Frisch Gelesen Folge 152: Berserker Unbound

»Ich weiß, dass ich allein bin.«
»Prost!«


FRISCH GELESEN: Archiv


Berserker Unbound

Story: Jeff Lemire
Zeichnungen: Mike Deodato Jr.

Splitter
Hardcover | 136 Seiten | Farbe | 19,80 €
ISBN: 978-3-96219-373-7

Genre: Fantasy, Barbaren-Storys

Für alle, die das mögen: Conan der Cimmerier, Sword and Sorcery


 

Ich bin ja ein großer Fan von Conan der Barbar, also zumindest dem Film mit Arnie. Wie titelte Mad Deutschland damals: »Aus einer Zeit, in der es noch keine Vokale gab«. Ein großartiger Film. Männer, die knapp bekleidet sind, sich nur rennend fortbewegen, alles kaputt hauen, was ihnen in den Weg kommt und die ausnahmslos grunzend kommunizieren. Wir schreiben das Jahr 1982. Männer meinen, noch ungestraft die Antiproportionalität von Hirn und Muskelmasse zur Schau tragen zu dürfen.

Fast 40 Jahre später nehme ich mich doch tatsächlich erneut dieses Themas an, in Form von Berserker Unbound, einer vierteiligen Miniserie aus der Feder von Jeff Lemire und von Mike Deodato Jr. gezeichnet. Lemire ist nicht zuletzt durch Black Hammer bekannt, einer tiefgründigen Charakterstudie, die schon auf den ersten Blick den Klischees des Superheldengenres nicht standhält. Lemire gilt als einer der vielseitigsten nordamerikanischen Comicautoren der heutigen Zeit. Seine Erzählungen haben oft eine stark autobiografische Ausrichtung, zumindest jedoch zeugen sie von einer emotionalen Auseinandersetzung der Charaktere mit sich und ihrem Umfeld. Deodato ist durch sein Artwork an verschiedenen Superheldenserien bekannt. Er hat an so ziemlich allen namhaften Figuren des Marvel- wie auch DC-Universums mitgearbeitet. Laut seiner eigenen Aussage wollte Deodato schon immer an einer Barbaren-Story arbeiten und Lemire hätte diesen Traum nun wahr werden lassen: »Berserker Unbound ist ein Wendepunkt in meiner Karriere!« O. K., große Worte. Das ist jede Menge Holz.


Das Cover des Originals ist kraftvoll und vielversprechend.

Also mache ich mich ans Lesen. Das erste einleitende Panel ist das Cover der Originalausgabe. Unser Krieger steht, völlig entrückt und deplatziert, mitten in der Rushhour im Verkehrschaos einer stark befahrenen Straße einer amerikanischen Großstadt der jetzigen Zeit. Ein merkwürdiger Lichtschein scheint auf ihn zu fallen, sodass seine Farbgebung anders ist als die seiner Umgebung. Er wirkt wie in das Bild hineinretuschiert, was den befremdlichen Anblick noch verstärkt. Ein wirklich starker und vielversprechender Einstieg.

Danach folgt aber sofort das Tal des Jammers und der Tränen. Klischeeangehäufte Seiten, in denen unser Held erst mal eine Runde Bullshitbingo für Barbaren-Fans spielt: Schlimme Dinge durchlebt: Check! Uralte Schlangen getötet: Check! Im Besitz eines illegitimen Königstitels: Check! Im Blut der Feinde gebadet: Check! Und natürlich: Die einzig wahre Liebe gefunden: Check!! Kaum hat er das alles heruntergerasselt, findet er heraus, dass seine große Liebe samt dem gemeinsamen Kind von irgendwelchen wie auch immer und wo auch immer Herkommenden (Details! Unwichtig!) gemeuchelt worden sind. Und was macht so ein Barbar da wohl? Genau, eine Runde aufs Fressbrett. Da es dann aber doch zu viele sind und er auch übermannt ist von dem Schmerz, rennt er weg und muss ich eingestehen, dass er ein Feigling ist. Und während er noch so »mimimi«, wird er aus dem Nichts heraus durch ein Portal geschleudert und landet in einer ihm unbekannten Welt. Diese stellt sich als das Nordamerika der heutigen Zeit heraus. Berserker erwacht in den Bergen am Rande einer Metropole und trifft auf einen Obdachlosen, der dort eremitenhaft lebt.


Die Ästhetik der Kampfszenen ist bestechend und energetisch.

Inzwischen hatte sich meine dreijährige Tochter neben mich gekuschelt und studierte mit mir den Comic. »Der Mann ist traurig«, resümiert sie über den Berserker. »Aber wo sind seine Tränen?« Ach, Barbaren weinen einfach nicht. Dass die Geschichte sich an überholte Konzepte von Männlichkeit heranwagt, hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben zu hoffen. Jetzt, so dachte ich, könnte sie zumindest mal ihre Klischeehaftigkeit ablegen und interessante Blickwinkel auf unsere heutige Gesellschaft werfen.


Traurig ohne Tränen – die grafische Darstellung des Berserkers ist sehr männlich, aber auch sehr emotional.

Unser Berserker und der Obdachlose freunden sich also an. Dafür, dass die beiden sich nicht verständigen können, kommunizieren sie doch recht eifrig miteinander. Das ist mal als Pluspunkt zu werten. Sie haben Vokale! Und auch Konsonanten! Und sie können beides zu halbwegs reflektierten Aussagen über ihr bisheriges Leben zusammensetzen! Aber wirklich viel rüber kommt da nicht. Sie jammern halt. Was dem einen sein marodierender Feind, ist dem anderen sein Verkehrsunfall. Verlust haben sie irgendwie beide, was draus lernen tun sie aber nicht. Was machen Männer also in solchen Situationen? Na genau, Alkohol! Ordentlich einen zu bechern, schweißt zusammen, auch ganz ohne Worte. Hätten sie doch nur zwei Flaschen geholt! Das ist eigentlich die einzige Lehre, die ihnen bleibt. Am Ende kehrt der Berserker in seine Welt zurück, nimmt aber seinen neuen Freund mit. Jeder braucht halt einen Sidekick. Ansonsten ist eigentlich nichts passiert, alles beim Alten, hätte auch einfach nicht passieren müssen.


Der Höhepunkt ist ein Besäufnis. Sonst passiert nicht viel.

Einzig erwähnenswert bleibt wohl das Artwork. Die Zeichnungen von Deodato sind fulminant, die Kampfszenen sind kraftvoll und ästhetisch. Die Panelaufteilung entspricht der klassischen Rezeption des amerikanischen Comics und ist sehr dynamisch und gut dem Erzählfluss angepasst. Darüber hinaus stechen Landschaftsbilder hervor, die sich zwar in Panels unterteilen, aber doch ein Gesamtbild ergeben. Diese Art der Collage erzeugt eine Verlangsamung im Lesefluss, die im spannenden Gegensatz zu den intensiven Kampfszenen steht. Die Verlorenheit des Berserkers in der Welt (in dieser wie jener) ist sehr eingehend umgesetzt, seine grafische Darstellung schafft als einzige einen echten emotionalen Zugang zu dem Charakter und erzeugt den Tiefgang, der der Geschichte leider völlig abgeht. Diese Neuerzählung der klassischen Barbaren-Geschichte hätte so vieles sein können, Gesellschaftskritik, Aufbruch von Geschlechterklischees, Genrebruch. Am Ende ist sie nur eine kitschtriefende Liebesschmonzette über leidende, gebrochene Männer, die sich ihr Dasein schönsaufen.

[Mechthild Wiesner]

Abbildungen © 2020 Splitter


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