Story: Frank Giroud
Zeichnungen: Daniel Hulet

comicplus+
Hardcover | 120 Seiten | Farbe | 39,00 €
ISBN: 978-3-89474-328-4

Genre: Abenteuer

Für alle, die das mögen: Zehn Gebote, Fox, Samsara, Zehn Gebote: Das Erbe



Im September 2001 startete eines der außergewöhnlichsten europäischen Comicprojekte auch in Deutschland: Zehn Gebote. Zehn Alben, zehn Zeichner, ein Autor und eine umfassende Handlung. Die Geschichte von Zehn Gebote ist hochaktuell. Es geht um Glaubensfragen, Toleranz und wie Religion damit umgeht, wenn sie in ihren Grundfesten erschüttert wird. Im Mittelpunkt der Comicerzählung steht das fiktive Buch Nahik. Der Leser erfährt, dass Mohammed seine eigenen zehn Gebote aufstellte, die er auf den Schulterknochen eines Kamels schrieb. Um dieses Grundgerüst ranken sich die zehn Alben. In jedem dieser Alben wird der Fokus auf eines der Gebote gelegt. Zwar steht jeder der zehn Bände für sich allein und kann auch ohne die anderen verstanden werden, allerdings ergibt sich erst ein schlüssiges Gesamtbild, wenn alle Alben gelesen wurden. Dabei reist der Autor Frank Giroud (1956–2018) mit dem Leser in der Zeit zurück. Er beginnt seine Erzählung 2001 in Glasgow und begibt sich auf der Spurensuche nach Nahik und dem folgenschweren Knochen immer tiefer in die Geschichte – bis ins Medina des Jahres 632.

Die Serie schlug ein wie eine Bombe: In Deutschland wurde Giroud 2002 in Erlangen als »Bester internationaler Szenarist« mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Der große Erfolg dürfte unter anderem Grund dafür gewesen sein, dass Giroud bis zu seinem Tod gleich zwei Ableger der Serie herausbrachte. Das erste Spin-off Le Légataire heißt auf Deutsch Zehn Gebote: Das Erbe und liegt bereits seit einigen Jahren vor. Bei Zehn Gebote – Benjamin handelt es sich um die Alben 2 und 3 des zweiten Spin-offs, des sechsbändigen Zyklus Les Fleury Nadal (2006–2013). Das Material, das jetzt bei comicplus+ veröffentlicht wird, ist also nicht neu.

Darin stellt Giroud uns einen Protagonisten der Hauptserie etwas genauer vor: Benjamin Fleury. Seit seiner Begegnung mit Nahik ist er von Ägypten fasziniert. So nimmt er dankbar die Chance an, im Land der Pharaonen seiner Arbeit als Ingenieur nachzugehen. Mit dem Suez-Kanal zeichnet sich am Horizont bereits eine herausragende Bauaufgabe ab. Sein Leben wird aber bestimmt von einem Geist. Eine Frau, von der der junge Benjamin weiß, dass sie tot sein muss, erscheint ihm hier und da. Und während er ihr tiefer in die Viertel und Straßen der geheimnisvollen Städte und Ruinen folgt, gerät er immer stärker in einen Sog, der die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwischt.

Um Spin-off-Serien richtig bewerten zu können, frage ich mich immer, ob sie eine sinnvolle Aufgabe innerhalb der Originalserie haben, wichtige Zusatzinformationen liefern oder ob sie gezwungen ins Gesamtuniversum gepresst werden. Unter diesen Gesichtspunkten lässt Benjamin den Leser fragend zurück. Ohne Zweifel handelt es sich um eine gelungene Geschichte. In der schier unübersichtlichen Menge an Novitäten pro Monat ist der Band sicherlich eine Ausnahmeerscheinung. Giroud ist eben Giroud – der Name steht für erzählerische Qualität. Seine Charaktere sind gelungen, durchdacht und authentisch. Der Franzose lässt sich viel Zeit beim Erzählen – an der einen oder anderen Stelle vielleicht zu viel. Allerdings hätte er die Geschichte nicht zwangsläufig im Zehn-Gebote-Kosmos ansiedeln müssen. Sie hätte auch außerhalb perfekt funktioniert.

Zeichner Daniel Hulet (1945–2011) ist im deutschsprachigen Raum für Serien wie Pharao, Die Wege zum Ruhm und L' Etat Morbide bekannt. Sein Zeichenstil passt sich bemerkenswert gut in die Geschichte ein und erinnert sehr direkt an die Buchillustrationen des 19. Jahrhunderts. Es ist darüber hinaus ein Gütesiegel des Verlags, dass bei comicplus+ nicht die ganze Serie erscheint. (Der erste Band von Les Fleury Nadal wurde definitiv ausgespart; ob die Bände 4 bis 6 erscheinen werden, ist noch offen.) Komplettisten werden enttäuscht sein. Alle anderen dürfen sich darüber freuen, dass tatsächlich nur qualitativ hochwertiges Material erscheint. Davon zeugt auch, dass die enthaltenen redaktionellen Seiten eigens für die deutsche Ausgabe entstanden sind. Alles in allem eine gelungene bibliophile Ausgabe – ich gebe acht von zehn Mumien.

[Bernd Hinrichs]


Abbildungen © 2024 comicplus+ / Frank Giroud, Daniel Hulet

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