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Frisch Gelesen Folge 410: Manhwa – Klassiker für Kids: Sherlock Holmes

»Wirklich beeindruckend Holmes!«
»Ach was! Der Fall hat eben großen Spaß gemacht!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Manhwa – Klassiker für Kids: Sherlock Holmes, der Meisterdetektiv

Story: Arthur Conan Doyle (Original), Yi-Jeong Noh
Zeichnungen: Yi-Jeong Noh

Ullmann Verlag
Softcover | 192 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISBN: 978-3-74152-795-1

Genre: Literaturadaption, Krimis

Für alle, die das mögen: Detektiv Conan, Lupin III und andere Manga- bzw. Manhwaadaptionen von Krimiklassikern



Es gibt literarische Figuren, die uns durch unser gesamtes Leben zu begleiten scheinen und irgendwie nicht totzukriegen sind. Sherlock Holmes ist definitiv eine davon. Immer, wenn man denkt, nun alle Facetten dieses Charakters erzählt bekommen zu haben, hüpft hinter einem narrativen Busch eine neue Version hervor. Die letzte Adaption, die für viel Furore gesorgt hat, war die BBC-Serie mit Benedict Cumberbatch als überheblicher, in höheren Sphären schwebender Holmes. Der geniale Kniff war, dass sie im Hier und Jetzt spielt anstatt im endenden 19. Jahrhundert. Das ist aber inzwischen auch schon über zehn Jahre her. Was gäbe es also noch Neues zu erzählen über den Meisterdetektiv?


Aus dem Bauch heraus hätte ich jetzt mit „Nichts!“ geantwortet, alleine weil mich dieser elende Besserwisser und Mansplainer Holmes eher langweilt. Doch da kommt diese kleine Klassikerreihe des Ullmann Verlages um die Ecke, in der vornehmlich europäische Klassiker als Manhwa, also als koreanische Comics, neu erzählt werden. Als wir da hätten: Heidi, Alice im Wunderland, Arsène Lupin und eben Sherlock Holmes. Die Adressat:innen der Reihe sind klar: Hier sollen Kindern im frühen Lesealter klassische Titel nahegebracht werden. Es bietet sich sehr an, dass die Titel aus Korea stammen und somit die Leserichtung der unsrigen entspricht. Für Kinder im Leseerwerb ist die zusätzliche Transferleistung des »Rückwärtslesens« wie bei Manga, also Comics aus Japan, die im Original von rechts nach links gelesen werden, eine große Hürde. Es stellt sich somit nur noch die Frage, ob auch die Erzählweise Kinder abholen und zum Lesen animieren kann.


Und ich habe es ja schon erwähnt – ich bin nicht wirklich ein Sherlock-Fan. Unter den Vorzeichen des Jahres 2024 würde ich seinen Charakter wohl eher in die Schublade der toxischen Maskulinität einordnen. Er ist unfähig, Emotionen zu empfinden, kann niemanden neben sich ertragen und ist fern jeglicher Selbstzweifel. Der einzige Bruch ist in seiner Drogensucht zu finden, die wie ein misslungenes Selbsttherapieren wirkt. Aber so ist der Ansatz des Manhwa von Yi-Jeong Noh natürlich nicht. Wir befinden uns zwar im viktorianischen London, bekommen aber einen ganz drogen- und skandalfreien Holmes serviert. Die fünf Fälle, die der Band erzählt, sind klassische Erzählungen Doyles, die dem Format entsprechend gekürzt wurden, sich aber in Aufbau und Conclusio an die Vorlage halten.

In typischer Tradition weiblich erzählter südostasiatischer Comics werden Holmes und sein Sidekick Watson visuell jung und leicht androgyn dargestellt. Insgesamt sind alle Charaktere optisch ansprechend und gefällig gezeichnet, die Kolorierung trägt dazu bei, dass die Reifröcke der Damen besonders reizend sind. Die Panelaufteilung ist sehr linear und übersichtlich. Auf ganzseitige Panels und Großaufnahmen von Gesichtern oder gar Augen verzichtet Noh größtenteils. Interessant ist ihre Darstellung Holmes', den sie als zielstrebigen klugen Kopf charakterisiert, der mit Eifer bei der Sache ist, aber auch mal herzhaft lachen kann. Er ist aufrichtig und wirkt liebenswert. Seine Beziehung zu Watson ist angenehm und freundschaftlich und in keiner Weise herablassend wie in vielen vorherigen Darstellungen.

Fast könnte die Erzählung Bromance-Vibes aufkommen lassen, aber so weit treibt Noh es nicht. Sie gibt die Kriminalfälle von Sherlock und Watson auf kindgerechte Art wieder und kreiert einen Holmes, der durch einen weiblichen Blick betrachtet wird. Er legt zwar viel Ehrgeiz in das Lösen seiner Fälle, jedoch ohne sich permanent selbst überhöhen oder es irgendwem beweisen zu müssen. Und tatsächlich schafft sie es, auf diese Weise eine neue Facette des anscheinend immer noch nicht auserzählten Charakters zu erschaffen, die ihren ganz eigenen Charme mitbringt. So kann dann Sherlock Holmes auch im Jahr 2024 noch funktionieren.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2024 Ullmann Verlag / Yi-Jeong Noh


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